© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/12 31. August 2012

Der erste Diener des Staates
Ausstellung in Potsdam: „Friederisiko“ widmet sich Charakter und Weltsicht Friedrichs des Großen
Wolfgang Saur

Für Berlin und Brandenburg ist 2012 ein borussisches Festdatum, jährt sich der Geburtstag des großen Friedrich doch zum 300. Mal. Groß ist da auch der Terminkalender: Zahlreiche Initiativen in Wissenschaft und Kultur entfalten einschlägige Themen. Man greift die Impulse des Preußenjahrs 2001 auf und entwickelt sie fort. Ganz unter diesem Zeichen steht das brandenburgische Kulturjahr. Vollends in Schwung bringt es die Riesenausstellung „Friederisiko“, eine Schau der Superlative im Potsdamer Neuen Palais. In dem von Friedrich erbauten und in den letzten Jahren sanierten Palast wird das modische Trendwort „Risiko“ zum Schlüssel für den eigenwilligen Monarchen und seine politischen Agenden. Auf 6.000 Quadratmetern, durch achtzig Räume und in der Parklandschaft um den malerischen Bau wird der prominenteste Hohenzoller kultisch erhöht. Das ermöglicht zugleich, die weitläufige Architektur- und Gartenanlage selbst gedankenreich in Szene zu setzen.

Die Koordinaten dazu liefern der heutige Preußenkonsens und die kulturpolitische Praxis Potsdams. Nachdem die geschichtspolitischen Schlachten geschlagen sind, ist das einst brisante Thema beruhigt und harmonisiert, aber auch harmlos geworden. Die „preußische Idee“ als Mentalität, innerer Wert und existentielle Form ist (fast) verschwunden; das mag man bedauern. Erfreulich hingegen, daß zugleich der antipreußische Affekt (Preußen als Hort von „Gewalt und Militarismus“) verstummt ist.

Dagegen haben sich zwei Tendenzen durchgesetzt: Gern faßt man Preußen jetzt modernisierungshistorisch auf, schätzt aufklärerische Aspekte in Rationalität, Ethik und Institutionen; zum anderen wird die ästhetische Aneignung dominant. Sie spielt naturgemäß dort eine Rolle, wo man das baulich-künstlerische Erbe der Hohenzollern bewahrt.

So hat das strukturschwache Brandenburg nach der Wende die Potentiale des Kulturtourismus entdeckt und nutzt sie. Dem kam die Stiftung Preußischer Schlösser und Gärten entgegen: In den letzten fünfzehn Jahren hat sie die Hohenzollernsitze um Berlin, in Potsdam und der Mark sorgfältig restauriert, teils komplett entkernt und rückgebaut. Nicht nur kostbare Museen mit hoher Publikumsfrequenz, wurden die Häuser in Ausstattung und Präsentation polar auf einen Regenten und dessen Zeit orientiert. Das ermöglicht nun, preußische Geschichte, nach Perioden aufgefächert, an den historischen Schauplätzen und in den „Schreinen“ der Dynastie konkret zu veranschaulichen. Jede Regentschaft charakterisiert dabei ihre epochalen Herausforderungen.

Die Kette hebt in der Renaissance mit Joachim II. (Jagdschloß Grunewald) an; der Große Kurfürst (Caputh) folgt mit dem Landesaufbau nach dem Dreißigjährigen Krieg; sodann Friedrich I. (Oranienburg), Sophie Charlotte (Charlottenburg) und die neue Königswürde; der „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I. (Wusterhausen) mit dem technokratischen Absolutismus; das exquisite Ancien Régime unter Friedrich Wilhelm II. (Marmorpalais); Friedrich Wilhelm III. und Luise als ideales Prinzenpaar der Empfindsamkeit (Paretz); Friedrich Wilhelm IV., der Romantiker auf dem Thron, (Charlottenhof, Orangerie, Friedenskirche); der erste neudeutsche Kaiser, Wilhelm I. (Babelsberg); schließlich der letzte Kronprinz (Cecilienhof).

