© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/12 24. August 2012

Lockerungsübungen
Rußland muß außen bleiben
Karl Heinzen

Trotz weltweiter Proteste hat ein Moskauer Gericht die drei wegen „Rowdytums aus religiösem Haß“ angeklagten Musikerinnen der Punkband „Pussy Riot“ zu zwei Jahren Haft verurteilt. Das Strafmaß wird zu Recht als überzogen angesehen, zumal die Delinquentinnen im Laufe des Verfahrens ihr Bedauern bekundeten, religiöse Gefühle verletzt zu haben. Allerdings fällten die Richter ihr Urteil auf der Grundlage bestehender Gesetze, die auch Künstler zu respektieren haben. Etwas anderes ist in einem Rechtsstaat nicht möglich, in dem die Justiz im übrigen nicht nur Vorgaben der Regierung, sondern auch Einflüsterungen der in- und ausländischen Zivilgesellschaft zurückzuweisen hat, die nur zu oft meint, über den Gesetzen zu stehen.

Die internationale Solidaritätskampagne hat somit ihr Kernziel, den Musikerinnen die Haft zu ersparen, nicht erreicht. Auch ist es ihr nicht gelungen, die russische Bevölkerung umzustimmen. Sie soll mehrheitlich das Urteil gutheißen. Dies läßt sich allerdings dadurch erklären, daß Rußland im Gegensatz zu den westlichen Nationen durch eine gelenkte Öffentlichkeit gekennzeichnet ist und gute Argumente daher den Bürgern nicht bekannt werden.

Immerhin hat die Kampagne aber eine andere, nicht weniger wichtige Aufgabe gemeistert: Den Bürgern des Westens konnte wieder einmal plakativ vor Augen geführt werden, daß Rußland ein Problemstaat ist, mit dem eine echte Partnerschaft unmöglich erscheinen muß. Dies ist heute von größerer Bedeutung denn je. Nach dem Ende des Kalten Krieges ist es bislang eine Selbstverständlichkeit gewesen, Moskau aus allen Überlegungen über die Zukunft Europas auszuklammern. Staaten wie Moldawien, Albanien und der Ukraine wurde eine „europäische Perspektive“ verheißen, Rußland nicht.

Dies könnte sich nun, da die EU von einer gravierenden Krise erschüttert wird und sich die Amerikaner strategisch von unserem Kontinent ab- und dem ostasiatischen Raum zuwenden, ändern. Eine Einbindung Rußlands in Europa würde aber das strategische Gefüge der Welt aus den Angeln heben und den alten Kontinent in eine Rolle drängen, der er nicht gewachsen ist. Wer nicht möchte, daß die Westeuropäer durch diesen Schulterschluß überfordert werden, muß daher antirussische Ressentiments fördern, damit sie nicht auf falsche Gedanken kommen.

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