© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/12 14. September 2012

Mahnmale des ökonomischen Größenwahns
Irland: Die Wirtschaftskrise hat zahlreiche leere Haussiedlungen und ratlose Politiker hinterlassen
Daniel Körtel

Wer durch Irlands einsamen Westen reist, stößt immer wieder auf Ruinen von kleinen Landhäusern, die in jedem Bildband über die grüne Insel zu finden sind und eine Ahnung von den ärmlichen Lebensverhältnissen der damaligen Iren vermitteln. Doch mehr als 150 Jahre später finden sich in den irischen Landschaften vor allem am Rand vieler Gemeinden eine neue Art makabrer Architekturdenkmäler. Diesmal nicht als Zeugen eines tragischen Schicksalsschlags, sondern als Mahnmale jenes neuzeitlichen Größenwahns, der eine gigantische Immobilienblase formte und zum Platzen brachte. Für diese bezugsfertigen oder noch in der Bauphase aufgegebenen Wohnanlagen hat sich die sinnbildliche Bezeichnung „ghost estates“ – Geistersiedlungen – eingebürgert.

Irlands Wirtschaftswunder befeuerte vor 20 Jahren eine bis dahin beispiellose Bauwut, die nach der Euro-Einführung durch die niedrigen Zinsen zusätzlich angeheizt wurde. So stiegen die Immobilienpreise im Vertrauen auf eine stetige Aufwärtsentwicklung immer weiter nach oben. Selbst mancher mittellose Ire stieg in das Spiel ein. Der irische Staat kassierte eifrig mit, denn die Stempelsteuer, mit der die Rechtsübertragung des Eigenheims an den Eigentümer erfolgt, ist an den Wert der Immobilie gekoppelt und zählte zu den wichtigsten Einnahmequellen des Staates. Mit im Boot saßen deutsche Banken, die das große Geschäft witterten und nach den Briten die zweitgrößten Gläubiger irischer Banken stellen. An Warnungen fehlte es nicht. Bereits 2006 – zwei Jahre vor dem Platzen der Blase – kritisierte der Ökonom David McWilliams die Fehlsteuerung im Bausektor.

Einem offiziellen Bericht vom vergangenen Jahr zufolge konnten 2066 nicht fertiggestellte beziehungsweise freie „ghost estates“ ermittelt werden. Die meisten davon wurden ausgerechnet im strukturschwachen und dünnbesiedelten Westen und Nordwesten der Insel am Bedarf vorbei gebaut. Für diese Häuser müssen die Gemeinden die Infrastruktur wie Trinkwasser und Abwasserentsorgung aufrechterhalten. Vor allem müssen sie als Unfallfallen gegen Unbefugte abgesichert werden. Nach dem im Juli veröffentlichten Fortschrittsbericht konnten bislang 211 dieser Siedlungen fertiggestellt oder abgesichert werden, während 770 weitere in Bearbeitung sind. Für einen kleineren, nicht bezifferten Teil stellte die zuständige Ministerin den Abriß in Aussicht.

Bis heute ist keine abschließende Lösung für das Problem gefunden worden. Angesichts der Überkapazitäten bleibt immer noch die Frage offen, wer überhaupt in den Häusern wohnen soll, selbst wenn ein Teil davon als Sozialwohnungen vermietet wird.

Wie tief die Ratlosigkeit über dieses Problem ist, zeigte nun der seltsame Vorschlag von Staatspräsident Michael D. Higgins, die leeren Häuser älteren irischen Auswanderen in Großbritannien für Ferienaufenthalte in der alten Heimat zur Verfügung zu stellen.

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