© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/12 24. August 2012

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Bundestagswahl: Die ungelöste Frage der Kanzlerkandidatur wird für die SPD immer mehr zum Problem
Michael Martin

Ein bißchen ist es wie beim Mikado. Wer sich zuerst bewegt, verliert. Und die drei Hauptakteure sind erfahrene Spieler. Erst im kommenden Frühjahr wollen die SPD-Granden den Herausforderer von Bundeskanzlerin Angela Merkel küren. Die innerparteilichen Kandidaten stehen dabei schon fest. Parteichef Sigmar Gabriel, der Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier und der ehemalige Finanzminister Peer Steinbrück. Öffentlich äußern will sich keiner. Eben wie beim Mikado.

Oder beim Radfahren. Wer zu früh aus dem Windschatten kommt, schafft es selten als Erster ins Ziel. Dabei hätte der Parteivorsitzende alle Trümpfe in der Hand. Unter Gabriel hat die SPD zur Geschlossenheit zurückgefunden. Doch ausgerechnet in dem Moment, in dem sich die Umfragen wieder der 30-Prozent-Marke nähern, droht dem Niedersachsen die Kontrolle über das Verfahren zu entgleiten. Eigentlich wollte er die Wahl in seinem Heimatland Ende Januar abwarten, so war es mit den Kontrahenten abgesprochen. Doch in den vergangenen Tagen haben sich mehrere Partei-Prominente öffentlich zu Wort gemeldet – und dabei hat sich niemand für den Chef ausgesprochen.

Dies ist nicht einmal das Problem, aber daß sich die Funktionäre nicht mehr an den Zeitplan des Vorsitzenden halten, das spricht nicht für ihn. Das könnte als Autoritätsverlust ausgelegt werden. Und eine Respektsperson ist Gabriel nur bedingt. Früher, als er im Parteivorstand der „Musikbeauftragte“ war, da nannten sie ihn nur halb im Scherz „Siggi Pop“, auf seine Leibesfülle anspielend bezeichneten ihn seine Gegner auch schon mal als „Harzer Roller“. Ein netter Typ, sagen sie in der Partei, aber keiner, mit dem man Wahlen gewinnt. Alle Meinungsumfragen sehen Gabriel weit im Hintertreffen, und gegen Merkel punkten kann ohnehin keiner der drei Kandidaten.

Am ehesten wird ein Wahlsieg noch dem ehemaligen Finanzminister Steinbrück zugetraut, dem viele Bundesbürger eine große wirtschaftliche Kompetenz zubilligen. Aber Steinbrück steht auf Kriegsfuß mit den Gewerkschaften, er ist kein Linker, ein Technokrat, ein Gefolgsmann Gerhard Schröders. Der hatte die SPD zwar 1998 nach 16 Jahren wieder an die Macht geführt, anschließend seine Partei durch die Agenda 2010 in eine Existenzkrise gestürzt. Steinbrück gilt vielen in der SPD als „Wirtschaftsliberaler“, aber gerade das kommt beim Wähler an. Doch in der Partei wächst die Angst, die Linkspartei könne von einer Kandidatur Steinbrücks profitieren. Andere, wie der baden-württembergische Landesvorsitzende Nils Schmid, sehen dagegen das Potential, daß Steinbrück ins Merkelsche Revier einbrechen könnte.

„Klug ist es nicht, sich öffentlich jetzt mit sich selbst zu beschäftigen“, sagte die Generalsekretärin Andrea Nahles am Wochenende. Denn das nütze nur dem politischen Gegner und besonders Kanzlerin Merkel. Doch die Büchse der Pandora ist geöffnet. Und getan hat dies ausgerechnet ein ehemaliger Steinbrück-Getreuer, der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Torsten Albig. Dieser hatte mit seiner Festlegung auf Frank-Walter Steinmeier als Kanzlerkandidat die Partei am vergangenen Wochenende in Aufruhr versetzt. Der frühere Sprecher von Steinbrück empfahl zudem seinem einstigen Ziehvater, sich eine Kandidatur nicht anzutun. Steinbrück „würde das Korsett nicht mögen, in das er sich als Kandidat zwängen müßte“, sprich, er traut ihm nicht zu, alle Flügel der Partei hinter sich zu vereinen.

So läuft erst einmal alles auf einen hinaus, der noch nie eine Wahl gewonnen hat: Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier. Der war schon zu Zeiten der Großen Koalition unter Merkel Außenminister. Die Menschen mögen den „Stoni“, aber kann er Merkel schlagen? 2009 erzielte er mit 23 Prozent das miserabelste Ergebnis, welches je ein Kandidat der Sozialdemokraten eingefahren hat. Dabei hatte er in den Wochen vor der Wahl hohe Zustimmungswerte, letztlich konnte er nicht vom Amtsbonus des Außenministers profitieren. Dennoch gilt Steinmeier als der Kandidat, der am meisten Rückhalt in der Partei hat. Er gilt als besonnen, als Moderator und als clever. Nur so ist es zu erklären, daß er nach dem Wahldesaster mit dem Fraktionsvorsitz belohnt wurde.

„Die SPD sitzt in der Zeitfalle“, meint der Politikberater Michael Spreng. Denn nun wachse der Druck, die K-Frage rascher zu lösen. „Die SPD ist Opfer ihrer eigenen Inszenierung geworden“, sagte er dem Nachrichtensender N24. Der Politologe Franz Walter ging im Spiegel sogar noch weiter. Er empfahl der Partei eine Urabstimmung. Die würde nach jetzigem Stand der Dinge Steinmeier für sich entscheiden können. Aber es gibt auch Stimmen, die davor warnen und kritisieren, der SPD fehle die Siegermentalität. Offen sagt das niemand. Aber die, die es hinter vorgehaltener Hand flüstern, haben eine Lösung parat. Die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat schließlich bereits zwei Wahlen gewonnen. Sie könnte die lachende Vierte sein, wenn die drei „Mikado-Spieler“ gar nicht in Bewegung kommen wollen.

Foto: Frank-Walter Steinmeier, Sigmar Gabriel und Peer Steinbrück (v.l.n.r.) im Juni in Paris: „Die SPD sitzt in der Zeitfalle

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