© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/12 17. August 2012

Wie ausgewechselt
Deutsche Leitmedien vollziehen im Fall Drygalla eine 180-Grad-Wende / Doch niemand entschuldigt sich
Sebastian Rast / Ronald Gläser

Am Montag, den 6. August, war die FAZ wie ausgewechselt. Auf der Titelseite warnte Matthias Wyssuwa vor einem Stochern im Nebel der Vorwürfe, vor Kurzschlußreaktionen und mahnte: „Die Gesellschaft muß wohl die Partnerwahl der Sportlerin ertragen.“

Nur zwei Tage zuvor hatte das noch  ganz anders geklungen. Am Tag eins der Affäre Drygalla hieß es in der Olympiabeilage: „Der Deutsche Olympische Sportbund mußte die Ruderin Nadja Drygalla von ihrem Rückzug aus dem Olympischen Dorf überzeugen.“ Denn: „Man fragt sich, ob eine intime Beziehung zum einem überzeugten Rechtsradikalen ohne Einfluß bleiben kann auf die eigene Weltanschauung. Die Antwort lautet wohl meistens: nein.“ Ohne Entlassung sei daher eine Schadensbegrenzung nicht möglich gewesen, und die ganze Welt würde in Kürze glauben: „deutsche Sportler von Nazis unterwandert“.

Sämtliche Leitmedien in Deutschland haben nach dem Bekanntwerden der Gerüchte über Nadja Drygallas Freund in den Antifamodus geschaltet und die junge Frau vorverurteilt. Wenige Tage später vollzogen sie eine bemerkenswerte Kehrtwende und rückten von ihrer eben noch mit Verve vertretenen Position ab. Folgen wird diese Erkenntnis jedoch keine haben. Das zeigen vergleichbare Fälle aus der Vergangenheit.

Wer die Affäre Drygalla verstehen will, muß sich damit befassen, wie sie angestoßen wurde: Angefangen hat alles mit einem Artikel des Internetportals kombinat-fortschritt.com, das im Antifajargon berichtete: „Mecklenburgische Neonazifreundin bei Olympischen Spielen“. Begierig stürzten sich sämtliche Medien auf die Geschichte: „Nazi-Skandal bei Olympia“, titelte etwa die Bild am 4. August.

Daß es sich bei dem „Kombinat“ um eine linksextreme Propagandaseite handelt, die auf einem ausländischen Server ohne Impressum (dafür mit geklauten Bildern) betrieben wird, spielte für die Qualitätsmedien keine Rolle. Soviel zu den Urhebern des Gerüchts, Drygalla gehöre zur NS-Sympathisantenszene. Doch die schönsten Blüten trieben nun die Zeitgeistmedien. So wurde das Privatleben Drygallas durchkämmt und Mutmaßungen aufgrund von Facebook-Einträgen angestellt. In Wirklichkeit war nicht Drygalla das Thema, sondern das vermeintliche Rechtsextremismus-Problem in Deutschland.

Zunächst wurde Nadja Drygalla für die politischen Ansichten ihres Freundes in Sippenhaftung genommen. Eigentlich war sie ja aus London abgereist, um keine Belastung für die deutsche Olympiamannschaft entstehen zu lassen. Es folgte jedoch das genaue Gegenteil: Sofort meldeten sich Kommentatoren in allen meinungsbildenden deutschen Medien zu Wort und urteilten über die Sportlerin und ihren Freund: Die Ruderin sei „entweder unglaublich naiv oder dumm oder selbst vom braunen Ungeist infiziert“, wetterte Frank Jansen im Tagesspiegel.

Er wurde tags darauf noch von Claus Christian Malzahn übertroffen, der für die Welt von angeblich 180 „rechten Morden“ seit der Wiedervereinigung, Brandstiftern in Rostock-Lichtenhagen, rechtsextremer Hegemonie und – natürlich – dem NSU schwadronierte, um zu dem Schluß zu kommen: „Das alles hat auch mit der Achter-Ruderin Nadja Drygalla zu tun.“

Weshalb? Drygalla habe „auf ihrer Facebook-Seite zu erkennen gegeben, daß sie mit diesem Milieu sympathisiert.“ Als Beleg führte Malzahn, in dessen Weltbild  zwischen holzschnittartigen NSU-Nazis und aufrechten Demokraten, die „vor dem Schlafengehen im Grundgesetz blättern“, offenbar kein Platz ist, ein gepixeltes Foto an. Das Bild zeigte zwar eine blonde Frau. Es ist aber selbst aus Sicht der Antifa sicher, daß es sich dabei nicht um Nadja Drygalla handelt.

Die taz begab sich bei der Analyse des Falls auf niedrigestes Niveau und ließ Erik Peter im Gossenjargon fragen, ob die Beziehung der „Nazibraut“ Drygalla zu ihrem Freund „etwa nur aus Vögeln und Schweigen“ bestanden habe? „Nein, fünf Jahre an der Seite eines Nazikaders bedeuten Zustimmung“, so die Beantwortung der selbstgestellten Frage. Wer sich mit Nazis ins Bett lege, solle sich „über den entstehenden Modergeruch nicht wundern“.

Gegen den Vorwurf der „Gesinnungsschnüffelei“ wußte sich Jennifer Zimmermann in der Frankfurter Rundschau zuletzt mit dem schlagendsten Argument überhaupt zu verteidigen: „Nationalsozialismus ist keine Meinung, keine Gesinnung. Er ist ein Verbrechen. Nach ihm wird nicht geschnüffelt, sondern gefahndet.“

Nach wenigen Tagen kippte die Stimmung. So finden sich inzwischen vom Spiegel über die Zeit bis hin zur zuvor maßgeblich an der Skandalisierung beteiligten Welt Bekundungen des Bedauerns angesichts der medialen Hinrichtung der Sportlerin.

So schaltete sich Welt-Herausgeber Thomas Schmid ein und stellte fest: „Nach wirklich allem, was bekannt wurde, hat sich die Sportlerin Nadja Drygalla nichts zuschulden kommen lassen. Sie wurde bei keiner rechtsextremen Demonstration gesichtet, es gibt keine Äußerung von ihr, die in die rechtsextreme Richtung wiese. Sie ist eine unbescholtene junge Frau.“

Eine Entschuldigung wegen des Berichts in der eigenen Zeitung kam dem Kommentator hingegen nicht über die Lippen.

Foto: Drygalla-Berichterstattung: Erst schreiben, dann denken – so arbeiteten die meisten deutschen Redaktionen

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