© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/12 07. September 2012

Manipulation und Kontrolle
Euro-Krise: Der EZB-Rat greift zur Zinskontrollpolitik, um Geld und Schulden zu entwerten
Thorsten Polleit

Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) will, so ist Medienberichten zu entnehmen, die (kurzfristigen) Zinsen von strauchelnden Euro-Schuldenstaaten durch Anleihekäufe innerhalb vorab festgelegter Bandbreiten halten. Das käme einer Zinskontrollpolitik für ausgewählte Staatsanleihen gleich – was gleichbedeutend ist mit einer Mindestpreispolitik für Staatsanleihen.

Eine Zinskontrollpolitik läßt sich technisch durchführen. Immer dann, wenn der Bondpreis unter ein bestimmtes Niveau fällt beziehungsweise die Rendite über ein bestimmtes Niveau steigt, kauft der EZB-Rat solange Bonds, bis deren Preis wieder mindestens dem gewünschten Niveau entspricht. Kein Investor wird seine Bonds und kein Staat wird seine Neuemissionen zu einem Preis verkaufen, der unterhalb des festgelegten EZB-Mindestpreises liegt; schließlich können sie ja zu diesem Preis an den EZB-Rat verkaufen. Der Marktpreis wird daher stets auf das vom EZB-Rat fixierte Niveau konvergieren.

Eine Zinskontrollpolitik ist eine Form der „finanziellen Repression“, also einer bewußt erzwungenen Wertminderung der Kaufkraft des Geldes und der Ersparnisse. Im Zuge einer solchen Politik geht es nämlich nicht „nur“ darum, die Zinsen möglichst niedrig zu halten, sondern vor allem darum, den realen Zins negativ werden zu lassen. Auf diese Weise werden Kreditnehmer auf Kosten der Sparer entlastet.

So etwas wurde in den USA etwa zur Finanzierung der Kriegsausgaben betrieben. Um die Zinskosten niedrig zu halten, erhielt die Notenbank Fed 1942 von der US-Regierung den Auftrag, die Zinsen für Staatspapiere mit kurzer Laufzeit bei 0,38 Prozent, die für lang laufende Anleihen bei 2,5 Prozent zu fixieren.

Die Fed sorgte dafür, daß die Schuldpapiere mit diesen niedrigen Renditen Käufer fanden. Weil sie dafür aber immer mehr Geld drucken mußte, stieg die Inflation, und zwar auf Raten, die deutlich höher waren als die Zinsen. Durch die Politik der Zinskontrolle, die erst 1951 aufgehoben wurde („Treasury-Fed Accord“), entschuldete sich der Staat auf Kosten der Geldhalter und Besitzer von festverzinslichen Papieren. In der Zeit von 1942 bis Anfang der fünfziger Jahre büßte der US-Dollar etwa die Hälfte seiner Kaufkraft ein.

Bei einer Zinskontrollpolitik gibt die EZB nicht nur die Kontrolle über die Basisgeldmenge, sondern auch die Kontrolle über die Geschäftsbankengeldmenge auf. Fortan bestimmt die Preisbildung auf den Bondmärkten die Geldmengenvermehrung: Jeder Kauf einer Anleihe durch die Zentralbank erhöht die (Basis-)Geldmenge, weil die Zentralbank ja den Bondkauf mit sprichwörtlich „aus dem Nichts“ geschaffenem neuen (Basis-)Geld bezahlt. Solange die Zentralbank Staatsanleihen von Geschäftsbanken kauft, kommt es „nur“ zu einer Erhöhung der Überschußreserven im Bankensektor. Und solange Banken diese Reserven nicht dazu verwenden, neue Kredite zu vergeben oder andere Vermögensgegenstände zu erwerben (etwa Häuser oder Aktien), bleibt die Geschäftsbankengeldmenge unverändert.

Wenn allerdings Nichtbanken (Versicherungen, Pensionsfonds) beginnen, ihre Staatsanleihen zu verkaufen, ändert sich das Bild. Kauft die EZB nämlich die Wertpapiere von Nichtbanken, so überweist sie den Kaufpreis direkt auf die Konten der Verkäufer, die bei Geschäftsbanken gehalten werden. Durch diese Überweisung steigen dann sowohl die Überschußreserven der Banken als auch die Geschäftsbankengeldmengen (M1, M2 und M3) – und damit wäre die Geldentwertung vorprogrammiert.

