© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/12 21. September 2012

Das gemachte Geschlecht
Gender-Ideologie: Der totalitäre Charakter dieser Bewegung erschließt sich nicht auf den ersten Blick
Baal Müller

In Deutschland steht das Kartell der Gender-Ideologen noch felsenfest, aber „in Norwegen haben die Männer wenigstens Eia“, schrieb der Männerrechtler Arne Hoffmann kürzlich in seinem Blog Genderama. Was der 1966 geborene Kabarettist und Soziologe Harald Eia (siehe Interview auf Seite 3 dieser Ausgabe) mit seiner Fernsehreportage Hjernevask („Gehirnwäsche“) erreicht hat, ist in der Tat sensationell: Mit naiv-gutmütigen Fragen aus der Perspektive eines irritierten gesunden Menschenverstandes rührt er nacheinander an sämtliche Tabus des herrschenden Konstruktivismus, der jegliche Unterschiede zwischen Menschen auf soziokulturelle Bedingungen reduziert, und führt die Weltfremdheit insbesondere der „Gender-Experten“ vor, die sich in ihrem Elfenbeinturm weder um alltägliche Lebenserfahrungen noch um neurologische oder genetische Erkenntnisse scheren.

Die Folge der bereits vor anderthalb Jahren ausgestrahlten (von unseren Medien weitgehend verschwiegenen) Sendereihe war ein politisches Erdbeben: Zum 31. Dezember 2011 erfolgte auf einstimmigen Beschluß des Nordischen Rates die Schließung des Gender Instituts der Universität Oslo, das über ein jährliches Budget von 56 Millionen Euro verfügte.

Die Ausgangsfrage der Sendung, wie es zum „Gleichstellungsparadox“ komme – dem Phänomen, daß norwegische Frauen trotz des Spitzenplatzes ihres Landes im „Gender-Gap-Index“ sogar eher traditionell weibliche Berufe bevorzugen als gleichstellungspolitisch weniger verwöhnte Frauen anderer Länder – ist, nebenbei bemerkt, nur für „gewaschene“ Gehirne unerklärlich: Des Rätsels Lösung besteht darin, daß Frauen im von Wohlstand, sozialer Sicherheit und besonderer Frauenförderung geprägten Norwegen es sich leisten können, diejenigen Berufe zu erlernen, zu denen sie sich von Natur aus hingezogen fühlen.

„Natur“ ist ein Unwort für Gender-Ideologen, in deren technokratischem Konzept es nichts geben darf, was sich ihrem Machbarkeitswahn nicht fügt. Der totalitäre Charakter dieser menschenfeindlichen – bestenfalls nur zu immenser Geldverschwendung führenden – Bewegung erschließt sich jedoch nicht immer auf den ersten Blick: Gender-Mainstreaming bedeutet, laut offizieller Erklärung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf der Internetseite www.gender-mainstreaming.net, „bei allen gesellschaftlichen Vorhaben die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern von vornherein und regelmäßig zu berücksichtigen, da es keine geschlechtsneutrale Wirklichkeit gibt“.

Diese Zielvorgabe kann sogar als Korrektur am traditionellen Feminismus gesehen werden, der stets nur Frauen als benachteiligte Subjekte im Blick hatte. Tatsächlich stellte die Gender-Theorie in mancherlei Hinsicht eine Neuorientierung dar, die von manchen Feministinnen, sie sich um ihre Privilegien als Frauenbeauftragte sorgten, beargwöhnt wurde – andererseits erfolgte die Durchsetzung des Gender-Mainstreaming seit den neunziger Jahren vor allem deshalb, weil die bisherigen Frauenförderprogramme zu wenig Wirkung zeigten.

Grob gesagt, können innerhalb des klassischen Feminismus zwei Haupttendenzen unterschieden werden: eine weiblich-identitäre, die – etwa von der Matriarchatstheoretikerin Heide Göttner-Abendroth, der Archäologin Marija Gimbutas oder der Kulturwissenschaftlerin Camille Paglia repräsentiert – die Unterschiedlichkeit der Geschlechter anerkennt und mit Nachdruck thematisiert. Und eine „neutralistisch“-konstruktivistische Linie, die vor allem auf Simone de Beauvoir zurückgeht und in Deutschland von Alice Schwarzer popularisiert wurde.

Nach dieser Auffassung wird man nicht weiblich geboren, sondern von der Gesellschaft durch sprachliche und sonstige kulturelle Zuschreibungen „zur Frau gemacht“, was letztlich auch die Ablehnung von Fördermaßnahmen impliziert, die sich an den tatsächlichen, in Umfragen immer wieder festgestellten, Interessen von Frauen orientiert. Diese dabei zu unterstützen, ihre Kinder selbst zu erziehen oder Beruf und Kindererziehung vereinbaren zu können, perpetuiert dann immer nur das „falsche Bewußtsein“, das es durch „geschlechtersensible“ – de facto die psychischen Differenzen brutal einebnenden – Umerziehungsmaßnahmen zu beseitigen gilt, bis der erwünschte geschlechtsneutrale Homunkulus geschaffen ist.

Vor diesem Hintergrund erscheint die regierungsamtliche Verlautbarung in einem anderen Licht: Mit dem auf der Seite des Bundesfamilienministeriums angeführten Artikel 3 Grundgesetz, der die Gleichberechtigung von Männern und Frauen festschreibt und den Staat zu deren tatsächlicher Durchsetzung verpflichtet, hat Gender-Mainstreaming wenig zu tun, da diese Ideologie in Wahrheit die Unterschiedlichkeit – und damit die Existenz – von Mann und Frau leugnet beziehungsweise auf wenige physiologische Äußerlichkeiten reduziert.

Bedauerlicherweise haben die Gender Studies dazu geführt, daß die kulturwissenschaftliche Erforschung der Geschlechterbeziehungen mittlerweile als Agitprop diskreditiert ist – denn daran, daß die biologischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern („sex“) in jeder Kultur anders interpretiert werden („gender“), zweifelt heute niemand mehr, wohl aber an dem Dogma ihrer Nichtexistenz.

Zu dieser Desorientierung ganzer Wissenschaftszweige hat die in Berkeley lehrende Philosophin Judith Butler mit Büchern wie „Gender Trouble“ (dt: Das Unbehagen der Geschlechter) oder „Undoing Gender“ erheblich beigetragen. Die am 11. September mit dem Theodor-W.-Adorno-Preis ausgezeichnete – 1998 allerdings von der Zeitschrift Philosophy and Literature mit dem ersten Preis einer Bad Writing Competition „geehrte“ – Autorin widerlegt ihre absurden Theorien schon durch ihre maskuline Physiognomie: Eine lesbische Frau, die aussieht wie der frühe Kirk Douglas (bloß ohne Delle im Kinn), mag vielleicht Unbehagen an ihrem Geschlecht empfinden, nur sollte sie aus ihren mutmaßlichen hormonellen Besonderheiten keine allgemeinen „Queer“-, „Trans“- oder sonstigen „Gender“-Normen ableiten. Es wird Zeit, daß auch bei uns ein Narr, wie der Komiker Harald Eia, die Wahrheit sagt.

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