© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/12 14. September 2012

Avanti Denunzianti
Kampf gegen Rechts: Baden-Württemberg setzt auf anonyme Anzeigen im Internet
Thorsten Hinz

Während politische Nostalgiker noch immer glauben, Wohl und Wehe das Landes hingen von der Rekonstruktion geschredderter Stasi-Akten und IM-Karteien ab, wird im grün-rot regierten Baden-Württemberg stramm an der Zukunft gearbeitet: „Helfen Sie bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus! – Wir wahren Ihre Anonymität“, heißt es neuerdings im Internet-Auftritt des Landeskriminalamts (siehe Seite 5). Die Bürger werden eingeladen, „sich im Sinne einer wehrhaften Demokratie aktiv für die Bekämpfung des Rechtsextremismus einzusetzen“. Wie das geht? Nun, indem man der Behörde rechtsextrem motivierte Straftaten anzeigt, ohne als Person hervorzutreten. Die Notwendigkeit dafür soll sich erwartungsgemäß aus den NSU-Morden ergeben – die bis heute alles andere als gerichtsfest und -notorisch sind.

Auch das Stuttgarter LKA weiß, daß die als rechtsextrem bezeichnete Kriminalität ganz überwiegend aus Propagandastraftaten besteht, die gezielt für eine bestimmte politische Zielgruppe definiert wurden. Und in der Tat: Es sollen auch solche Vorfälle gemeldet werden, „bei denen Menschen aufgrund ihrer Rasse oder Herkunft diskriminiert beziehungsweise ausgegrenzt werden“. Mit anderen Worten: Es geht darum, Kritik am multikulturellen Umbau Deutschlands zu ersticken, indem ihren Urhebern gedroht wird, sie per Denunziation namhaft zu machen. Zu diesem Zweck lädt der Staat die Bürger dazu ein, sich risikolos als Schnüffler, Blockwarte und Hexenjäger zu betätigen, die nach politischen Abweichlern und Gedankenverbrechern spähen.

Der Vorgang ist empörend, aber keine wirkliche Überraschung. Er ist ein logischer Schritt innerhalb einer kontinuierlichen Entwicklung. Begründet wird die Einrichtung der „gesicherten Kommunikationsplattform“ mit der Furcht der Informanten vor „persönlichen Nachteilen“. Welche sollen das sein? Die Anschwärzung von Andersdenkenden als „rechtsextrem“ und die Drohung mit dem Staatsanwalt sind längst Teil der politischen Auseinandersetzung geworden oder sind gar an ihre Stelle getreten. Es geht vielmehr um die Optimierung einer gängigen Praxis. Die anonymen Anzeigen gehen bisher überwiegend per Telefonanruf oder postalisch ein und erlauben keine Rückfragen. Dabei ist „gerade die Konkretisierung des Sachverhalts die Voraussetzung für die erfolgreiche Durchführung geeigneter Maßnahmen durch die Polizei“, so das LKA.

Jeder Mensch trägt in sich einen inneren Schweinehund. Die Qualität eines Gemeinwesens bemißt sich daran, welche Eigenschaften es fördert und welche es einhegt. Wer wird sich vom LKA angesprochen fühlen? Sicherlich Leute, die sich von der Denunziation politische, berufliche oder persönliche Vorteile versprechen, die sich rächen wollen oder einfach einen sadistischen Spaß daran haben, andere zu beängstigen.

Hans-Joachim Schädlich hat in seinem 1986 erschienenen Roman „Tallhover“ das Bild des zeitlosen, systemübergreifenden Denunzianten gezeichnet. Tallhover beginnt als Klassenpetzer, er ist beflissen, autoritär, ängstlich und schaut seiner Mutter heimlich bei ihrer Notdurft zu. Seinen kargen Genuß bezieht er daraus, andere zu observieren, zu manipulieren und zu beherrschen. Folgerichtig wird er Geheimpolizist. Seine Karriere beginnt mit den Kölner Kommunistenprozessen 1952 und endet in der DDR.

Der Roman verdient eine Fortsetzung. Denn wir erleben in Echtzeit, wie der IM-Typ perfektioniert und ihm die letzte Scham abtrainiert wird. Man wußte in der DDR zwar, daß gespitzelt und observiert wurde, doch die Einzelheiten der Überwachungspraxis wurden erst nachträglich bekannt. Die Stasi beließ sie offiziell im Ungefähren, wohl wissend, daß das Mittel der Denunziation elementaren moralischen Maßstäben widerspricht. Der Unwille der IMs, sich nachträglich zu offenbaren, hat auch mit ihrem Wissen und ihrer Scham darüber zu tun, daß sie diese Maßstäbe verletzt haben. Scham aber ist überflüssig, wenn der Staat den Gewissenskonflikt sediert, indem er das Anschwärzen zur demokratischen Ehrenpflicht des Staatsbürgers erhebt.

Das ist die subjektive Seite. Objektiv geht es darum, die Formulierung eines deutschen Eigeninteresses in Deutschland zu verhindern. Das ist der politische Kern des eingebildeten „Kampfes gegen Rechts“. Dazu wird ein allgemeines Mißtrauen gesät. Wenn die Menschen in ihrem Nebenmann den potentiellen Denunzianten fürchten, werden sie atomisiert. Wo das zwischenmenschliche Vertrauen erodiert, gibt es auch keine Grundlage für soziales und politisches Handeln mehr. Denn das beruht auf Gemeinsamkeit und die wiederum auf Vertrauen. Übrig bleiben dann Spielwiesen wie „Stuttgart 21“.

Wir befinden uns in einer fundamentalen Umwälzung des politischen und sozialen Lebens. Die politisch-mediale Klasse erscheint selber als die Getriebene höherer Gewalten. Unfähig zu einer kohärenten Politik, flüchtet sie sich in eine unkontrollierte Dynamik, an deren vorläufigem Ende ein europäischer Superstaat und eine multiethnisch verfaßte Gesellschaft stehen sollen. Dort wäre ihre eigene Verantwortung anonymisiert. Dazu muß die politische Ohmacht des Staatsvolks auf Dauer gestellt werden. Was in Baden-Württemberg geschieht, hat daher Avantgardecharakter.

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