© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/12 31. August 2012

Der große Ausverkauf
Kurswechsel: Programmatisch hat bei den Christdemokraten kaum noch etwas Bestand. Der Vorwurf, die Partei sei ein Gemischtwarenladen, läßt sich an aktuellen Beispielen belegen
Michael Paulwitz

Flip-flopper“ nennt man in Amerika Politiker, die opportunistisch heute dies und morgen das erzählen. In gewisser Weise trifft das auf jeden zu, der im Politikbetrieb ganz nach oben will. Aber keiner kann das so gut wie Angela Merkel, die Bundeskanzlerin und Vorsitzende einer Flip-flop-Partei namens CDU.

 

Euro- Akrobatik

Sicher, stabil und stark wie die Mark solle der Euro werden, hören die Bürger seit Kohls und Waigels Zeiten aus CDU-Mund. Selbst das Wahlprogramm 2009 ging noch damit hausieren, als das Euro-Haus schon lichterloh brannte. Seither hat die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel mehr „rote Linien“ gezogen und sogleich gerissen, als die meisten Beobachter zählen können.

Seit dem Sündenfall des ersten Schulden-„bail out“ für Griechenland ist der institutionalisierte Vertragsbruch und die Enteignung von Sparern und Rentnern durch Inflation zum gängigen Mittel der Euro-„Rettung“ geworden.

Der fortgesetzte und dreist weggelogene Bruch aller Stabilitätsversprechen ist freilich kein Betriebsunfall, wie Merkel-Kritiker Erwin Teufel vor Jahresfrist zu unterstellen schien, sondern eingebauter Konstruktionsfehler. Die konservative Alternative wäre demnach wohl die schöpferische Zerstörung einer unmöglichen Währung.

 

„C“ wie: Keine Ahnung

Nicht nur die CDU Mecklenburg-Vorpommern, die im letzten Sommer wahlkämpfend „C wie Zukunft“ kalauerte, scheint nicht mehr so recht zu wissen, wofür der erste Buchstabe im Parteinamen steht. Das „C“, das eine Politik mit christlichem Wertefundament verheißt, führt die Liste der gebrochenen Politikversprechen der Kanzlerpartei weit oben an.

Im Programm stehen zwar immer noch abgeschliffene Formulierungen vom „christlichen Menschenbild“ und vom „Schutz des ungeborenen Lebens“, in der Praxis sind die Lebensschützer in der CDU eine isolierte Minderheit, rangieren engagierte Christen als eine Lobby unter vielen. Und wenn es medial opportun erscheint, kanzelt die Parteivorsitzende selbst den Papst schon mal ab wie einen unbotmäßigen Provinzparteifürsten.

 

Bunt statt Schwarz

Gab es tatsächlich mal eine CDU, in der zumindest einige die Sorgen der Bürger vor Ausländerkriminalität, Überfremdung und den Grenzen der Belastbarkeit durch Einwanderung aufgriffen und sogar zum Wahlkampfthema machten? Die beteuerte, Deutschland sei kein Einwanderungsland und könne auch gar keines sein? Seinerzeit mögen das Beruhigungspillen gewesen sein, heute ist man stolz darauf, gar nicht mehr davon zu sprechen und sich endlich zum multikulturellen Mainstream bekehrt zu haben.

Die neue CDU schmückt sich 2005 mit dem ersten „Integrationsminister“ – Armin Laschet in NRW – und der Berufung der ersten Türkeilobby-Ministerin Aygül Özkan in eine Landesregierung, die niedersächsische. Sie kämpft „gegen Rechts“ und für Moscheebauten, veranstaltet „Islamkonferenzen“ und „Integrationsgipfel“ und läßt die Wähler langsam aber sicher zweifeln, ob es überhaupt noch Unterschiede zwischen den Bundestagsparteien gibt.

 

Sozialismus statt Freiheit

Es ist noch gar nicht so lange her, da hatte die CDU einen konservativ-liberalen Wirtschaftsflügel, der auch etwas zu melden hatte. Quoten waren was für Sozialisten, Mindestlöhne ebenfalls – noch im Koalitionsvertrag 2009 wurden sie klar abgelehnt. Nur noch Papier: Im Leitantrag für den CDU-Parteitag im Dezember steht die staatliche Lohnfestsetzung drin, getarnt als „marktwirtschaftlich organisierte“, aber allgemein verbindliche Lohnuntergrenze.

Auch ein anderer grün-linker Klassiker gehört inzwischen zum CDU-Besteck, die gesetzliche Frauenquote für Unternehmensvorstände im Gewand der „Flexi-Quote“. Bundesintegrationstante Maria Böhmer will derweil mit „Migranten-Quoten“ für öffentliche Einrichtungen und Verwaltungen Leistungsprinzip und freien Wettbewerb außer Kraft setzen.

Daß ein CDU-Parteitag mal mit Begeisterung eine Steuervereinfachung zur Entlastung der Bürger beschlossen hat, klingt wie aus einer anderen Zeit: Steuern und Beiträge sollen lediglich „nicht unnötig“ erhöht werden, heißt es jetzt; was nötig ist, bestimmen dann wohl die „erheblichen finanziellen Lasten“ der Euro- und Staatsschuldenkrise. Auf der Linken wird klar ausbuchstabiert, was der CDU-Leitantrag nur andeutet – der Staat soll lieber mehr einkassieren statt weniger ausgeben.

