© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/12 14. September 2012

Schwarze Löcher
Finanzmarkt: Nicholas Shaxsons Recherchen in der Welt der Steueroasen / Delaware lernte vom britischen Vorbild
Michael Wiesberg

In Großbritannien gehörte Nicholas Shaxsons Buch „Treasure Islands“, das unter dem Titel „Schatzinseln“ inzwischen auch auf deutsch erschienen ist, über Monate hinweg zu den bestverkauften Sachbüchern. In hiesigen Kreisen hält sich die Resonanz indes bisher in Grenzen, was bei der Brisanz, die dieses Buch bietet, einigermaßen verwundert. Shaxson, ein in Malawi geborener und heute in der Schweiz lebender britischer Journalist, macht schnell deutlich, daß sich Steueroasen keineswegs nur auf exotischen Inseln in der Karibik oder anderswo finden, sondern auch in den Zentren der Weltwirtschaft. Und noch mit anderen Vorstellungen räumt Shaxson auf: Die größten Profiteure der Steueroasen sind keineswegs irgendwelche dunklen Existenzen aus Mafiakreisen, Prominente oder Terroristen, sondern Banken, deren Großkunden und international agierende Konzerne. Ihnen geht es nicht nur um die Umgehung von Steuern, sondern auch um das Unterlaufen von Finanzmarktregulierungen.

Um hier einen Eindruck von den Größenordnungen zu geben, um die es geht: „Über die Hälfte aller Bankvermögen“, so Shaxson, „sowie ein Drittel der ausländischen Direktinvestitionen multinationaler Konzerne werden ins Offshore-System geleitet“. 2010 schätzte der Internationale Währungsfonds (IWF), daß sich die Bilanzen der Insel-Steueroasen auf 18 Billionen Dollar beliefen, was rund einem Drittel des weltweiten Bruttoinlandsproduktes (BIP) entspricht. Mit anderen Worten: Steueroasen als Möglichkeit, „sich den Regeln, Gesetzen und Regulierungen anderer Gebietskörperschaften zu entziehen“, werden immer attraktiver. Den Kunden von Steueroasen wird, so Shaxson, ein „Fluchtweg“ eröffnet, weg von Steuern, verantwortungsvoller Finanzmarktregulierung oder Erbschaftsgesetzen bzw., um es mit anderen Worten zu sagen, weg „von jenen Pflichten, die sich daraus ergeben, daß jemand in einer Gesellschaft lebt und von ihr profitiert“. Eine Entwicklung mit erheblichen Konsequenzen, wie zum Beispiel die nichtstaatliche Organisation Eurodad feststellte, die die Offshore-Welt als bislang stärkste Kraft verortete, „mit der Vermögen von den Armen zu den Reichen verschoben werden“.

Shaxson hat die wichtigsten Komponenten des globalen Steueroasen-Netzwerkes besucht und mit einer Reihe von „Insidern“ sprechen können. Was er dabei zutage gefördert hat, wird in den Medien, wenn überhaupt, bestenfalls angedeutet. Dies gilt zum Beispiel für die City of London, einem Stadtteil mit einem hohen Grad an Autonomie, dessen Aufstieg zum wichtigsten Zentrum der Offshore-Finanzwelt Shaxson nachzeichnet. Die Sonderrolle dieses „merkwürdigen Gebildes“, wie es Christian Bunke in einem Beitrag für das Online-Magazin Telepolis ausdrückte, hat ihre Wurzeln in ihrer Stellung im britischen Kolonialsystem; schon dort galt die City als „Bastion des Widerstands gegen jegliche Form des regulierten Kapitalismus“. Heute ist sie Mittelpunkt eines Kranzes von Finanzoasen, zu denen die englischen Kronbesitzungen Guernsey, Jersey, die Isle of Man, aber auch Gibraltar, die Caiman und Virgin Islands und die Bermudas zählen. Offiziell sind diese Finanzoasen wirtschaftlich und steuerrechtlich selbständig; tatsächlich werden diese Restbestände des britischen Empires von der City of London aus dirigiert.

In den USA hat das City-Modell Schule gemacht, wobei die föderale Struktur der Vereinigten Staaten hilfreich war. Hier kommt unter anderem dem kleinen US-Ostküstenstaat Delaware eine Rolle zu, die in etwa mit der der City of London verglichen werden kann. In der Hauptstadt Wilmington werden Hunderttausende von Special Purpose Entities (SPE/Einzweckgesellschaften) verwaltet, für die dank Computertechnik nicht mehr der Begriff „Briefkastenfirmen“ als Erklärhilfe taugt. In Delaware saßen und sitzen – juristisch gesehen – die Beteiligten der Irrsinnsgeschäfte mit gebündelten US-Schrotthypotheken und anderen Finanzkonstrukten, die 2008 die größte Finanzkrise seit 1929 mit ausgelöst haben. Doch Delaware haben deutsche Finanzminister – im Gegensatz zur Schweiz – nie mit der Kavallerie gedroht.

Allgemein gilt 1986 als „Big Bang“ für den heutigen Status der City; es war das Jahr, in dem die britische Premierministerin Margaret Thatcher die Londoner Märkte deregulierte. Shaxson zeigt aber, daß es einen „Bigger Bang“ gab, den er in der Entstehung des Euro(geld)- bzw. Offshore-Finanzmarktes Mitte bis Ende der fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts verortet. Dieser Markt hat mit dem Euro natürlich nichts zu tun. „Euro“ meint hier, daß die Wertpapiere, die auf diesem Markt gehandelt werden, außerhalb des Landes umgesetzt werden, in dessen Währung sie ausgestellt wurden.

Shaxson sieht hier die Geburtsstunde eines neuen Gebildes, das die Londoner City „zu noch größerem finanziellem Ruhm“ geführt habe. Diese Einschätzung wirft ein Schlaglicht auf die Haltung des britischen Premierministers David Cameron auf dem EU-Gipfel im Dezember letzten Jahres, der quasi ultimativ forderte, daß die City bei künftigen Finanzmarktregulierungen außen vor zu bleiben habe.

Nicholas Shaxson: Schatzinseln – Wie Steueroasen die Demokratie untergraben. Rotpunktverlag, Zürich 2011, broschiert, 416 Seiten,
24,50 Euro

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