© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/12 21. September 2012

Den Tod vor der Haustür
Vor der heißesten Phase des Kalten Krieges: Als die USA im September 1962 mit der Aufrüstung Kubas konfrontiert wurden
Jan von Flocken

Selten hatte US-Präsident John F. Kennedy sich derart in die Irre führen lassen. Während einer Pressekonferenz am 14. September 1962 erklärte er: „Es liegen keinerlei Anzeichen dafür vor, daß sich organisierte Kampfverbände aus irgendeinem Land des Sowjetblocks in Kuba befinden oder daß der Sowjetunion militärische Stützpunkte zur Verfügung gestellt wurden oder daß Raketen für einen offensiven Einsatz verfügbar sind.“

Zu jener Zeit befanden sich auf der Karibikinsel bereits 35.000 sowjetische „Techniker und Berater“, die von Moskau gelieferte Luftabwehrraketen, Torpedoboote und Radargeräte bedienten. In den folgenden Tagen wurde allmählich klar, daß die Sowjets Ernst machten mit der von Parteichef Nikita Chruschtschow ausgesprochenen Drohung, man werde Kuba militärisch beistehen „im Zusammenhang mit der Bedrohung durch aggressive imperialistische Elemente“.

Nachdem in den USA 150.000 Reservisten einberufen wurden, begann die US-Navy ab dem 21. September, das Karibische Meer zu überwachen. Dies geschah zunächst, wie Außenminister Dean Rusk betonte, um Militärtransporte von Kuba nach benachbarten lateinamerikanischen Ländern zu verhindern. Doch die Gefahr drohte aus einer anderen Richtung. Sowjetische Emissäre trafen seit Januar 1962 alle Vorbereitungen für die Stationierung von atomaren Mittelstreckenraketen auf der Insel. Diese streng geheime Mission trug den Tarnnamen „Operation Anadyr“.

Daß es zu dieser Eskalation des Kalten Krieges überhaupt kam, lag an der feindseligen Einstellung der USA gegenüber den kubanischen Revolutionären unter Führung von Fidel Castro, die Anfang 1959 die Macht ergriffen hatten. Castro gebärdete sich anfangs eher als Nationalist denn als Kommunist. Doch die Eisenhower- und später die Kennedy-Administration betrachteten das Beispiel eines wirtschaftlich unabhängigen Kuba als schädlich für die Interessen der Vereinigten Staaten.

Bereits im Oktober 1960 wurde sämtlicher Handel mit den Kubanern eingestellt; dem folgte Anfang 1961 ein Abbruch der diplomatischen Beziehungen. Der US-Auslandsgeheimdienst CIA organisierte und finanzierte eine militärische Intervention auf der Insel. Dieses Unternehmen mit Kurs auf die kubanische „Schweinebucht“ bei Playa Girón scheiterte zwar im April 1961 kläglich, bewies aber eindeutig, wie weit die Aggressionsbereitschaft der USA reichte.

Derart bedrängt, wurde Castro förmlich in die Arme der Sowjetunion getrieben und bat dort um Waffenhilfe. Chruschtschow nahm begeistert diese Gelegenheit wahr, aus Kuba eine Art unsinkbaren Flugzeugträger der kommunistischen Weltrevolution zu machen. Dort wurde die 43. Raketendivision unter dem Kommando von Generaloberst Igor Statsenko stationiert. Zu ihr gehörten fünf Regimenter mit jeweils acht Mittelstreckenraketen vom Typ R-12 (Nato-Code „SS-4 Sandal“) und R-14 („SS-5 Skean“). Sie besaßen eine Reichweite bis zu 2.400 Kilometern und konnten nukleare Sprengköpfe von 1,3 bis 2,3 Megatonnen transportierten. Außerdem gelangten Flugabwehrraketen und ein Jagdgeschwader mit MiG-21-Flugzeugen auf die Insel. Schließlich waren noch vier motorisierte Schützenregimenter mit insgesamt 10.000 Soldaten und zwei Panzerbataillone mit Panzern vom Typ T-55 vorgesehen. Zum Kommandeur des sowjetischen Truppenkontingents auf Kuba wurde der aus dem Kaukasus stammende General Issa Plijew ernannt.

Im August 1962 entschied der sowjetische Verteidigungsrat, weitere taktische Atomwaffen zu installieren. So wurden eine Staffel Bomberflugzeuge vom Typ Iljuschin-28, ausgerüstet mit sechs Nuklearsprengköpfen von acht bis zwölf Kilotonnen, und drei weitere Abteilungen mit taktischen ballistischen Raketen nach Kuba verlegt. Inoffiziell galt das als Antwort auf die 1959 erfolgte Stationierung von zwei US-Staffeln mit je 25 nuklear bestückten Mittelstreckenraketen vom Typ „PGM 19 Jupiter“ in der Türkei, die unmittelbar auf die UdSSR gerichtet waren.

Als Moskau am 26. September 1962 den Bau eines Hafens „für die atlantische Fischereiflotte der Sowjetunion“ in der Bucht von Havanna bekanntgab, war das ein unmißverständliches Signal. Präsident Kennedy zeigte sich jetzt überzeugt vom militärischen Charakter dieser Operation, nur 150 Kilometer vor der Küste Nordamerikas. Es begannen folglich Aufklärungsflüge von US-amerikanischen U-2-Maschinen, die Luftbilder von Kuba aus enormer Höhe aufnahmen. Sie entdeckten am 14. Oktober nahe der im Nordwesten gelegenen Stadt San Cristobal sowjetische Techniker und Soldaten, die im Begriff waren, Abschußrampen für Raketen zu bauen. Präsident Kennedy wurde am 16. Oktober von seinem Sicherheitsberater McGeorge Bundy alarmiert.

Es begann jene 13 Tage währende „Kuba-Krise“, die unsere Welt bis hart an den Rand eines atomaren Vernichtungskrieges führte.

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