© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/12 07. September 2012

Ein vergessenes Märchenland
Mecklenburg-Strelitz: Ein Urlaub im Land der tausend Seen lohnt sich auch für kulturell interessierte Gäste
Heino Bosselmann

Von Berlin ist man mit dem Regionalexpreß in eineinhalb Stunden in Neustrelitz, von Hamburg sind es mit dem Auto nur 250 Kilometer. Die ehemalige großherzogliche Residenz liegt inmitten der waldversteckten Kleinseenplatte. Seit 2011 sind etwa die Buchenurwälder von Serrahn Teil des Unesco-Weltnaturerbes. Radelt man von Neustrelitz aus hindurch, gelangt man in die Feldberger Seenlandschaft und ins Carwitz Hans Falladas, weiter südwestlich über die brandenburgische Grenze ins Uckermärkische, zur von Arnimschen Boitzenburg, zu den Lychener Seen oder gar in die alte Grafschaft Ruppin mit dem Großen Stechlin.

Das alte Mecklenburg-Strelitz gehörte mit seinen um 1900 etwa 106.000 Einwohnern zu den kleinsten deutschen Fürstentümern. Gewissermaßen ein vergessenes Märchenland. Heute hingegen ist dieses Geschwisterteil des über sechsfach größeren Mecklenburg-Schwerin nicht einmal mehr selbständiger Landkreis, weil es mit der jüngsten Verwaltungsreform im Megakreis „Mecklenburgische Seenplatte“ aufging, der mehr als doppelt so groß ist wie das Saarland.

Das zweite mecklenburgische Herzogtum wurde nach einer 1701 erfolgten Landesteilung gegründet, bestehend aus zwei weit voneinander entfernten Territorien, der Herrschaft Stargard im Südosten und dem Fürstentum Ratzeburg weit im Nordwesten, beide getrennt durch Mecklenburg-Schwerin, das die Strelitzer stets als gefährlichen Konkurrenten ansahen. Viel enger als an die ungeliebten Schweriner Verwandten hielt man sich an die Großmacht Preußen. Dessen Königin Luise, die vorm Tilsiter Frieden Napoleon so couragiert entgegentrat, kam aus Strelitz und verstarb viel zu jung auf Schloß Hohenzieritz, der Sommerresidenz. Sie ist nicht die einzige prominente Frau des Fürstengeschlechts. Sophie Charlotte, 1744 auf Schloß Mirow geboren, wurde durch Heirat mit Georg III. britische Königin. Mehrere Orte in Amerika sind nach ihr benannt, darunter das 1763 gegründete Charlotte in North Carolina. Weil die „German Queen“ in England eifrig botanisierte, tragen Paradiesvogelblumen den Namen ihrer deutschen Heimat – die Strelitzien.

Erstmalig wird das Mirower Schloß am Tag des offenen Denkmals wieder zugänglich sein. Unter anderem kann man einen Vortrag über Königin Charlotte und das Dramolett „God save the Queen“ erwarten, eine Schimpftirade, in der Preußenkönig Friedrich II. und die Königin übereinander herziehen.

Das Ende des Fürstentums nach nur zweihundert Jahren ist von einer dunklen Geschichte umwölkt, die an das Schicksal Ludwigs II. von Bayern erinnert. Der letzte Großherzog, Adolf Friedrich VI., erschoß sich im Februar 1918 am Kammerkanal bei Neustrelitz. Wie stets ranken sich bizarre Vermutungen um einen so tragischen Schlußakkord. Der Monarch soll der italienischen Opernsängerin Mafalda Salvatini die Ehe versprochen und auch mit der schillernden Lady Daisy von Pless ein Verhältnis unterhalten haben. Andererseits wird von Schwermut und homosexuellen Neigungen geraunt. Der 36jährige Fürst starb ledig ohne Erben.Was stets vermieden werden sollte, geschah: Das Haus Schwerin übernahm in Strelitz die Verweserschaft, aber durch die Novemberrevolution wurde das ohnehin obsolet. Insbesondere weil die Strelitzer Großherzöge einen immensen Hausschatz hinterließen, fürchtete die aufsteigende Sozialdemokratie eine Vereinigung mit dem größeren Mecklenburg innerhalb der Republik und hielt durch eilige Wahlen und Verfassungsgebung an der Selbständigkeit des Landes als Freistaat fest, um mit dem Staatsvermögen Sozialreformen zu finanzieren. Die Inflation machte solche Träume alsbald zunichte.

Erst das Dritte Reich zwangsvereinigte beide Mecklenburg zu einem Gau. Schloß Neustrelitz wurde unmittelbar nach Kriegsende durch Brandstiftung zerstört. 25.000 Sowjetsoldaten waren zur DDR-Zeit um die Stadt herum kaserniert; das großzügige Rondell der barocken Stadtanlage dominierte ein sowjetisches Ehrenmal mit Rotarmisten und Stern. Seit 1990 blüht der Ort wieder auf. Das kleine Theater inszeniert mit geringen Mitteln Beachtliches. Die Schlösser Hohenzieritz und Mirow wurden renoviert, das Jagdschloß Prillwitz, unmittelbar am sagenhaften Slawenheiligtum Rethra, ist heute ein Hotel an der idyllischen Liebs südlich des Tollensesees.

Der „Tag des offenen Denkmals“ offeriert unter seinem diesjährigen Motto „Naturstoff Holz“ eine Besichtigung der Dachstühle der mittelalterlichen Stadttore Neubrandenburgs und stellt in der unmittelbaren Umgebung von Neustrelitz die ehemalige „Landesirren- und Pflegeanstalt“ in Domjüch vor, einen 1902 errichteten Gebäudekomplex, der nach 1945 von der Sowjetarmee genutzt wurde und verfiel, dann leer stand und schließlich durch einen rührigen Verein gerettet wurde. Bemerkenswert sind die Parkanlage und die wieder instand gesetzte Kapelle.

Außerhalb des Programms ist die spätbarocke, sternförmige Stadtanlage der Residenzstadt Neustrelitz sehenswert. Ihr quadratischer Marktplatz mit großem Rondell gilt als einmalig in Europa. Der Schinkel-Schüler Wilhelm Buttel gestaltete im 19. Jahrhundert das Stadtbild in einer Synthese von Klassizismus und Neogotik. Eindrucksvoll ebenso der Schloßgarten mit seinen Skulpturen und Brunnen, die Orangerie und die Schloßkirche, obwohl man in diesem Ambiente das Schloß um so mehr vermissen wird.

Stadtführungen in Neustrelitz: Telefon: 0 39 81/ 25 31 19

 www.mecklenburgische-seenplatte.de

Foto: Schloßkirche in Neustrelitz: Der Schinkel-Schüler Wilhelm Buttel gestaltete das Stadtbild in einer Synthese von Klassizismus und Neogotik

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