© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/12 24. August 2012

Auf Augenhöhe mit den Kirchen
Integration: Hamburg plant Vertrag mit Islamverbänden
Ekkehard Schultz

In Hamburg soll nach dem Willen des Ersten Bürgermeisters Olaf Scholz (SPD) ein Staatsvertrag zwischen dem Land und den muslimischen und alevitischen Verbänden geschlossen werden. Darin werden die Rechte und Pflichten der in Hamburg lebenden etwa 130.000 Muslime und 50.000 Aleviten konkret geregelt. Bis Ende des Jahres soll die Bürgerschaft des Stadtstaates dieser Vereinbarung zustimmen, für die sich bereits Ole von Beust (CDU), der Vorvorgänger von Scholz, eingesetzt hatte (Kommentar Seite 2).

Ein unmittelbares Vorbild für das Papier stellen die Verträge dar, die bereits mit der evangelischen und der katholischen Kirche sowie der jüdischen Gemeinde geschlossen wurden. So sollen für Muslime und Aleviten die höchsten islamischen und alevitischen Feiertage den Status von kirchlichen Feiertagen erhalten. Damit hätten muslimische Schüler auf Antrag einen Rechtanspruch darauf, etwa während des Opferfestes vom Unterricht befreit zu werden. Die gleiche Regelung soll auch für muslimische Arbeitnehmer gelten, allerdings mit der Einschränkung, daß dies „die Arbeitsabläufe in ihren Betrieben“ nicht behindern dürfe. Für die eigenen Feiertage müßten die Beschäftigten jedoch weiterhin Urlaub nehmen oder das Pensum nacharbeiten.

Ebenso ist im Papier eine Angleichung beim Religionsunterricht an den staatlichen Schulen vorgesehen. Geplant ist eine überkonfessionelle Vermittlung. Dabei soll sich die evangelische Kirche die Verantwortung für diese Stunden mit den muslimischen Gemeinden teilen. Grundsätzlich sollen auch Muslime das Fach unterrichten dürfen, sofern sie das zweite Staatsexamen in diesem Fach abgelegt haben. Bis zur Festlegung der endgültigen Regelungen ist eine fünfjährige Probephase angedacht. Darüber hinaus soll Muslimen die sarglose Bestattung in einem Tuch erlaubt werden.

Zwar würden die muslimischen Verbände auch nach den Regelungen des Vertrages noch nicht vollständig mit den christlichen Kirchen gleichgestellt, denn hoheitliche Befugnisse wie Steuererhebungen oder die Beschäftigung von Beamten blieben auch weiterhin allein den evangelischen und katholischen Institutionen vorbehalten. Gleichwohl soll mit dem Papier die religiöse Neutralität des Staates noch stärker bekundet werden.

Verpflichtungen für die Muslime ergeben sich hingegen aus dem Vertrag nur indirekt. So sollen die islamischen Verbände zur „vollständigen Geltung und Achtung der staatlichen Gesetze“ verpflichtet werden. Dadurch erhofft sich der Senat, dazu beizutragen, den Radikalen stärker das Wasser abzugraben. Dazu sollen die Verbandsvertreter stärker in die Pflicht genommen werden. Zudem soll auf diese Weise die Integration der in Deutschland lebenden Muslime erleichtert werden.

Während die katholische und die evangelische Kirche sowie die Hamburger CDU-Fraktion den Vertrag grundsätzlich unterstützen, sieht die FDP in der Neuregelung wenig Sinn. So sagte der innenpolitische Sprecher der Hamburger Liberalen, Carl Jarchow, daß „ein Zusammenleben der verschiedenen Konfessionen“ keinen Staatsvertrag erfordere. Die Vereinbarung sei daher „völlig unnötig“, so Jarchow. Dagegen feiern die Hamburger SPD und die Grünen den Vertrag als „Meilenstein“.

In den anderen deutschen Bundesländern ist das Echo auf den Hamburger Entwurf bislang gemischt. Nur die Regierungen von Bremen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein wollen dem Vorbild von Hamburg folgen. In Niedersachsen gibt es bereits eine vergleichbare Vereinbarung, in der etwa Tuchbestattungen erlaubt wurden. Im Schuljahr 2013/2014 steht dort zudem die Einführung islamischen Religionsunterrichts an. Auch in Berlin existiert mit dem Ende 2010 beschlossenen sogenannten „Integrationsgesetz“ bereits eine ähnliche Regelung.

Dagegen gibt es in Hessen und Bayern auf der Landesebene keine Bestrebungen, vergleichbare Verträge abzuschließen. Allerdings arbeitet die schwarz-gelbe Landesregierung in Wiesbaden daran, einen konfessionsgebundenen islamischen Religionsunterricht einzuführen. In Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen stellt sich diese Frage nicht. Denn dort ist der Anteil der Muslime an der Gesamtbevölkerung nach wie vor gering.

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