Für strauchelnde Schuldner ist eine Zinskontrollpolitik natürlich verlockend: Sie können sich zu noch tieferen Zinsen neue Kredite beschaffen, ohne daß sie unmittelbar ihre Haushalte reformieren müßten. Daß eine Zinskontrollpolitik nur gegen Auflagen („Konditionalität“), also gegen Reformerfolge gewährt wird, dürfte sich in der Praxis – wie alle Besserungsgelöbnisse –  als leeres Versprechen erweisen. Die Politik des niedrigen Zinses wird sich vielmehr als Verschuldungs- und damit Geldmengenwachstumsbeschleuniger erweisen.

Wenn Investoren fürchten (müssen), daß der EZB-Rat immer mehr Bonds kauft und dadurch immer mehr Geld in Umlauf bringt, sinkt natürlich auch der „Fair Value“ der noch ausstehenden Bonds. Investoren werden dann ihre Bonds verkaufen wollen. Dadurch nimmt das Angebot auf dem Bondmarkt zu, die Kurse sinken und die EZB ist gezwungen, noch mehr Bonds aufzukaufen und noch mehr Geld in Umlauf zu bringen. Es kann so eine Dynamik entstehen, bei der die EZB entscheiden muß, mit den Bondkäufen aufzuhören (und damit die Pleite von Staaten hinzunehmen) oder aber weiterzukaufen, was sogar in eine Hyperinflation münden kann.

Die Durchsetzung der Zinskontrollpolitik in einigen Marktsegmenten (etwa für spanische und italienische Bonds) wird Verwerfungen in anderen Segmenten auslösen. Sehen Investoren zum Beispiel die Gefahr, daß die Marktinterventionen der EZB Inflation heraufbeschwören, so werden sie sich gegen den drohenden Wertverlust schützen wollen. Dazu müssen sie Anleihen verkaufen, die noch der freien Preisbildung unterliegen. So könnte es bei deutschen und französischen Anleihen zu Verkaufsdruck und Zinsauftrieb kommen. Denkbar sind natürlich auch ein „Ausverkauf“ und ein Zinsauftrieb bei Bank- und Firmenanleihen.

Auch hier würde über kurz oder lang das politische Verlangen laut, diese Zinsen ebenfalls künstlich niedrig zu halten, um Wachstum und Beschäftigung zu fördern. Es käme zu einer Interventionsspirale: Wie ein Tintenfleck breitet sich die ursprüngliche Intervention auf andere Marktsegmente aus – bis der gesamte Zinsmarkt von der EZB manipuliert und kontrolliert wird.

Die Manipulierung und Kontrolle der Marktzinsen zieht große volkswirtschaftliche Schäden nach sich. Die Produktions- und Beschäftigungsstruktur wird fehlgelenkt, Wirtschaftskrisen sind damit vorprogrammiert. Vor allem aber schädigen die negativen Renditen Sparen und Investieren und damit auch die Kapitalbildung, und das wird absehbar den künftigen Lebensstandard schmälern.

Eine Zinskontrollpolitik ist durch und durch destruktiv, sie schadet vielen und nützt nur wenigen. Sie wird die Finanz- und Wirtschaftskrise im Euroraum, die im Kern den Zerfall der Euro-Papiergeldunordnung markiert, auch nicht lösen. Der EZB-Rat wird mit einer Zinskontrollpolitik den Schaden nur noch weiter in die Höhe treiben: Er schickt der absehbaren Rezession-Depression nun noch die Geldwertzerstörung voraus.

 

Prof. Dr. Thorsten Polleit ist Chefvolkswirt des Unternehmens Degussa  Goldhandel und Honorarprofessor an der Frankfurt School of Finance. Zuvor war er zwölf Jahre Chief German Economist bei Barclays Capital.

 www.thorsten-polleit.com

Foto: Stellschraube Zinskontrolle: Überschuldete Kreditnehmer sollen auf Kosten der Sparer entlastet werden

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