© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/12 24. August 2012

Für Deutschland
Wintershall: Im globalen Wettlauf um Erdgas und Erdöl setzt das Kasseler Unternehmen vermehrt auf einheimische Ressourcen
Dirk Fischer

Wenn von Ölmultis die Rede ist, denkt man wohl zuerst an die üblichen Verdächtigen wie Shell, BP oder Exxon Mobil. Weniger bekannt ist, daß Deutschland mit der Wintershall AG auch einen global player hat: Die 100prozentige Tochter des Chemiekonzerns BASF ist mit einem Umsatz von zuletzt zwölf Milliarden Euro Deutschlands größter Erdöl- und Erdgasproduzent und dabei neben Aktivitäten in Deutschland weltweit tätig. Europa, Nordafrika, Südamerika, Rußland, die kaspische Region sowie die Arabische Halbinsel bilden dabei die Schwerpunktregionen.

Daß der Name vielen eher unbekannt ist, liegt daran, daß sich der in Kassel ansässige Konzern mit der Suche und Förderung von Erdöl und Erdgas sowie dem Handel und Transport beschäftigt. Der Verbraucher hat also mit der Wintershall kaum direkt zu tun.

Wintershall wurde 1894 von Heinrich Grimberg und Carl Julius Winter als Bohrunternehmen zur Förderung von Kalisalz gegründet. Der Firmenname setzt sich deshalb auch zusammen aus dem Namen des Gründers Winter und dem althochdeutschen Hall für Salz.

Die Entdeckung von Erdöl bei Bohrungen im thüringischen Volkenroda bedeutete 1930 den Einstieg in die Mineralölförderung. Nach dem ersten Fund 1951 im Emsland stieg Wintershall auch in die Erdgasförderung ein. Der Beginn einer Erfolgsgechichte.

Entsprechend faßte Rainer Seele, Vorstandsvorsitzender der Wintershall, anläßlich der feierlichen Eröffnung des neuen Bohrkernlagers im niedersächsischen Barnstorf Mitte Juli die Unternehmensphilosopie zusammen. Demnach ist die „heimische Förderung unverzichtbar“, da sie nicht allein „Versorgungssicherheit“ garantiere, sondern auch als „Basis für Innovationen und Hochtechnologien“ dient, mit denen „wir weltweit punkten und internationale Energiepartnerschaften knüpfen können“, so Seele weiter.

Eines der ersten Partnerländer war Libyen. Seit 1958 fördert Wintershall dort Erdöl. Unter der Herrschaft Gaddafis gehörte das Unternehmen mit einer täglichen Förderung von 100.000 Barrel zu den größten Ölproduzenten des Landes. Mit Ausbruch der Revolution mußten die Aktivitäten im Februar 2011 allerdings eingestellt und Mitarbeiter ausgeflogen werden. Einheimische Mitarbeiter bewachten die Anlagen, an denen kein Schaden entstand. So konnte die Förderung im Oktober 2011 wieder angefahren werden. Zur Zeit liegt das Niveau wieder bei 70.000 Barrel am Tag.

Im Fokus des Wintershall-Engagements liegt seit Beginn der 1990er Jahre die Partnerschaft mit dem russischen Erdgaskonzern Gazprom. Die Kooperation im Bereich der Vermarktung von russischem Gas in Europa führt im Jahr 1993 zur Gründung des Erdgas-Gemeinschaftsunternehmens Wingas. Heute betreibt Wingas ein 2.000 Kilometer langes Leitungsnetz und im niedersächsischen Rehden den größten unterirdischen Erdgasspeicher Europas.

Diese enge Partnerschaft wird 1999 noch weiter ausgebaut: Jetzt soll auch sibirisches Öl und Gas gemeinsam gefördert werden. Mittlerweile gibt es zwei Projekte: Seit 2006 ist Wintershall mit dem Gemeinschaftsunternehmen Achimgaz als erstes deutsches Unternehmen bei der Erdgasförderung in Rußland aktiv. Das zweite gemeinsame Erdgasförderprojekt Juschno Russkoje wurde 2007 in Betrieb genommen.

Das bekannteste Projekt, an dem Wintershall beteiligt ist, ist die Ostsee-Pipeline. Das Unternehmen ist mit 15,5 Prozent an der Betreibergesellschaft Nord Stream beteiligt. 51 Prozent gehören Gazprom, 15,5 Prozent Eon und sowie je neun Prozent der niederländischen Gasunie und der französischen Suez.

Die im November 2011 eingeweihte Leitung liefert Erdgas von Wyborg in Karelien durch die Ostsee bis nach Greifswald. Nach Inbetriebnahme des zweiten Stranges der Pipeline Ende 2012 rechnet man mit einer Liefermenge von 55 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr.

