© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/12 07. September 2012

CD: Édouard Lalo
Russisch-Iberisch
Sebastian Hennig

Lange bevor das preußische Heer in Frankreich siegte, hatte die Musik Richard Wagners die Herzen der französischen Romantiker bereits okkupiert. Baudelaire verficht publizistisch Wagners Sache, und Paul Cézanne malt eine „Tannhäuser-Ouvertüre“. Nach dem Krieg von 1870/71 kommt es dann unter den französischen Komponisten zu patriotisch motivierten Bestrebungen, das Wagner-Fieber durch Zufuhr von spanischer und russischer Volksmusik abzukühlen.

Édouard Lalos zweites Violinkonzert „Symphonie espagnole“ (1873/74) war das erste Werk dieser Art. Es soll wiederum Tschaikowski zu seinem Violinkonzert angeregt haben. Lalo entstammte einer im 16. Jahrhundert nach Frankreich eingewanderten spanischen Offiziersfamilie. Statt in die Familienprofession einzutreten, geht er nach Paris, um am Konservatorium Violine zu studieren und privaten Kompositionsunterricht zu nehmen. Diese Eigenmächtigkeit muß er sich durch Stundengeben selbst finanzieren.

Die westliche und östliche Kulturemanzipation von der neuen Mittelmacht tönt in verwandten Klangfarben und kann doch bei aller Folklore ihre Anleihen nicht verleugnen. Nach dem dritten Violinkonzert „Fantaisie norvégienne“ von 1878 entsteht als dritte Absetzbewegung im Jahr darauf das „Concerto russe“ für Violine und Orchester. Das Orchester ist dabei der matte Fond, auf dem die Violine irrlichtert. Am meisten russisch und schwermütig ist der vierte Satz, der mit einer pathetischen Introduction mit warmem vollem Bläserklang anhebt. In den folgenden „Chants russes“ werden zwei authentische Melodien übernommen, die aus der Sammlung „Hundert russische Volkslieder“ von Nikolai Rimsky-Korsakow stammen. Später bedient sich auf dem Höhepunkt der Pariser Russomanie Igor Strawinsky aus der gleichen Quelle.

Aber die Helle und Transparenz setzt sich gegen die slawische Schwermut durch, so daß Paul Dukas schon feststellte, daß sich „sogar im Concerto russe eine iberische Färbung finden“ läßt. Als der Freund Pablo de Sarasate, der das Spanische Konzert zum Triumph geführt hatte, seine Mitwirkung an der Uraufführung absagt, schreibt Lalo dem Freund: „... ich glaubte, ein schlechtes oder farbloses Werk geschrieben zu haben, und stieß nach der Probe einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus; niemand ist unfehlbar und diesmal hast Du Dich geirrt.“

In der vorliegenden Aufnahme mit der finnischen Tapiola Sinfonietta unter Kees Bakels spielt der russisch-stämmige Franzose Jean-Jacques Kantorow die Violine. Seine virtuose Leichtigkeit wurde schon mit der von Sarasate verglichen. Drei weitere kurze Stücke für Violine und Orchester entfachen virtuose geigerische Feuerwerke.

Ganz anders geartet ist das selten aufgeführte und eingespielte Klavierkonzert von 1888; geschlossener in der Form, gibt es dem Pianisten Pierre-Alain Volondat wenig Gelegenheit zu atemberaubenden Alleingängen. Er assistiert den dunklen Klangfarben des Orchesters, die zuweilen an Lalos bewundertes Vorbild Robert Schumann erinnern. Das Konzert verfügt über eine nachdenkliche, behutsame Schönheit, die keiner Attribute und ethnologischer Aromastoffe bedarf, um den Hörer zu ergreifen.

Édouard Lalo, Concerto russe BIS Records, Åkersberga 2012 www.bis.se

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