© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/12 21. September 2012

Schwierige Koalitionssuche im Zeichen der Krise
Niederlande nach den Parlamentswahlen: Liberale und Sozialdemokraten haben rechnerisch die absolute Mehrheit, liegen aber inhaltlich weit auseinander
Mina Buts

Dem liberalen Politiker Henk Kamp (VVD) ist die schwierige Aufgabe übertragen worden, in den Niederlanden eine neue Regierung auf den Weg zu bringen. Zum vierten Mal innerhalb von zehn Jahren waren die Wähler aufgefordert, ein neues Parlament zu wählen. Die Koalition aus den Rechtsliberalen der VVD und den Christdemokraten CDA mit Duldung der antiislamistischen PVV von Geert Wilders war im Frühsommer am Streit über die notwendigen Sparmaßnahmen zerbrochen. Diese standen dann auch im Fokus der Parteien, während die Euro-Krise und die Zukunft der Europäischen Union kaum eine Rolle spielten.

Ausgerechnet die zwei Parteien, die sich am unversöhnlichsten gegenüber-standen, sind nun als Sieger und beinahe gleich stark aus den Wahlen hervorgegangen. Die wirtschaftsliberale VVD mit ihrem designierten Ministerpräsidenten Mark Rutte erreichte 41 von 150 Sitzen, die sozialdemokratische PvdA mit ihrem Spitzenkandidaten Diederik Samsom 38. Beide gemeinsam würden zwar rechnerisch über die absolute Mehrheit im Parlament verfügen, doch hatte niemand eine Zusammenarbeit so kategorisch ausgeschlossen wie Samsom selbst.

Während die VVD das multikulturelle Zusammenleben für gescheitert hält und keine Unterstützung für Migranten möchte, die sich in den Niederlanden nicht anpassen, erklärt Samsom, daß es „das multikulturelle Zusammenleben längst gibt. Wir arbeiten hart daran, damit es funktioniert.“ Während die VVD die Arbeitslosenunterstützung durch Kürzung und Schaffung neuer Jobs zurückdrängen möchte, ist Samsom strikt gegen Streichungen in diesem Bereich. Und derweil Rutte eine Frauenquote im Kabinett ablehnt, fordert Samsom diese gleich zur Hälfte.

Das niederländische Nachrichtenmagazin Elsevier hält denn auch eine mögliche Koalition der beiden für „ein Desaster“. Es gäbe dann, so Elsevier, nicht nur Steuererhöhungen und Kürzungen im Gesundheits- und Sozialbereich, sondern – bei gleichzeitiger Förderung alternativer Energien – noch mehr Finanztransfers nach Griechenland und Spanien.

Dennoch scheinen sich die beiden Parteien nach den ersten Sondierungsgesprächen anzunähern. Die Unterschiede, so läßt Samsom schon jetzt verlauten, könnten durchaus „überbrückt“ werden. Emile Roemer, der Vorsitzende der Sozialisten, denen noch im Juli ein fulminantes Wahlergebnis prognostiziert worden war und die wenigstens auf Koalitionsverhandlungen spekulierten, schäumt: Das seien „sinnlose Exerzitien“.

Die antiislamistische PVV von Geert Wilders ist zwar immer noch drittstärkste Partei im Land, hat aber herbe Verluste hinnehmen müssen. „Der rassistische Führer ist in der Wahlurne begraben“, freute sich entsprechend die türkische Tageszeitung Hürriyet. Das Umschwenken der PVV auf Euro-Kritik verbunden mit der Weigerung, noch mehr Gelder nach Südeuropa zu pumpen, hat im Wahlkampf ebenfalls nicht überzeugt. In einer Fernsehshow hatte Wilders Rutte heftig gerügt, er werde sich nach den Wahlen bestimmt nicht mehr daran erinnern, daß er ebenfalls jede weitere Unterstützung abgelehnt habe.

Der europäische Parlamentspräsident Martin Schulz jedenfalls freut sich, daß „die pro-europäischen Parteien ein so gutes Ergebnis eingefahren haben“.

Es wirft ein Schlaglicht auf die niederländische Auffassung von Meinungsfreiheit und Liberalität, daß selbst die radikal-protestantische SGP punkten konnte. Im Gespräch ist die SGP seit Jahren, da sie das aktive und passive Wahlrecht von Frauen ablehnt und in einigen niederländischen Gemeinden sogar ein „Fluchverbot“ durchgesetzt hat. Selbst die unglaubliche Äußerung ihres Spitzenkandidaten Kees van der Staaij, es sei eigentlich unmöglich, daß eine Frau nach einer Vergewaltigung schwanger werden würde, hat der Partei nicht geschadet, sondern ihr sogar noch einen Sitz mehr im Parlament beschert.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen