© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/12 14. September 2012
Kreative Stalinistin Das ist ein kalter Putsch gegen das Grundgesetz.“ Schärfer noch als die Koalitionsdissidenten Frank Schäffler (FDP) und Peter Gauweiler (CSU) kritisierte die stellvertretende Vorsitzende der „Linke“-Fraktion Sahra Wagenknecht in der Bundestagsdebatte Ende Juni die Zerstörung der Haushaltshoheit der nationalen Parlamente durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Vom schwarzen Euro-Rebellen aus München umschmeichelt, von Talkshows und Feuilleton als eloquente Kapitalismuskritikerin umworben, als Gesicht der desolaten „Linken“ gehandelt – die Euro-Krise hat der einstigen Jung-Stalinistin der SED-PDS-Linkspartei und Lafontaine-Lebensgefährtin einen zweiten politischen Frühling beschert. Es kommt nicht von ungefähr, daß die zumeist ernst dreinblickende Ideologin mit der strengen Frisur und dem überkorrekten Kleidungsstil, die sich nicht gern beim Lachen erwischen läßt, neuerdings mit Peter Gauweiler einträchtig auf Podien sitzt und von dem CSU-Mann sogar mit einer wohlwollenden Rezension der Neuauflage ihres Manifests „Freiheit statt Kapitalismus“ auf der Netzseite der Süddeutschen Zeitung bedacht wurde. Intellekt und Ausstrahlung kann man der 43jährigen nicht absprechen. Wagenknecht hat nicht nur viel gelesen, sondern das Gelesene auch verdaut. Wenn sie Kapitalismuskritik mit Goethe betreibt, schöpft die Germanistin aus den Früchten ihrer Lesewut. Sie argumentiert und belegt. Man darf annehmen, daß ihre volkswirtschaftliche Dissertation über „Sparentscheidungen und Grundbedürfnisse in entwickelten Ländern“, die sie soeben an der TU Chemnitz eingereicht hat, wohl nicht geguttenbergt ist. In ihrer Analyse der Schuldenkrise rezipiert Wagenknecht statt marxistischer Klassiker die ordoliberalen Säulenheiligen der Marktwirtschaft, preist mit Schumpeter den werteschaffenden Unternehmer im Gegensatz zum bloßen couponabschneidenden „Kapitalisten“, spielt Ludwig Erhards ordnungspolitische soziale Marktwirtschaft gegen Merkels „marktkonforme Demokratie“ aus und macht sein Schlagwort „Wohlstand für alle“ zum Kronzeugen ihres „kreativen Sozialismus“. Bei den Schlußfolgerungen daraus spricht dann allerdings wieder ganz die dogmatische Linke, die alles Übel bei den „Millionären“ und „Reichen“ vermutet und Verstaatlichung für die beste Therapie hält: Der eben noch als förderungswürdig entdeckte Unternehmer soll nach spätestens einer Generation per Vermögens- und Erbschaftssteuer sowie erzwungener Mitarbeiterbeteiligung wieder enteignet werden, statt das Aufgebaute an die nächste Generation zu übergeben. Die Lösung der Krise stellt sich Wagenknecht so vor: Altschulden streichen, Finanzkonzerne verstaatlichen und per Millionärssteuer rekapitalisieren. Durch Umverteilung „von oben nach unten“ die Konjunktur durch gesteigerte Binnennachfrage ankurbeln – und im übrigen: Staaten durch die EZB direkt finanzieren statt über Banken. Bei allen Ungereimtheiten kommt das zwar fundierter daher als das übliche ressentimentgesteuerte Nörgeln, mit dem das Spitzenpersonal der „Linken“ bisher im Heimspiel um die Euro-Krise im Abseits stand. Wagenknecht positioniert sich so als intellektuelle Führungsfigur der kommunistischen Partei, an der über kurz oder lang keiner vorbeikann. Selbst Fraktionschef Gregor Gysi, der Wagenknecht seit den Richtungsstreitigkeiten der neunziger Jahre erbittert bekämpft und ob ihres Dogmatismus auch mal als „Njet-Maschine“ verspottete, tat dieser Tage kund, er könne sich seine Stellvertreterin sehr wohl als seine Nachfolgerin vorstellen. Aber erst später, sie müsse noch lernen. Das rote Tuch ist für Gysi und Genossen Wagenknechts fundamentalistische Haltung, die von Regierungsbeteiligungen der PDS in Koalitionen mit SPD oder Grünen nichts wissen will. Im kommunistischen Theorieorgan Weißenseer Blätter hatte Wagenknecht noch 1992 den Stalinismus als unter den gegebenen Umständen „einzig mögliche Form eines realisierten Sozialismus“ verteidigt, die Mauer als „notwendiges Übel“ gerechtfertigt und den Verfall der DDR auf das Einknicken des Sowjetblocks vor der westlichen „Entspannungspolitik“ zurückgeführt. Das lasen die alten Kader gern, den geschmeidigen Propagandisten eines „demokratischen Sozialismus“ um den wendigen Gysi war es peinlich. Wagenknecht durfte zwar weiter alte Kommunistenseelen streicheln, aber nicht in der ersten Reihe sitzen. Verbal hat sie einiges davon inzwischen relativiert und sich den geschmähten „Opportunisten“ und „Reformern“ angepaßt. Ihre Sprache hat sie entstaubt, und selbst am System der alten Bundesrepublik vermag sie inzwischen positive Züge zu entdecken. In der Sache macht Wagenknecht weiter keine Kompromisse: Vom Gedenken an Opfer des Stalinismus will sie auch 2008 noch nichts wissen, die DDR ist kein „Unrechtsstaat“ für sie, weil ja auch in der „kapitalistischen“ Bundesrepublik keine wirkliche Demokratie möglich sei, und den im Jahr 2000 in der Zeit formulierten „Traum“ von der Überwindung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse träumt sie unter neuen Überschriften unverdrossen weiter. Wollte nun der eine Übervater der vereinigten Ost-West-„Linken“ sie nicht fördern, mußte eben der andere ran. Am 12. November 2011, wenige Tage nach ihrem Aufstieg zur Ersten stellvertretenden Vorsitzenden der Bundestagsfraktion, bei der der Saar-Napoleon auch schon kräftig mitgemischt hatte, machte Oskar Lafontaine seine Liaison mit Wagenknecht öffentlich, die wie er noch mit einem anderen Partner verheiratet ist. Von dem gut ein Vierteljahrhundert älteren Saarländer hat die vaterlos aufgewachsene Jenenserin – ihr Erzeuger war ein in West-Berlin studierender Iraner, der die Stadt aufgrund einer auslaufenden Aufenthaltsgenehmigung verlassen mußte, als sie gerade drei war – offenbar einiges gelernt. Wie Lafontaine schreibt sie jetzt statt sozialistischer Traktate programmatische Bücher, die zugleich ihren Führungsanspruch untermauern. Um seinem zweiten Frühling den Weg an die Spitze zu ebnen, warf sich der 69jährige Lafontaine auf dem Göttinger Parteitag der „Linken“ im Juni noch einmal in die Schlacht, überwarf sich mit seinem alten Kumpan Gysi, riskierte die Parteispaltung und schaffte es immerhin, seinen und Wagenknechts Intimfeind, den bei den pragmatischen Ost-Linken beliebten Ex-Geschäftsführer Dietmar Bartsch, noch einmal zu verhindern und statt seiner den farblosen West-Gewerkschafter Bernd Riexinger zu installieren. Für Wagenknecht, die gelobt hatte, Lafontaines „Rache“ zu vollenden, reichte es dennoch nicht zum Parteivorsitz. Der Machtkampf ist indes nur vertagt. Für 2013 will Lafontaine Wagenknecht als Bundestags-Spitzenkandidatin durchsetzen – Fraktionschef Gysi, der seinen Vize und eigentlichen Wunsch-Kronprinzen Bartsch bevorzugt, sperrt sich. Aber die „Lady Macbeth der Linken“, die Einzelgängerin, die in der DDR, anders als ihre FDJ-Genossin Angela Merkel, wegen ungenügender Aufgeschlossenheit „fürs Kollektiv“ nicht studieren durfte, kann auf ihre Stunde warten.
Stationen der Sahra Wagenknecht 1969 geboren in Jena 1988 Abitur in Berlin März 1989 Eintritt in die SED 1990–1996 Studium der Philosophie und Neueren Deutschen Literatur 1996 Abschluß des Studiums mit einer Arbeit über Hegel und Marx 1991–1995 (2000–2007) Mitglied des Parteivorstandes Linkspartei PDS 1991 Mitglied der Leitung der Kommunistischen Plattform (KPF) der PDS 1998 Direktkandidatin der PDS zur Bundestagswahl in Dortmund 2007 Mitglied im Parteivorstand 2007 Programmkommission der Linken 2004–2009 Mitglied des EU-Parlaments 2009 Wahl in den Bundestag (Düsseldorf-Süd: 9,7 Prozent der Erst- und 9,9 Prozent der Zweitstimmen) 2009–2012 Wirtschaftspolitische Sprecherin der Fraktion 2010 ruhende Mitgliedschaft in der KPF Mai 2010 Wahl zur Stellvertretenden Vorsitzenden (75,3 Prozent ) November 2011 Wahl zur Ersten Stellvertretenden Vorsitzenden der Fraktion Foto: Sahra Wagenknecht: Die zumeist ernst dreinblickende stellvertretende Vorsitzende auf dem Bundesparteitag der Linken in Erfurt (22. November 2011) |