© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/12 31. August 2012

Halbe Kraft voraus
Deutsche Binnenschiffer: Die Konkurrenz aus dem Ausland und Preisverfall setzen die Kanalkapitäne unter Druck / Suche nach Alternativen
Toni Roidl

Sie heißen Hildegard, Avalon, Arcturus, Rübezahl, Yggdrasil, Vaterland oder gar Zufriedenheit. Wenn es um die Namensfindung geht, zeigen die Binnenschiffer – anders als die Herren der Landstraße – manch überraschenden Einfallsreichtum. Dennoch ist die Binnenschiffahrt ein wenig beachteter Verkehrssektor. Sie läuft vergleichsweise geräuschlos, nahezu unfallfrei und umweltfreundlich. Ein klassisches Binnenschiff von etwa 80 Metern Länge ersetzt 30 bis 40 Schwerlaster auf der Autobahn. Dabei verbraucht es aber nur ein Drittel an Diesel. Doch die Branche hat Probleme, insbesondere die deutschen Binnenschiffer klagen.

In Deutschland gibt es über 7.000 Kilometer Wasserstraßen, auf denen Öl und Gas, Kohle und Erz, Sand und Kies, Stahl und Schrott sowie Container transportiert werden. Die Binnenschiffahrt hat am Güterverkehr insgesamt einen Anteil von etwa 10 Prozent (in den Niederlanden sind es 15 Prozent). Rund 800 Partikuliere gibt es in Deutschland, so heißen in der Schiffersprache die selbständigen Unternehmer mit einem oder mehreren Schiffen. Vor vier Jahrzehnten waren es noch 4.000.

Zu Zeiten des Eisernen Vorhangs, der die westlichen Länder Europas vom kommunistischen Osten trennte, verlief der Hauptgüterverkehr in Nord-Süd-Richtung. Der Zerfall des sozialistischen Machtblocks öffnete den Güterströmen wieder den Weg von West nach Ost. (Ironie der Geschichte: Der in den 1980er Jahren oft als unnütze Geldverschwendung verdammte Rhein-Main-Donau-Kanal entwickelte sich nach der Wiedervereinigung zur prosperierenden Verkehrsader.) Die Öffnung ließ ab Mitte der neunziger Jahre Investitionen in das teils altersmarode Kanalnetz fließen.

Am Rhein und um Berlin wurde mit der Modernisierung der Wasserwege aus Kaisers Zeiten begonnen. Der letzte Flaschenhals ist der Dortmund-Ems-Kanal im Bezirk Münster. Dort werden in den nächsten zehn Jahren sämtliche Brücken abgerissen und durch höhere ersetzt sowie Breite und Tiefe ausgebaut, um auch Schiffen der Containerklasse die Durchfahrt zu ermöglichen. Diese können dann vom Rhein direkt nach Berlin und noch weiter fahren.

Doch die deutschen Binnenschiffer sind über den Ausbau gar nicht erfreut. Sie befürchten, daß dann nur noch große Containerschiffe das Rennen machen. Während bei der Containerschiffahrt weiter Zuwächse erzielt werden, hat die Beförderung von Massengütern wie Düngemitteln das Niveau des Vorkrisenjahres 2008 noch nicht wieder erreicht. In der Krise von 2009 war das Transportvolumen von 250 auf 200 Millionen Tonnen gesunken.

„Die Ladung ist da, aber die Preise sind kaputt“, sagen viele deutsche Kapitäne. Die Schuld geben sie dem Neubau-Boom in den Niederlanden. Dank einer großzügigen Förderpolitik mit Staatsgarantien der Regierung werfen die holländischen Banken den Schiffern das Geld hinterher. Schon 25jährige bekommen ohne Sicherheiten einen Sechs-Millionen-Kredit für ein nagelneues Schiff. Das erinnert an die US-Immobilienblase. Die Commerzbank dagegen hat sich bereits aus der Schiffsfinanzierung zurückgezogen.