Diese Route hat für Deutschland und Europa den Vorteil, daß es keine Transitländer gibt. Mehrfach gab es in der Vergangenheit Lieferausfälle aufgrund von Streitigkeiten Rußlands mit der Ukraine und Weißrußland. Umgekehrt fühlen sich Anrainer wie Polen und die baltischen Staaten übergangen und warnen vor einer zu großen Abhängigkeit von Rußland. Das Projekt geriet zudem in die Schlagzeilen, weil Ex-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) Ende 2005 zum Vorsitzenden des als Aufsichtsrat fungierenden Aktionärsausschusses berufen wurde, obwohl die Bundesregierung vorher noch unter seiner Führung eine Kreditbürgschaft in Höhe von 900 Millionen bewilligt hatte.

Noch in Planung befindlich ist das das Projekt South Stream. Auch bei dieser Pipeline hält Gazprom die Mehrheit, und Wintershall ist mit 15 Prozent beteiligt. Die Strecke soll durch das Schwarze Meer führen und Südeuropa versorgen. Hierbei soll die Durchleitungskapazität 47 Milliarden Kubikmeter im Jahr betragen.

Damit ist die South Stream ein Konkurrenzprojekt zur Nabucco-Pipeline, die von der EU vorangetrieben wird, um die Abhängigkeit von Gazprom zu verringern. Dazu soll die EU mit den kaspischen Erdgasvorkommen über eine Leitung mit der Jahreskapazität von 31 Milliarden Kubikmetern durch die Türkei und den Balkan bis Österreich verbunden werden. Dieses Projekt hat aber mit einer Kostenexplosion und dem Rückzug von beteiligten Firmen zu kämpfen.

Steigende Energiepreise und zunehmender Erdgasverbrauch – Prognosen rechnen 2030 für die EU mit 575 Milliarden Kubikmetern – machen aber auch die heimischen Vorkommen wieder attraktiv: Erst seit wenigen Jahren gibt es eine Technik zur Förderung von sogenanntem Schiefergas, in Tonschichten gespeichertes Erdgas. Dieses erlebt in den USA geradezu einen Boom. Auch Europa müsse hier handeln, forderte unlängst Harald Schwager, Vorstand beim Mutterkonzern BASF.

Wintershall führt deshalb in Nord-rhein-Westfalen Probebohrungen durch. Deren Erfolg ist aber fraglich. Zunächst liegt das Schiefergas in Europa deutlich tiefer im Boden als in den USA. Vor allem aber ist das Fracking-Verfahren, bei dem Wasser mit verschiedenen chemischen Zusätzen unter Hochdruck ins Gestein gepreßt wird, nicht unumstritten. Umweltschützer befürchten eine Verunreinigung des Grundwassers. In der Umgebung der Probebohrungen von Wintershall haben sich bereits zahlreiche Umweltinitiativen gegründet. Wohl deshalb ist Wintershall jetzt erst mal zurückgerudert: In den nächsten zehn Jahren werde es keine nennenswerte Förderung von Schiefergas in Europa geben, sagte ein Sprecher. Die Probebohrungen in gingen aber weiter.

Denn eines ist laut Wintershall sicher: „Im globalen Wettlauf um Erdöl und Erdgas gewinnt die heimische Förderung zunehmend an Bedeutung. In Deutschland gewonnenes Erdgas sichert rund 15 Prozent des deutschen Gesamtbedarfs – dies entspricht einem Jahresverbrauch von mehr als sechs Millionen Einfamilienhäusern.“

 

Wintershall-Aktivitäten weltweit

Erkundung und Produktion von Erdöl und Erdgas

Nordsee

Offshore-Gas- und Ölförderung (NO, DK, GB, NL)

Rußland

Handel mit und Produktion von Erdgas (Gazprom)

Deutschland

Betriebsführer der einzigen Gasförderplattform in der deutschen Nordsee. Förderung in Barns-torf, Emlichheim, Landau sowie in Aitingen/Schwabmünchen

Katar

Seit 2008 Suchrechte in den Hoheitsgewässern von Katar nach Erdgas

Libyen

Wiederaufnahme der Ölproduktion im Oktober 2011

Argentinien/Chile

Ölförderung durch die 100prozentige Tochtergesellschaft Wintershall Energía S.A. (AR)/ Suche nach Lagerstätten (Chile)

Foto: Produktionsanlagen nahe der Oase Jakhira in Libyen: Wintershall ist seit 1958 in der libyschen Wüste in der Produktion von Erdöl aktiv

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