© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/12 14. September 2012

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Brückenbauer aus dem Osten
Ekkehard Schultz

Erika Steinbach gibt sich mit dem Erreichten nicht zufrieden. Trotz der Fortschritte bei der vom Bund der Vertriebenen (BdV) angestoßenen Erinnerungsstätte für die Opfer von Flucht und Vertreibung war die Liste, die die BdV-Präsidentin am vergangenen Wochenende auf der Festveranstaltung ihres Verbandes zum Tag der Heimat in Berlin vortrug, beachtlich. Als aktuelle Forderungen an die Politik nannte Steinbach die Zahlung einer Entschädigung für deutsche Zwangsarbeiter sowie die Einführung eines nationalen Gedenktages für die Heimatvertriebenen. Der bisher dafür oft verwendete Volkstrauertag sei für diesen Zweck nur unzureichend geeignet. Bereits 2003 habe der Bundesrat deswegen auf die Initiative des Landes Hessen hin beschlossen, daß es einen solchen Gedenktag geben muß. Eine Umsetzung dieser Entscheidung auf Bundesebene stehe jedoch immer noch aus.

In ihrer Rede erinnerte Steinbach zudem an den 20. Jahrestag des deutsch-ungarischen Freundschaftsvertrages von 1992. Bereits zwei Jahre zuvor habe das ungarische Parlament ein besonderes Zeichen gesetzt, indem dort bekundet wurde, sich nicht nur von der Vertreibung der Ungarndeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg zu distanzieren, sondern sich darüber hinaus auch bei den Betroffenen zu entschuldigen. Diese gute Tradition habe mit dem „Tag der Heimatvertriebenen“ von 2007 eine Fortsetzung gefunden, der eine „eindrucksvolle politische Geste von allen im ungarischen Parlament vertretenen Parteien“ gewesen sei.

Ein vergleichbarer Akt der Versöhnung sei in anderen Ländern leider noch undenkbar, sagte Steinbach. Allerdings wären auch dort Fortschritte zu erkennen. So gäbe es in der Tschechischen Republik inzwischen immer mehr Intellektuelle, die den Sudetendeutschen gegenüber aufgeschlossen seien und sich zum Teil auch auf deren Seite stellten. Dies trage wiederum dazu bei, daß auch „das Eis der dortigen Regierung langsam zu tauen“ scheine.

Im Hinblick auf das geplante Ausstellungs- und Informationszentrum in Berlin merkte Steinbach an, daß es in erster Linie den Vertretern des BdV zu verdanken sei, daß die Darstellung des Vertreibungsgeschehen nicht nur auf den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg begrenzt wird. Vielmehr würden nun ebenso die bereits davor liegenden Ursachen aufgezeigt, die bis in die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts zurückreichten. Zudem werde in der entstehenden Einrichtung der individuellen Erinnerung an die deutschen Heimatvertriebenen „angemessen und würdevoll“ Raum gegeben.

Insgesamt zog Steinbach das Fazit, daß sich das gesellschaftspolitische Klima in den vergangenen Jahren geändert hätte. Es gäbe sowohl in Deutschland als auch im Ausland heute „deutlich mehr Verständnis für dieses deutsche Schicksalsthema“. Dazu hätten die Betroffenen beigetragen, indem sie einerseits das Unrecht, das ihnen angetan wurde, benennen, aber andererseits auch – „wie kaum jemand sonst“ – die Grundpfeiler der „immer breiteren Brücke der Verständigung“ errichtet hätten.

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