© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/12 07. September 2012

Pankraz,
Hal Foster und das Bauen als Spektakel

Design und Verbrechen“ heißt das Buch des amerikanischen Kunstprofessors Hal Foster von der Universität Princeton, das jetzt auch auf deutsch erschienen ist (Edition Tiamat, Berlin 2012, 272 Seiten, 18 Euro). Der Titel klingt nicht sonderlich attraktiv, erinnert allzusehr an den seinerzeit spektakulären Titel „Ornament und Verbrechen“ von Adolf Loos aus dem Jahre 1908, mit dem damals das Zeitalter des Bauhauses, des rein funktionalen, allen „Designs“, allen Schmucks und aller Verzierung entkleideten Bauens begann. Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?

Die Lektüre erweist dann freilich, daß Foster keineswegs in die Trompete von Loos bläst, eher will er sie verstopfen. Das architektonische Design, also die ästhetische Seite am Bauen, ist für ihn eine Kunstform sui generis, die es unbedingt zu bewahren gelte. Was die neueste „Baukunst“ (Gänsefüßchen von Foster) betreffe, so huldige sie zwar nicht mehr dem puren Funktionalismus à la Loos, sie habe die Ästhetik aber auch nicht rehabilitiert und in ihre alten Rechte wiedereingesetzt. Sondern sie habe diese Ästhetik – was letztlich noch schlimmer sei als ihre Abschaffung – schlichtweg versklavt.

Was heute, so Foster, das repräsentative, speziell das öffentliche Bauen, regiere, sei eine  „Architektur des Spektakels“, und die sei der pure Hohn auf jedes künstlerische Architekturdesign, ein reines Verbrechen. Hätten die funktionalistischen Abräumer einstmals immerhin noch dem (letztlich doch auch ästhetischen) „Ideal“ technisch-funktioneller Optimierung nachgestrebt,  so seien die modernen Architekturstars vom Schlage der Frank Gehry oder Rem Koolhaas nur noch auf Krawall aus, auf mediale Sensationsmacherei um jeden Preis, auf bloßes „Event“ ohne alle Rücksicht auf Kultur oder Natur.

Spontan wäre Pankraz versucht, solcher Polemik uneingeschränkt zuzustimmen. Auch ihn ödet das Treiben jener global operierenden „Architektengenies“ an, die heute in Dubai und morgen in Singapur und übermorgen in Lagos und manchmal auch in Hinterhupfingen ihre Duftmarken absetzen und sich dabei völlig hemmungslos den jeweiligen Auftraggebern ausliefern, welche mit den Bauten nur angeben und Touristen anlocken wollen, Die Gehry und Koolhaas übersetzen doch lediglich ins brutal Wirkliche und Monumentale, was sich irgendwelche mediengeilen Provinzbürgermeister ausdenken.

Aber – so folgt die bange Frage – war denn das je anders? War die Architektur nicht immer  auf Spektakel aus und eine willige Hure ihrer jeweiligen Auftrag- und Geldgeber? Jene Barockfürsten etwa, die im 17. oder 18. Jahrhundert ohne die mindeste Rücksicht auf die umgebende Kultur und Natur ungeheure Schloßanlegen in die Landschaft setzten – was taten sie anderes, als was heute die Provinzbürgermeister und ihre Gehry und Koolhaas tun? Aber die verfließende Zeit hat inzwischen ihr eigenes Urteil gesprochen und die Schlösser auch für Professor Foster akzepzabel gemacht.

Genau betrachtet taugt sein Begriff des Spektakels ohne nähere Kennzeichnung nur sehr bedingt zur Kritik an gegenwärtigen Architekturexzessen. Ein Spektakel ist nichts weiter als das, was sich vom Übrigen deutlich abhebt, und zwar üblicherweise in durchaus positivem Sinne. Herkömmliche architektonische Spektakel waren (und sind) Bauwerke, mit denen sich für die Bauherren ein bedeutender Sinn verband, Wohnsitze von Göttern, Tempel und Kirchen, Rathäuser, Versammlungsorte, Ehrfurcht heischende Erinnerungsstätten.

Es war nur selbstverständlich, daß bei ihrer Errichtung an nichts gespart wurde, weder an edlen, neuentdeckten Materialien noch an neuartigen Bautechniken, weder an äußerer Prachtentfaltung noch an Versuchen, große Ideen in Stein und Palisander abzubilden und zu vergegenwärtigen.  Das galt für ägyptische Pyramiden wie für griechische Tempel, für die Dome des Mittelalters wie für die Fürstenresidenzen des Barock. Sie waren allesamt architektonische Spektakel und wollten auch welche sein. Sie sollten aus der Masse der übrigen Bauten herausragen und in der Polis Stolz und Interesse stiften.

Insofern reihen sich die Bauten der von Foster attackierten Gehry und Koolhaas durchaus in die Tradition ein, zumindest in Hinblick auf die sie umgebenden, meist eintönigen und rein funktional orientierten Massenbauten. Sie ragen aus der Masse heraus, sie setzen Orientierungspunkte, sie wecken Interesse und eventuell sogar Stolz. Doch mit ihrer Ästhetik hapert es trotzdem, und das liegt nicht am Mangel von guten Materialien, sondern am Mangel von Sinn. Sie sind nichts weiter als banale Reflexe zeitgenössischen Kleinrentnertums, geistig allenfalls auf dem Niveau  eines Popkonzerts oder einer TV-Vorabendschau.

Und das Innere schlägt notwendig nach außen, Form und Inhalt sind in der Ästhetik nicht voneinander zu trennen. Ein schönes Mädchen, das darauf getrimmt ist, als Lifaßsäule zu dienen oder von Touristenschwärmen fotografiert zu werden, verliert ziemlich schnell an Schönheit. Es kann sich eventuell wieder berappeln und den Job wechseln. Hingegen die „Casa da Musica“ von Koolhaas in Porto (Portugal) oder das „tanzende Wohnhaus“ von Gehry in Prag lassen sich nicht berappeln, man kann sie nur irgendwann wieder abreißen.

Der Edelfirnis der verfließenden Zeit wird ihnen mit großer Sicherheit nicht zuteil werden, sowenig wie wohl den meisten zur Zeit herausragenden Bauschöpfungen rund um den Globus. Denn es handelt sich bei ihnen nicht um eine Architektur des Spektakels, sondern um eine der Banalität. Man kann sich nicht einmal an sie gewöhnen, ohne dauerhaft Schaden zu nehmen.

„Die Architektur ist die erstarrte Musik“, lehrte Schelling in seinen Vorlesungen über Philosophie. Trifft das zu, dann wäre die von Hal Foster kritisch angepeilte „Architektur des Spektakels“ nicht einmal Popmusik, höchstens das Ende eines Popkonzerts, wo entfesselte Fans manchmal sämtliche Stühle der Arena zertrümmern.

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