© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/12 07. September 2012

Die Tragik hinter der Lüge
Filmkunst im Dritten Reich: Zum hundertsten Geburtstag der Schauspielerin Kristina Söderbaum
Martin Lichtmesz

Berühmt-berüchtigt sind sie immer noch, das fatale Gespann Veit Harlan und Kristina Söderbaum. Die Vergebung, die ihnen zeitlebens für ihre Mitarbeit an exponierten Propagandafilmen im Dritten Reich versagt blieb, wird ihnen bis heute nicht gewährt. Dennoch oder gerade deswegen hat das Interesse an ihrem Leben und Werk in den letzten Jahren wieder Auftrieb erhalten: 2009 erschien Felix Moellers Dokumentarfilm „Harlan“, der das nachwirkende Karma des schuldbeladenen Clans auslotete, 2010 brachte Oskar Roehler einen Spielfilm über die Dreharbeiten von „Jud Süß“ ins Kino, und Ingrid Buchloh rollte in einer materialreichen Biographie (JF 38/10) den Fall um die Mitverantwortung des Regisseurs an dem antisemitischen Hetzfilm erneut auf.

Die Filme selbst sind allerdings immer noch kaum zu sehen, weder im Kino noch im Fernsehen oder auf DVD. Abhilfe schaffen Internetportale wie „Youtube“, auf denen Enthusiasten oder auch politisch Motivierte gelegentlich digitalisierte VHS-Kassetten und Raubkopien hochladen. Die Aura von Tabu und Anrüchigkeit hat allerdings auch die Entdeckungsfreude einer neuen Generation von Cineasten befördert – Ermutigung dazu kam etwa von dem slowenischen Popkommunisten Slavoj Žižek, der „Opfergang“ (1944) zu seinen Lieblingsfilmen zählt. Damit ist auch der Weg frei zu postmodernen Lesarten der Filme jenseits der Vorgaben von NS-Bewältigung und politischer Korrektheit.

Diese sind allerdings nicht unbedingt notwendig, um der Leistung Harlans und Söderbaums ihre gebührende Anerkennung zukommen zu lassen. Zwischen 1938 und 1958 drehten der deutsche Regisseur und seine schwedische Ehefrau siebzehn Filme, deren Spitzenwerke unter der diabolischen Ägide von Joseph Goebbels entstanden.

Die am 5. September 1912 in Stockholm geborene, filmunerfahrene Kunststudentin hatte ihren Schicksalsmenschen, den ehrgeizig zum Starregisseur aufstrebenden Veit Harlan, im Jahre 1937 kennengelernt. Aus dem professionellen Verhältnis wurde rasch leidenschaftliche Liebe, Harlan ließ sich von seiner Ehefrau Hilde Körber scheiden und heiratete Söderbaum 1939.

Nun war die junge Schauspielerin in den alleinigen Besitz des Regisseurs übergegangen: Bis zu seinem Tode im Jahre 1964 arbeitete sie nahezu ausschließlich für ihren Ehemann. Und dieser jagte sie geradezu sadistisch von einer melodramatischen Passion durch die nächste. Söderbaum beging in Harlans Filmen so oft Selbstmord, daß sie im Volksmund den Spitznamen „Reichswasserleiche“ bekam. Nach der Schändung durch den verführerisch-infamen „Jud Süß“ Oppenheimer, gespielt von Frauenschwarm Ferdinand Marian, war sie aus Verzweiflung über die Schmach ins Wasser gegangen, was eine empörte Pogrommeute, kochend vor „gesundem Volksempfinden“, auf den Plan rief.

Zugespitzte Erotik und Dramatik, die den Film zum niederträchtigen Meisterstück machten, waren die eigentlichen Stärken Harlans, und wenn es auch auf den ersten Blick nicht so scheinen mag, war Söderbaum gerade in diesem Punkt seine kongeniale Partnerin. Denn eine reine blonde Unschuld mit kindlichem Gesicht, „arisch“-züchtig nach den Vorgaben der NS-Propaganda war sie nur an der Oberfläche; darunter brodelten abgründige Leidenschaften und heftige Gefühle.

