© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/12 24. August 2012

Abschied von Belgien
Das Streben der Flamen nach Unabhängigkeit ist ein Vorbild für alle Völker Europas
Michael Paulwitz

Wenn am Sonntag wieder vieltau-sendfach der Löwe von Flandern zur elften Ijzerwake am Monument von Steenstrate weht, verkündet er eine Botschaft, die nicht nur das flämische Volk angeht, sondern den ganzen Kontinent: Europa lebt in seinen Völkern, nicht in den Chefetagen der Banken und Konzerne; Vielfalt und Wettbewerb sind die Grundlagen seiner Stärke, nicht Zentralismus und Dirigismus; und der Frieden in Europa erfordert den unbedingten Respekt vor der nationalen Souveränität und dem Selbstbestimmungsrecht aller seiner Völker – auch und gerade der kleinen. In Zeiten, da die Allmachtsphantasien der Euro-Retter von fiskal- und wirtschaftspolitischer Gleichschaltung, von der Kastration und Entmündigung der Nationalstaaten und von der putschartigen Schaffung eines europäischen Superstaats täglich neue absurde Blüten treiben, ist diese Botschaft aktueller denn je. Während Europas abgehobene politische Klasse stur vom „Friedensprojekt“ Euro schwadroniert, schürt das gescheiterte Projekt einer Währungsunion den Unfrieden in Europa zwischen Gebern und Nehmern, Zahlern und Abstaubern, Begünstigten und Übertölpelten, Erpressern und Erpreßten.

Daß Haftungsunionen, die ein Volk zu permanenten Transferleistungen für ein anderes zwingen, auf Dauer nicht gutgehen können, weiß kaum jemand in Europa so gut wie die Flamen. Die ungerechte Kombination aus fiskalischer Ausnutzung und sprachlich-politischer Bevormundung durch den wallonischen Süden war und ist ein wesentlicher Antrieb für die stetig stärker werdende Bewegung für ein unabhängiges Flandern. Wer das als platten materialistischen Egoismus abtut, verkennt die fiskalischen Grundlagen des demokratischen Gedankens: So wie nach innen das Steuerbewilligungsrecht der zur Steuerleistung fähigen Stände der Ursprung des modernen Parlamentarismus ist, stellt nach außen die Fiskalhoheit, die Freiheit einer Nation also, selbst über die Verteilung und Verwendung der Früchte der eigenen Arbeit zu bestimmen, ein konstitutives Element des nationalen Selbstbe-stimmungsrechts dar.

Nicht nur in Flandern befeuern und stärken die Verteilungskämpfe, die unvermeidlich aus der Euro- und Staatsschuldenkrise folgen, den Wunsch nach nationaler Unabhängigkeit. In Südtirol verschaffen die Begehrlichkeiten der Zentralregierung, die deutsche Einwohnerschaft der Kriegsbeute am Brenner verschärft zur Sanierung der maroden Staatsfinanzen heranzuziehen, der „Los von Rom!“-Bewegung eine neue, breitere Basis. Und schon vor gut zwei Jahrzehnten war der Überdruß von Kroaten und Slowenen an der institutionalisierten Transferausbeutung zu Gunsten des Südostens eine wesentliche Triebfeder für den Zerfall des künstlichen Multikultistaats Jugoslawien.

Ganze Völker lassen sich nicht auf Dauer in konstruierten Vielvölkerstaaten oder in supranationalen Zwangsverbänden festhalten – das ist eine Konstante der neueren europäischen Geschichte. Sie entspricht der Logik des demokratischen Gedankens: Volksherrschaft setzt ein politisch organisiertes Volk voraus, eine Nation, die durch einen ausreichenden Vorrat an Gemeinsamkeiten, Werten und Traditionen, kurz gesagt: eine Iden-tität, zusammengehalten werden.

Solche Identitäten wachsen über Jahrhunderte hinweg als Ergebnis gemeinsamer Geschichte und geteilten Schicksals. Sie lassen sich weder befehlen noch gegen den Willen der Betroffenen von oben konstruieren. Diese simple Realität hat bereits das Imperium der UdSSR, Jugoslawien und die Tschechoslowakei zum Einsturz gebracht. Sie wird auch dem belgischen Kunststaat ein zeitiges Ende bereiten. Für den Nationalstaat als angemessenen Ort der demokratischen Willensbildung eines Volkes gibt es keinen Ersatz; kein Scheinföderalismus, kein „Europa der Regionen“ kann an die Stelle der staatlichen Unabhängigkeit treten, wenn ein Volk gewillt ist, sein Recht auf nationale Selbstbestimmung auszuüben.

Ebenso kann ein demokratisches Europa nur ein Europa der Vaterländer sein, ein Bund von gleichberechtigten und souveränen Nationalstaaten. Ein supranationaler europäischer Bundesstaat dagegen kann demokratisch schon deshalb nicht legitimiert sein, weil ihm der Souverän fehlt, das „europäische Volk“. Bürokraten und Wirtschaftslobbyisten, die sich Europa nur als einheitlichen Konsumentenraum ohne gewachsene Identitäten denken wollen, versuchen die Nationalstaaten gleich aus mehreren Richtungen auszuhöhlen und zu diskreditieren: Masseneinwanderung und Islamisierung sollen ihre Völker in beliebig verschiebbare Bevölkerungen auflösen, während die Schaffung immer neuer Euro-„Rettungsschirme“ und Kontrollgremien die Fiskalhoheit und damit das Selbstbestimmungsrecht der Nationen unterminiert.

Das perfide Manöver, auf dem Umweg über die „Rettung“ des gescheiterten Experiments einer europäischen Gemeinschaftswährung einen neuen Anlauf zur Erzwingung eines Europa-Staates zu unternehmen, hat dennoch gute Aussichten, der langen Liste der gescheiterten multinationalen Kunststaaten ein weiteres Kapitel anzufügen und an den nationalen Realitäten Europas zu scheitern. Für wahre Europäer wäre das eine gute Nachricht. Ein europäischer Superstaat würde nämlich die europäischen Völker ihrer größten Stärke im internationalen Wettbewerb berauben: der Vielfalt.

Der Wunsch des flämischen Volkes nach einem eigenen Staat, der auch in diesem Jahr aus Anlaß der Ijzerwake wieder deutlich artikuliert werden wird, ist ein klares Signal zur Abkehr von diesem Irrweg. Zentralismus bringt Stillstand und Verarmung. Europa braucht freie Völker und souve-räne Nationen, die im friedlichen Wettbewerb in einem Europa der Vaterländer prosperieren. Europa braucht ein freies, unabhängiges Flandern.

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