Die Folge: Auf den Wasserstraßen stauen sich die fast leeren Schiffe. Während deutsche Partikuliere für sechs Euro pro Tonne nicht kostendeckend fahren können und wollen, ist es den niederländischen Banken egal, ob das von ihnen finanzierte Schiff notfalls auch leer von Rotterdam bis zur Donau fährt. Über den Altersdurchschnitt der deutschen Binnenschiffe von 50 Jahren können die picobello ausgestatteten Niederländer nur milde lächeln. Während die Holländer neu bauten, wanderten viele deutsche Schiffe in den Hochofen.

Die deutschen Binnenschiffer wünschen sich Unterstützung von der Politik. In Sonntagsreden fordern deutsche Politiker immer wieder, mehr Güterverkehr von der Autobahn auf Binnenschiffe umzuladen. So wie Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) im Juli 2012 vor dem Bundesverband der Deutschen Binnenschiffahrt e.V. (BDB). Er vertröstete die Schiffer mit den volksnahen Worten: „Meng dat I scho, nur derfa kenna wolln’s mi net lossa.“ Im Branchenfachmagazin Binnenschiffahrt konkretisiert er diese Aussage: Wenn er in Bayern sage, Scharnebeck bräuchte eine Umgehungsschleuse, dann werde ihm vorgehalten, er stehe mit dem Gesicht zum Norden und mit dem Hinterteil zum Süden. Und vice versa, wenn er im Norden über den Donauausbau spricht. Jede Region will, das ihr geholfen werde. Motto: „Alle denken nur an sich, nur wir denken an uns.“

Auch die Europäische Union will den deutschen Binnenschiffern nicht helfen. Diese fordern, daß Brüssel eine „schwere Marktstörung“ feststellt. Mit diesem Instrument könnten Mindestpreise für Frachten festgelegt werden. Hintergrund der Planwirtschaftsidee: Der Reservetopf, in den alle Unternehmen einzahlen, ist mit zwanzig Millionen Euro prall gefüllt. Doch ohne eine attestierte Marktstörung wird das Geld nicht ausgeschüttet. Ebenso lehnt Brüssel eine Abwrackprämie ab. Die Langlebigkeit der Schiffe begünstigt die Neigung des Marktes zu Überkapazitäten. Viele Eigentümer können es sich wegen der hohen Kosten gar nicht leisten, ihr Schiff zu verschrotten.

Ab 2019 wird es für etliche Tankschiffe, die Öl, Benzin oder Gas transportieren, keine andere Wahl mehr geben, denn dann endet die Übergangsfrist für die Verpflichtung zu Tankern mit doppelwandigem Rumpf, wie sie auch für Seetanker gilt.

Die Kanalkapitäne plagen noch weitere Probleme. Karin Scheubner, Partikulierin der MS Jenny aus Würzburg, sagt der JUNGEN FREIHEIT: „An der Wettbewerbsverzerrung durch die EU-Osterweiterung hat sich leider nichts geändert. Es ist immer noch nicht so, daß für alle EU-Mitglieder dieselben Bedingungen gelten. Wir spüren immer noch die Wettbewerbsnachteile, die das vereinte Europa der deutschen Binnenschiffahrt gebracht hat. Damals hatte man uns versprochen, erst zu harmonisieren, dann zu liberalisieren. Das Gegenteil trat ein. Es ist bis heute so, daß wir uns streng an Gesetz und Ordnung halten müssen und das auch tun, aber Verstöße polnischer oder tschechischer Kollegen von der deutschen Wasserschutzpolizei ignoriert werden mit dem Argument: Bei denen ist ja doch nichts zu holen. Umgekehrt werden wir in Ungarn oder Rumänien immer noch schikaniert oder sind der Willkür von Beamten ausgesetzt.“

Völlig untätig ist das Bundesverkehrsministerium indes nicht: Es gliedert die Wasser- und Schiffahrtsdirektionen neu. Ramsauer plant, die Zahl der Schiffahrtsämter in Deutschland bis 2020 von 53 auf 34 zu senken und eine neue Zentralbehörde in Bonn zu schaffen. In vielen Bundesländern stößt die Reform auf Widerstand, obwohl die Zahl der Mitarbeiter ohne Entlassungen von 12.500 auf 10.000 reduziert werden soll. Doch etliche Schiffahrts- und Wasserschutzdirektionen verlieren ihre Kompetenzen. Nach dem Entwurf der Beratungsfirma Railistics sollen die deutschen Binnenwasserstraßen nach Frachtmenge und wirtschaftlicher Bedeutung ihrer Region kategorisiert werden. Ausgebaut werden mit den knappen Mitteln nur noch Wasserstraßen der Kategorie A. Dazu gehören Rhein, Main, Mosel, Mittellandkanal und Main-Donau-Kanal.