Ihre erste erotische Erfahrung trieb sie in „Jugend“ (1938) in den Freitod; in „Das unsterbliche Herz“ (1938) reißt sie sich vor Heinrich George die Kleider vom Leib, weil er seinen ehelichen Pflichten nicht nachkommt; in „Die goldene Stadt“ wird sie vom Fluch einer unbewältigten Mutter-Imago ins Grab gerissen; in „Opfergang“ (1944) reitet sie zwar als bogenschießende Nymphe über den Strand und badet nackt im See, verbirgt aber hinter ihrer vitalen Sinnlichkeit eine unheilbare Krankheit und morbide Todessehnsucht; in dem wahnwitzigen Nachkriegswerk „Hanna Amon“ (1951) hegt sie gar unterschwellig inzestuöse Gefühle für ihren Bruder und begeht einen Mord im Affekt.

Ihre Figuren waren in der Tat „dicht am Wasser gebaut“, voll expressiver Gefühligkeit, sie hatten aber oft einen ungeheuren Mut und Durchsetzungswillen. „Die Reise nach Tilsit“ (1939) nach der Novelle von Hermann Sudermann ist ein meisterhafter und erwachsener Film über sexuelle Beziehungen, wie er im zensurbeschwerten Hollywood zur gleichen Zeit nicht möglich gewesen wäre. Mit einem eisernen Fatalismus begibt sich Söderbaums Figur auf eine Bootsfahrt mit ihrem Mann, der sie betrügt, von dem sie weiß, daß er sie töten will, und dessen bösen Willen sie schließlich mit der Kraft ihrer Hingabe niederringt.

In „Der große König“ (1942) liest sie dem Alten Fritz als Stimme des kriegsmüden Volkes resolut die Leviten, während sie in dem verunglückten „Durchhaltefilm“ „Kolberg“ (1943/45) den Widerstandswillen der Männer befeuert. Aber selbst hier gelangen ihr durch allen verlogen-ideologischen Kitsch hindurch ergreifende Momente. In einer Szene singt sie einem Kind das alte, zauberische Lied vor: „… der Vater ist im Krieg, die Mutter ist im Pommerland, Pommerland ist abgebrannt …“ Sie hält inne, Tränen steigen ihr in die Augen: „Pommerland ist abgebrannt.“ Hier wird die Goebbels-Lüge durchlässig für eine tragische Realität.

Das wahre Herzstück der Harlan-Söderbaum-Kollaboration sind aber die im Frühjahr und Sommer 1942 kurz nacheinander gedrehten Agfacolor-Exzesse „Immensee“ und „Opfergang“. Der Große Plöner See in Schleswig-Holstein wird in diesen Liebesmelodramen zur wehmütigen Seelenlandschaft, in deren Zentrum die Gestalt der Söderbaum steht, deren Schicksal dem so vieler Frauen ihrer Zeit gleicht: Trennung, Abschied, Entsagung, Verzicht.

Die Intensität dieser Werke sollten Harlan und Söderbaum nach dem Krieg nur mehr sporadisch erreichen. Gemeinsam waren sie auf den Gipfel gestiegen, gemeinsam versanken sie in Ächtung, Vergessenheit und künstlerischer Bedeutungslosigkeit. Nach dem Tod ihres Ehemanns verdingte sich Söderbaum als Modefotografin und trat nur noch gelegentlich in Filmen auf, so etwa in Hans-Jürgen Syberbergs „Karl May“ (1974). Sie starb am 12. Februar 2001 im Alter von 88 Jahren (JF 9/01).

Foto: Kristina Söderbaum in dem Veit-Harlan-Film „Opfergang“ (1944): Hinter ihrer vitalen Sinnlichkeit verbirgt sich eine unheilbare Krankheit und morbide Todessehnsucht

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen