© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/12 21. September 2012

Meldungen

Hermann Hesse: Fühlte sich zu Ärzten hingezogen

BERLIN. In Christoph Stedings monströser Polemik „Das Reich und die Krankheit der europäischen Kultur“ (1938) figurieren Stefan George und Thomas Mann als wichtigste schriftstellerische Exponenten einer morbiden Weltanschauung „ewiger Kurgäste“. Neben ihnen hätte auch Thomas Manns Freund Hermann Hesse, seit 1924 Schweizer Staatsbürger, in Stedings „Reichsfeinde“-Galerie einen vorderen Platz besetzen können. Denn psychisches Leiden ist nicht nur zentrales Thema in vielen von Hesses „Selbstfinder“-Texten, es trieb den Dichter selbst oft genug in die Behandlung von Psychiatern. Im Deutschen Ärzteblatt (Heft 31-32/2012) akzentuiert Klaus Brath jetzt die Lebensgeschichte dieses mit dem Nobelpreis gekrönten „Patienten“. Insgesamt, so rechnet Brath vor, habe Hesse zwischen 1923 und 1952 allein drei Jahre seines Lebens mit regelmäßigen Kuren im schweizerischen Baden verbracht, wo er Heilung seiner rheumatischen Beschwerden suchte. Nach einem Suizidversuch verbrachte er schon in der Pubertät einige Zeit in der Heilanstalt, später unterbrachen zahlreiche Sitzungen bei Psychoanalytikern das Tagewerk des Mannes, „der sich zu Ärzten hingezogen fühlte“. Bei aller Begeisterung für die Tiefenpsychologie habe die Konzentration auf seine „seelische Gesundheit“ aber nie dazu geführt, Hesses „künstlerische Kreativität“ zu erdrücken. (wm)

 

Jerusalem: Die Spur der verschleppten Bücher

BERLIN. Nach dem ersten israelisch-arabischen Krieg (1948) plünderten Mitarbeiter der jüdischen National- und Universitätsbibliothek in Jerusalem Wohnungen von Angehörigen der palästinensischen kulturellen Oberschicht. Die erbeuteten 30.000 Bücher und Manuskripte wurden zunächst betont langsam katalogisiert und verschwanden in den Sechzigern mit der Signatur AP (abandoned property, „aufgegebener Besitz“) in einem unterirdischen Lagerraum der Bibliothek. Palästinensische Bitten wenigstens um teilweise Rückgabe beantwortet die Nationalbibliothek bis heute mit „absurden“ Vorwänden, wie der Literaturwissenschaftler Gish Amit berichtet (Kulturaustausch, 3/2012). Dabei könnte, nach dem Modell deutsch-jüdischer Rückübertragung, die Rückerstattung dieser verschleppten Bücher einen „Prozeß der Wiedergutmachung und Versöhnung“ zwischen Juden und Arabern befördern. Eine Geste, die der Bibliotheksverwaltung mit Blick auf ihre eigene Vergangenheit leichtfallen sollte. Denn Nationalbibliothek und Hebräische Universität stünden in einer ursprünglich antizionistischen Tradition. Die meisten Intellektuellen, die man mit diesen Institutionen verbinde, wie Gershom Scholem oder Martin Buber, seien die „beständigsten Kritiker des politischen Zionismus“ gewesen. (dg)

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