Nach amtlichen Prognosen zur Entwicklung des Güterverkehrs wird die Binnenschiffahrt in den kommenden Jahren weiterhin leicht zulegen. Dieses Wachstum geht aber ausschließlich auf das Konto der ausländischen Schiffe. Die deutschen Schiffer dümpeln weiter bei etwa einem Drittel am Verkehrsaufkommen. Allerdings sind etliche Partikuliere schon dazu übergegangen, unter ausländischer Flagge zu fahren. Das Schiff wird dabei einfach in das Schiffsregister eines anderen Landes wie Luxemburg eingetragen, in denen die gesetzlichen Rahmenbedingungen günstiger sind, zum Beispiel geringere Besatzungszahl, niedrigere Löhne und Registrierkosten, geringere Sicherheitsstandards und niedrigere Versicherungstarife gelten.

Kein Wunder, daß unter diesen Umständen den deutschen Binnenschiffern der Nachwuchs ausgeht. 40 Prozent der Besatzungsmitglieder sind älter als 50 Jahre. Es droht akute Personalknappheit. Dabei sind die Ausbildungsbedingungen lukrativ: Matrosen haben das höchste Ausbildungsgehalt – los geht’s mit 850 Euro. Ein Kapitän kann mit rund 3.000 Euro rechnen. Inzwischen stammt nur noch die Hälfte der Matrosenanwärter aus Schifferfamilien. Realschüler und Gymnasiasten mit gutem technischen Verständnis sind begehrte Lehrlinge. Der Anteil weiblicher Azubis liegt bei etwa zehn Prozent mit steigender Tendenz.

Not macht erfinderisch. Manche Binnenschiffer beschreiten innovative Wege, um die Krise zu meistern. Das Ehepaar Scheubner hat dafür sogar den Bundespreis „Deutschland – Land der Ideen“ erhalten. Die Scheubners vermieten ihre MS Jenny für Ausstellungen, Produktpräsentationen oder Firmenveranstaltungen, zum Beispiel für AEG. Im Wissenschaftsjahr 2012 liegt die MS Jenny in 36 Städten als Ausstellungsschiff für die Initiative Wissenschaft im Dialog (WiD) vor Anker. (Infos: www.ausstellungsschiff.de).

Monika und Dieter Last aus Winsen transportieren nicht nur bis zu 1.070 Tonnen Güter, sondern auch Touristen. Die „Mobay“ (Baujahr 1953) bietet ein- bis zweiwöchige Reisen in der Doppelkabine. Für 720 Euro pro Person und Woche kann man bei Vollpension Deutschland aus der ungewohnten Wasserstraßenperspektive genießen, so von Duisburg nach Magdeburg – und das bei allem Komfort mit Dusche, Küche, TV im Wohnzimmer und reservierten Liegestühlen auf dem Vorschiff.

An Bord mitarbeiten dürfen die Passagiere aus versicherungstechnischen Gründen nicht. Landgänge sind nach Feierabend oder während des Ladens/Löschens möglich. Allerdings ist die Reiseroute nicht vorher festlegbar, und die Anreise zum momentanen Standort muß selbst organisiert werden, ebenso wie die Rückreise vom zufälligen Endhafen.

www.urlaub-binnenschiff.de

www.ausstellungsschiff.de

Fotos: MS Vaterland auf dem Dortmund-Ems-Kanal: Geräuschlos und umweltfreundlich – trotzdem führen die Binnenschiffer ein Leben im Schatten moderner Verkehrspolitik ; Karin und Albrecht Scheubner vor ihrer MS Jenny: Not macht erfinderisch – Ausstellungen und Firmenfeiern statt Erz und Kohle

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