© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/12 07. September 2012

Medialer Mehrwert
Blick zurück mit Erstaunen: Der „Nationalsozialistische Untergrund“, Paulchen Panther und die „FAZ“
Thorsten Hinz

Kurz nach der Enttarnung des mutmaßlichen „Zwickauer Terrortrios“ im November 2011 tauchte ein Bekennervideo des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) auf, in dem die Comic-Figur Paulchen Panther die Hauptrolle spielt. Die Inszenierung wirkte skurril, die Umstände der Veröffentlichung waren merkwürdig und hätten ein weites Feld für Spekulationen eröffnen können. Um so mehr fällt die Gleichförmigkeit der Kommentare und Analysen ins Auge. Der Medien- und Kulturbetrieb beschränkt sich auf die Rolle des behördengläubigen Claqueurs.

Auf Spiegel online, wo man sich auf „Sicherheitskreise“ stützte, hieß es damals, der Film wirke auf den ersten Blick banal, doch in Wahrheit sei er mit besonderer Akribie und Detailverliebtheit gefertigt, und die technische Montage sei hochprofessionell. Einzelne Bilder seien ausgeschnitten und neu zusammengefügt, die Proportionen angepaßt und dreidimensionale Elemente programmiert worden. Die Macher müssen demnach Spezialisten für Animationsfilme sein. Das aber steht im Widerspruch zum mutmaßlichen Täterumfeld, das stets als dumpf, brutal, schlicht und geistesfern beschrieben wird. Thematisiert wird dieser Widerspruch so gut wie nie.

Einer der ersten Artikel, der das Video mit dezidiert hermeneutischem Anspruch analysierte, wurde am 14. November 2011 vom FAZ-Redakteur Lorenz Jäger veröffentlicht. Jäger hatte sich kurz zuvor mit Aplomb von der politischen Rechten verabschiedet. Im Video konnte er keinerlei politische Aussagen feststellen. Für die Ideologiefreiheit der Mörder, die doch angeblich von rechtsextremer Ideologie inspiriert worden waren, fand er folgende Erklärung: „In dem Maße, wie die Begründbarkeit, die vermeintliche, von Anschlägen schwindet, weil die Opfer nach einem Zufallsprinzip ermordet wurden und nicht als ‘Repräsentanten’ irgendeines ‘Systems’, in dem Maße, wie es keine Möglichkeit einer Rationalisierung der Taten mehr gibt, werden sie von den Mördern nur noch als ‘Streiche’ gesehen werden können.“

Jägers Argumentation ist kaum belastbar. Zum einen zeigt das Video eine Schrifttafel, auf der man liest: „Steh zu Deinem Volk/ Steh zu Deinem Land/ Unterstütze den NSU“. Wenn also, wie der FAZ-Redakteur unterstellt, die NSU-Täterschaft zutrifft, müßte sich aus dieser Aufforderung – wie schon aus der Selbstbezeichnung NSU – ein klares Tatmotiv ableiten lassen: Denn aus nationalsozialistischer Perspektive stellt die Zuwanderung, zu der auch die neun Mordopfer beigetragen haben, eine rassisch-völkische Katastrophe dar. Warum hat Jäger das unterschlagen?

Nun, für nationalsozialistische Untergründler läge es nämlich nahe zu versuchen, durch Morde an Ausländern eine allgemeine Panik zu verbreiten und damit eine Ausreisewelle auszulösen. Diese Wirkung hätten die Bluttaten theoretisch aber nur haben können, wenn die Täter die Zielrichtung und Repräsentanz ihrer Opferwahl zeitnah an die Öffentlichkeit getragen und auf diese Weise neue, in ihrer Unbestimmtheit desto gefährlichere Todesdrohungen transportiert hätten.

Doch den Propagandaeffekt haben sie vollständig den Medien und staatlichen Institutionen überlassen, welche die Toten als Mahnmale für eine zu errichtende postnationale Menschengemeinschaft auf deutschem Boden vereinnahmen. Erst ihre unerklärliche Unterlassung blockiert die Ableitung ihres Mordmotivs. Diesem offensichtlichen Selbstwiderspruch weicht Jäger (und mit ihm die meisten anderen Kommentatoren) jedoch aus – vielleicht, weil seine Benennung die Eindeutigkeit der NSU-Täterthese in Frage stellen würde.

Die relevante Frage hätte lauten müssen, warum die mutmaßlichen NSU-Mörder auf den medialen Mehrwert ihrer Morde nicht nur verzichtet, sondern ihn der Gegenseite überlassen haben! Stattdessen teilte Jäger mit, was zu diesem Zeitpunkt nur wenigen bekannt sein konnte: Ausgerechnet der ehemalige NPD-Chef von Zwickau sei „bis vor kurzem bei Facebook mit dem Namen ‘Paul Panther’ angemeldet“ gewesen und habe „ein Bild des lustigen Terror-Maskottchens dazugestellt (...). Es kann ein Zufall sein, aber es wäre schon ein sehr merkwürdiger.“

Das wäre es in der Tat, und mit ein wenig angewandter Dialektik könnte man zu einer Schlußfolgerung kommen, die in eine ganz andere Richtung führt als die, welche Jäger insinuiert: Gerade in Kenntnis des Facebook-Namens war das rosarote Raubtierchen dazu geeignet, einen politischen Hintergrund der Verbrechen zu bekräftigen – es sei denn, der NPDler beziehungsweise sein Umfeld wollten sich damit brüsten, Mitwisser der Verbrechen zu sein.

Der bislang ambitionierteste Artikel zum Thema erschien unter dem Titel „Wer hat an der Theorie gedreht?“ am 23. Juni 2012 ebenfalls in der FAZ. Der Aufsatz des Literaturwissenschaftlers Klaus Birnstiel beanspruchte eine ganze Seite und war der Bundeszentrale für politische Bildung so wichtig, daß sie ihn verlinkte. Birnstiel benutzt neckische Formulierungen wie „die Bildsprache des Terrors“ oder „der rosarote Theoriepanther und die ultrabraune Todespraxis“ und kombiniert die fällige Betroffenheit mit postmoderner Abgeklärtheit. Er hantiert mit der poststrukturalistischen Medien- und Zeichentheorie, schlägt einen Bogen von Deleuze und Guattari zur Partisanentheorie von Carl Schmitt, nur um die Erkenntnis mitzuteilen, daß das Bekennervideo auf keinen hierarchischen, logisch aufgebauten Ordnungsmodellen beruhe, sondern „rhizomatisch“, also mit wurzelwerkartigen, unvorhersehbaren Querverweisen und Anspielungen argumentiere.

Die Tatsache, daß es „keine Anhaltspunkte für die Ideologie der Terroristen“ enthält, nahm der Autor als Beleg für den „mobilen“ Faschismus der Gegenwart und mahnte, es sei „höchste Zeit“, daß die Staatsorgane vor die Bücherregale der „braunen Brut“ treten! Er demonstrierte, daß der moderne, sich „rhizomatisch“ wähnende bundesrepubikanische Intellektuelle in Wahrheit traditionell hierarchisch: nämlich macht- und institutionengläubig, funktioniert. Und das nicht nur in der ominösen NSU-Affäre!

Foto: Ausschnitt eines Videos des „Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU)“ mit der Trickfilmfigur „Paulchen Panther“: Feld für Spekulationen

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