 

Ab zur Einheitsschule

Konservative, die in der CDU das „kleinere Übel“ erblicken wollen und sich bislang damit trösteten, daß die Union wenigstens in der Bildungspolitik noch mit ihrem Festhalten am gegliederten Schulsystem einigermaßen in diesem Sinne wahrnehmbar war, müssen seit einiger Zeit ebenfalls umdenken.

Wenn es darum geht, schwarz-grüne Machtoptionen zu erschließen, stehen schulpolitische Grundsätze ganz oben auf der Streichliste: In Hamburg gestand der erste schwarz-grüne Länderchef Ole von Beust dem Koalitionspartner die gegen das Gymnasium gerichtete sechsjährige Einheitsschule im Gegenzug zur Elbvertiefung zu und scheiterte an einer Volksabstimmung, im Saarland drückte die CDU-geführte „Jamaika“-Koalition die Gemeinschaftsschule mit Hilfe der Kommunisten durch, in NRW half die CDU-Opposition der rot-grünen Minderheitsregierung bei der Verfassungsänderung zum selben Ziel.

Die Machtkonstellationen dieser taktischen Manöver bestehen nicht mehr, die „Schulreformen“ bleiben. Im November 2011 beschloß der CDU-Parteitag, die Eliminierung der Hauptschule, die er elf Jahre zuvor noch „aufwerten“ wollte. Noch ein Grund weniger für die Wiederkehr abgewählter CDU-Regierungen.

 

Hoheit über Kinderbetten

Groß war die Empörung der CDU-Opposition, als SPD-Generalsekretär Olaf Scholz vor zehn Jahren mit dem Schlagwort von der Eroberung der „Lufthoheit über den Kinderbetten“ zur Krippen- und Ganztagsoffensive blies. CDU-Politiker aller Ebenen hielten mit Elternrecht, Kindeswohl und der Warnung vor totalitärer Instrumentalisierung der Kindererziehung dagegen.

Kaum wieder an der Regierung, hat sich die CDU selbst in die Luftschlacht um die Kinderbetten gestürzt: Hatte sie 2004 das rot-grüne Krippengesetz noch abgelehnt, forcierten nur wenige Jahre später CDU-Ministerinnen den massiven Ausbau der Ganztagsbetreuung und der Krippen für unter Dreijährige mit Milliardenbeträgen. Eltern und Familien sind nur noch dem Programmbuchstaben nach Keimzelle der Gesellschaft; behandelt werden sie praktisch wie unmündige Amateure, die ohne professionelle Bevormundung durch den Staat nicht auskommen. Wie von den anderen Sozialisten jeglicher Couleur eben auch.

 

Energie- Planwirtschaft

Grüner Populismus ist zu einer Spezialität der Merkel-Union geworden. Der Umgang mit der Energieversorgung ist ein Paradebeispiel dieser Disziplin. Im Wahlprogramm 2002 wurde ein Ausstieg aus der Kernenergie noch rundweg abgelehnt, weil er neue Abhängigkeiten vom Ausland schaffe und die „Klimaproblematik“ nicht löse.

2009 deklarierte das Unions-Wahlprogramm die Kernkraft zur noch unverzichtbaren „Brük-kentechnologie“, weil „heute klimafreundliche und kostengünstige Alternativen noch nicht in ausreichendem Maße verfügbar“ seien. Mit ähnlicher Begründung setzte man kurz nach dem Regierungsantritt der schwarz-gelben Koalition sogar eine Laufzeitverlängerung für bestehende Kraftwerke durch. Nach Fukushima galt das alles nicht mehr: Das eigene Gesetz über Nacht kassiert, Kraftwerksstillegungen im Hauruckverfahren, Verkündung einer „Energiewende“, ohne Nutzen und Nachteile vorher durchzurechnen. Die Rechnung für derlei parteitaktische Stimmungspolitik zahlen ja am Ende die Bürger.

 

Urbane Randgruppen

Während sich gläubige christliche Stammwähler in der CDU zunehmend als geduldete und belächelte Exoten fühlen, wird die Verhätschelung und Überfokussierung tatsächlicher Randgruppen im Zeichen des Umbaus zur wechselwählerorientierten „Großstadtpartei“ um so energischer forciert.

Die feministische Ideologie des „Gender Mainstreaming“ ist in der Merkel-Union zum Hauptstrom geworden und darf durchregieren; Ministerin von der Leyen hat dafür einen komplexen Apparat aufgepäppelt. Und während in den Erfurter CDU-Leitsätzen von 1999 die rechtliche Gleichstellung homosexueller Partnerschaften mit der Ehe noch dem Familien-Leitbild der CDU glatt widersprach, treibt eine Gruppe von CDU-Abgeordneten mit der Bundesfamilienministerin die Verwischung der Unterschiede eifrig voran, während die CDU-Spitzen in Bund und Ländern kaum eine Gelegenheit auslassen, die Homosexuellen-Lobby zu hofieren. Löbliche Ausnahmen gibt es, doch sie bestätigen diese Regel.

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