© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/12 07. September 2012

Gefährlicher Rückgang des Wirtschaftswachstums in China
Probleme weggelächelt
Markus Brandstetter

Die Kanzlerin und die Crème de la Crème der deutschen Wirtschaft waren auf Staatsbesuch in China. Da war traditionell Schmusen angesagt. Die Volkswirtschaften beider Länder sind immer stärker verzahnt, für Deutschland ist China die verlängerte Werkbank und für die Chinesen sind die Deutschen – nach den Amerikanern – die wichtigsten Kunden auf der Welt. Wer sich gegenseitig andauernd so viel Gutes beschert, der kann nicht auch noch über Probleme reden.

Daß die chinesischen Kommunisten unbeliebte Politiker jahrelang in Quarantäne nehmen, ihre Gattinnen zum Tode auf Bewährung verurteilen und jede Menge Leute in Arbeitslager stecken, ist bei deutsch-chinesischen Gipfeltreffen kein Thema. Ebenfalls kein Thema ist das sinkende Wachstum der chinesischen Wirtschaft. Das ist merkwürdig und beunruhigend. Von 2001 bis 2010 ist die Wirtschaft im Reich der Mitte jedes Jahr um zehn Prozent und mehr gewachsen, 2012 werden es kaum acht Prozent sein. Die Exportaufträge sind so niedrig wie seit 2009, dem Höhepunkt der Finanzkrise, nicht mehr, die Shanghaier Börse bewegt sich auf einem Dreijahrestief. Drei Jahrzehnte lang ist die einst bettelarme Volksrepublik nun gewachsen – so wie keine andere Volkswirtschaft auf der Welt. Die Hälfte dieses Wachtraums machten Investitionen in die Infrastruktur aus. Seit 1990 wurden in China mehr Straßen, Häfen, Flugplätze, Eisenbahnlinien, Hochhäuser, Fabriken und Wohnungen gebaut als im der Rest der Welt zusammen (JF 48/11).

In den entwickelten Regionen ist das Riesenreich zubetoniert mit Autobahnen, auf denen keiner fährt, zugebaut mit Bürotürmen ohne Mieter und überzogen mit Geisterstädten, in denen kein Mensch wohnt. Wenn die Wirtschaft früher auf Talfahrt ging, warfen die Chinesen einfach die Bauindustrie wieder an. In diesem Jahr funktioniert das zum ersten Mal nicht mehr. Die Verwerfungen sind einfach zu groß. Was das genau für die Weltwirtschaft bedeutet, kann noch niemand sagen, aber gut ist es nicht.

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