Keine echte Identität von Bau und Monarch gibt es bei Wilhelm II., der meist in den (zerstörten) Stadtschlössern Berlin und Potsdam residierte.

Im Fall des großen Friedrich (1712–1786) sind drei wichtige Schauplätze und Monumente mit seiner Person verquickt: Rheinsberg mit dem Prinzen (1733–1740), Sanssouci (1748) mit dem Herrscher und das Neue Palais, als repräsentativer Palast nach dem Siebenjährigen Krieg errichtet (1763–1769), mit dem alten Fritz.

Als seine „Fanfaronnade“ zum Sieg hat der König hier ein „Triumphdenkmal seines persönlichen Ruhmes für Gegenwart und Nachwelt“ (SPSG) geschaffen. Gewiß rundet der spätbarocke Palast mit seinen eleganten Proportionen, dem reizvollen Kolorit, seiner monumentalen Pilasterordnung, den filigranen Balustraden, bewegten Figuren und seiner heroischen Kuppel markant den fürstlichen Absolutismus ab. Trotzdem signalisiert der kalte Prunk seiner Innenräume den Mangel einer barocken Festkultur in Preußen. Zumal dynastisch verwarfen die beiden herausragenden Monarchen des 18. Jahrhunderts, Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II., eine echte Hofhaltung. Diese Ambivalenz kennzeichnet den Potsdamer Palast wie seinen Erbauer. Denn der gern als musisch, philosophisch, kunstsinnig, auch patriotisch gerühmte Monarch stand den Deutschen seiner Zeit und ihrer Kultur ganz fern. Dem Neuen Palais diese Unschärfe zu nehmen und die Publikumsgunst kräftig zu stimulieren, scheint nun die aktuelle Ausstellung bestens geeignet.

Neben dem monothematischen Duktus von Rheinsberg und Sanssouci ermöglicht das Neue Palais also eine epische Sicht: Ein breites Themenspektrum kann entworfen, Friedrich vielschichtig aufgefaßt werden. Dies leisten zwölf Themenkomplex, darunter: Risiko + Ruhm, Literatur, Königsbilder, Dynastien, Europa und die Welt oder Tagesgeschäft. Der Besucher, der Friedrichs Leben und Zeitereignisse schon kennt, wächst hier in den Beziehungsreichtum der Gegenstände, in königliche Tiefenschichten hinein. Und so bleibt es fraglich, ob der König oder sein Palast den Fokus bilden. Vielmehr erweist das Bauwerk sich selbst als Hauptexponat.

Charaktere und Dinge korrespondieren hier ebenbürtig miteinander. Etwa figuriert in der Prinz-Heinrich-Wohnung szenisch Friedrichs satirisches Zeitstück „Der Modeaffe“ (1742) in kunstvollen Ensembles. So trifft man in vielen, nun eröffneten Räumen auf persönliche Zeugnisse, diplomatische Akten, Türkenzelte, Porzellane, Uhren und zahllose Porträts. Sie veranschaulichen dem Besucher noch einmal Europas große Anthropologie des singulären Charakters.

Friedrich, der staatlich-preußisch dachte und handelte, hat vor dem Hintergrund des Reichszerfalls sein Land gestärkt. Ein innerdeutscher Dualismus tat sich auf; der hat das Reichsende beschleunigt. Vollends unbekannt waren dem großen König die geistigen Kräfte, die, während seiner Regenschaft, in Deutschland eine verblüffend reiche Kultur zur Entfaltung brachten.

Doch gingen von ihm politische Impulse aus, ohne die politischer Sinn und nationalstaatlicher Weg im neuen Jahrhundert undenkbar wären.

Die Ausstellung „Friederisiko. Friedrich der Große“ ist bis zum 28. Oktober im Neuen Palais und im Park Sanssouci in Potsdam täglich außer dienstags von 10 bis 19 Uhr, Fr. und Sa. bis 20 Uhr, zu sehen. Telefon: 03 31 / 96 94-200

Der Katalog besteht aus zwei Bänden: „Die Ausstellung“ für 39,90 Euro und „Die Essays“ für 45 Euro; zusammen für 65 Euro.

www.friederisiko.de

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