© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/12 21. September 2012

Debatte um blasphemischen Film
Provokation um jeden Preis
Dieter Stein

Am kommenden Samstag wird in Berlin wieder der alljährliche „Marsch für das Leben“ stattfinden. Dort wird des hunderttausendfachen Todes ungeborener Kinder durch Abtreibung gedacht. Für die mutigen Lebensschützer ist dies ein Spießrutenlauf vorbei an haßerfüllten Gegendemonstranten. Teilnehmern wurden schon mitgeführte Holzkreuze entrissen und in die Spree geworfen. „Hätt’ Maria abgetrieben, wärt ihr uns erspart geblieben“ ist nur einer von unzähligen Sprüchen, mit denen die religiösen Gefühle der Demonstranten verletzt werden.

Aus den vergangenen Jahren ist nicht bekannt, daß die Bundeskanzlerin oder der Bundestagspräsident blasphemische Äußerungen dieser Art verurteilt hätten. Auch forderte der Bundesinnenminister nicht ein Verbot der antichristlichen Gegendemonstrationen. Als die Satirezeitschrift Titanic jüngst auf ihrer Titelseite den Papst als inkontinenten Greis verunglimpfte, wurde ein Verbot des Magazins nicht debattiert.

Indes wird jetzt über das Verbot von öffentlichen Aufführungen eines blasphemischen Films diskutiert. Einziger Unterschied: Hier ist der Islam Objekt und nicht das Christentum. Politiker aller Parteien, Repräsentanten des Staates und der Gesellschaft verurteilen das Machwerk. Denn: Radikale Moslems in arabischen Staaten stürmen aus Protest Botschaften, verbrennen US-Flaggen und töten westliche Diplomaten.

Mit dem westlichen Verständnis von Meinungsfreiheit ist der umstrittene Film zu vereinbaren. Er ist im Internet frei zu sehen. Ein derzeit diskutiertes staatliches Verbot in Deutschland ist abwegig. Daß auf der anderen Seite die Partei Pro Deutschland aus kalkulierter Provokation den Film in Berlin zeigen will, ist schäbig und typisch für eine überschießende Form des Anti-Islamismus. In zynischer Weise wird innenpolitisch Kapital aus einem ernsten Konflikt geschlagen. Mit einer konservativ-patriotischen Grundlinie und der „Bewahrung des christlichen Abendlandes“, wie die Gruppierung behauptet, hat ein solches Vorgehen nichts zu tun.

Diese Provokation geschieht, während in Syrien die christliche Minderheit vor dem Exodus steht. Ihre Existenz ist nicht vom Assad-Regime bedroht, sondern von durch den Westen unterstützte islamistische Rebellen, die Kirchen anzünden und Jagd auf „Ungläubige“ machen. Gleichzeitig befindet sich der Papst im Libanon und ruft unterschiedliche Religionen und Konfliktparteien zur Besonnenheit und Vermittlung auf.

Daß in der moslemischen Welt noch ein Ehrbegriff intakt ist, der eine Beleidigung der eigenen Religion unstatthaft macht, ist respektabel – solange dies gewaltfrei geschieht. Bis 1968 war dies auch hierzulande gesellschaftlicher Konsens. Eine konservative Position verlangt, die eigene Religion und Sittengesetze zu verteidigen, die anderer Kulturen jedoch zu tolerieren, solange sie nicht in das eigene Leben eingreifen.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen