© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/12 07. September 2012

In der Realität angekommen
Bundestagswahl: Ein Jahr nach dem Beginn ihres Höhenflugs befindet sich die Piratenpartei in einer tiefen Krise
Henning Hoffgaard

Irgendwann platzt Anita Möllering der Kragen. „Es wird in der Partei offensichtlich als normal erachtet, daß man Personen auf Posten setzt, sie ihr Leben zerstören läßt und wenn sie dann komplett fertig mit der Welt sind, einfach zu ersetzen.“ Die schlecht bezahlte Pressesprecherin der Piratenpartei, deren Einstellung als Halbtagskraft zu einem parteiinternen Politikum wurde, ist nach sechs Monaten offenbar in der Wirklichkeit der Partei angekommen. Knapp 800 Euro Brutto erhält die zweifache Mutter für ihre 20-Stunden-Anstellung mit realer Vollzeitbeschäftigung. Die Probleme, die Möllering über den Mailverteiler der Piraten-Pressegruppe schildert, rütteln an den Grundfesten der Partei, die es bis heute nicht geschafft hat, eine funktionierende schlagkräftige Organisation aufzubauen. Der „extrem harte Wahlkampf“ sei so kaum zu führen, schreibt Möllering.

Die zweistelligen Umfragewerte sind Vergangenheit. Auf sieben Prozent taxieren die Demoskopen sie derzeit noch. Die großen Wahlerfolge sind längst einer Ernüchterung über ein lückenhaftes Programm, schlechte Organisation und vor allem einen existenzgefährdenden Geldmangel gewichen. Zwar haben die Piraten mittlerweile mehr als 33.000 Mitglieder. Regelmäßige Beiträge zahlen davon nur etwas mehr als die Hälfte. Selbst durch die fleißigen Beitragszahler kommt kaum Geld in die leeren Kassen der Bundespartei. 48 Euro ist der aktuelle Mitgliedsbeitrag. Bei Grünen und FDP liegt er deutlich höher. Ein Spendenaufruf an die gut verdienenden Piraten-Abgeordneten in den Länderparlamenten verpuffte zuletzt kläglich.

Die inhaltliche Arbeit der unzähligen parteiinternen Arbeitsgruppen bleibt so vorerst auf der Strecke. Selbst in ihren Kernthemen Urheberrecht, Internet-Überwachung und individuelle Freiheit konnten die Piraten zuletzt nicht mehr punkten. Längst haben die anderen Parteien die Attraktivität dieser Themen für sich erkannt. Die Piraten quälen sich derzeit mit Personalfragen. Etwa der des Politischen Geschäftsführers Johannes Ponader, dessen politisches Wirken sich vor allem um die Frage dreht, ob er sich von Parteispenden, staatlicher Grundsicherung oder richtiger Arbeit finanzieren soll. Hinzu kamen eine Reihe von desillusionierten Aussteigern, die den teilweise bösartigen Umgangsformen in der Partei nicht gewachsen waren.

Nur von einem ist dabei kaum etwas zu hören: Parteichef Bernd Schlömer. Hier und da äußert er sich zwar noch gegenüber den Medien. Viel zu sagen hat er dabei allerdings nicht. Er paßt damit zu einer Partei, bei der vor allem die Basis entscheiden soll. Schlömer kommt in diesem komplexen System zumindest nach außen nur die Rolle eines Lautsprechers zu. Intern hält er dagegen die Fäden fest in der Hand. Wochenlang stritt das Presseteam der Piraten etwa über die Position zur Beschneidungsdebatte. „Es gibt einige Punkte in unserem Programm, mit denen wir uns klar gegen Beschneidung ausdrücken könnten“, schrieb Pressesprecherin Möllering an den Bundesvorstand. Die Partei weiche bei der religiösen Beschneidung von dem Grundsatz ab, alles zu kommunizieren, was vom Inhalt des Parteiprogramms gedeckt ist. Schlömer weiß natürlich, daß Möllering recht hat und die Piraten sich gegen die Zwangsbeschneidung von jüdischen und muslimischen Kindern wenden müßten. Dennoch blockt er ab. Ein „typisches Sommerthema“ sei das ganze. „Einen Umlaufbeschluß würde ich nicht empfehlen.“ Für die Piraten ist das eine ziemlich klare Ansage. Eine Pressemitteilung blieb denn auch aus.

Als besonders heikel für den Bundesvorstand stellt sich das Thema Bundeswehr dar. Während die Basis den Streitkräften äußerst kritisch gegenüber eingestellt ist, arbeitet ihr Parteivorsitzender als Regierungsdirektor im Bundesverteidigungsministerium. Eine Diskussion unter dem E-Mail-Betreff „Kriegstreiber de Maizière?“ wiegelte Schlömer Anfang Juli schnell ab. „Ich finde unsere Presse-Rhetorik manchmal auch irritierend“, schreibt er und stellt klar: „In diesem Fall glaube ich aber nicht mehr an eine Realisierung einer PM.“

Diese Gegensätze verschärfen auch den Ton hinter den Kulissen. Als die Pressestelle einer Gruppe von Pro-Atomenergie-Piraten wegen eines falschen Impressums ausgerechnet eine bei den Mitgliedern so verhaßte Abmahnung zuschickt, ist der Sturm der Entrüstung groß. Schließlich gibt die Parteiführung auf. Die Abmahnung wird von Schlömer für nichtig erklärt. Als der Sprecher der bayerischen Piraten, Aleks Lessmann, das Vorgehen dennoch kritisiert, reißt dem Piraten-Chef der Geduldsfaden: „Bitte die Diskussion beenden. All das, was du bemängelst, ist mir zuzuschreiben. Sollte deine Intention sein, mich zu schädigen, dann mache dieses öffentlich.“

Anita Möllering hat derweil die Konsequenzen aus den internen Reibereien und der schlechten Bezahlung gezogen. Da ansonsten ihre Existenz zerstört werde, kündigt sie an, ab September auch nur noch 20 Stunden in der Woche zu arbeiten. Der Bundesvorstand werde die schlechten Arbeitsbedingungen des Presseteams nicht mehr ändern, meint sie. Das klingt nach mehr als nur Resignation.

Foto: Piratenpartei im Scheinwerferlicht: Teilweise herrschen bösartige Umgangsformen

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