© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/12 17. August 2012

Lockerungsübungen
Überfällige Reform
Karl Heinzen

Thomas Oppermann, Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, sorgt sich um den deutschen Parlamentarismus. Im europäischen Vergleich, so sein in einem Interview mit der Rheinischen Post verkündeter Befund, ist er nämlich eher als langweilig einzuschätzen. Notwendig sei daher eine Parlamentsreform, die in erster Linie das Fragerecht neu gestaltet. So sollten die Minister höchstpersönlich den Abgeordneten Rede und Antwort stehen und sich nicht mehr etwa durch Staatssekretäre vertreten lassen dürfen. Auch die Regierungsspitze wäre alle sechs Wochen in den Bundestag zu zitieren, um sich dort nach britischem Vorbild den Fragen der Parlamentarier zu stellen. Generell sollten im Plenum nur noch „große Debatten“ geführt und die Randthemen in „andere Foren“ ausgelagert werden.

Der Vorstoß Oppermanns ist in den weiteren Fraktionen weder auf euphorische Zustimmung noch auf grundsätzliche Ablehnung gestoßen. Es scheint Konsens zu herrschen, daß eine Parlamentsreform notwendig ist. Insgesamt zeichnet sich ab, daß alle Fraktionen die Rechte des Bundestages stärken und damit die Handlungsfähigkeit der Regierung schwächen wollen. Gerade dies könnte jedoch in einer Zeit der Krisen fatale Folgen nach sich ziehen.

Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird der aus den Wahlen im September des kommenden Jahres hervorgehende Bundestag ein ganz anderes Bild abgeben als der derzeitige. Scheitert die FDP an der Fünf-Prozent-Hürde, wird sich eine Fraktion mit jahrzehntelang bewährter Kompromißfähigkeit verabschieden. Mit den Piraten dürfte eine Bewegung in den Bundestag einziehen, die richtungslos, entscheidungsschwach und sprunghaft ist und damit für institutionellen Stillstand bürgt. Sollte es auch noch den bürgerlichen Euro-Kritikern gelingen, etwa in Gestalt der Freien Wähler auf Bundesebene parlamentarisch Fuß zu fassen, käme eine weitere Formation hinzu, die unerfahren ist und mit der niemand zusammenarbeiten kann. Dieser neue Bundestag böte zwar einen höheren Unterhaltungswert, so daß sich die Vorschläge Oppermanns eigentlich von selbst erübrigten. Kohärente Weichenstellungen wären von ihm aber nicht zu erwarten. Wenn es eine Parlamentsreform gibt, muß diese daher darauf zielen, die Regierung dem Einfluß des Bundestages zu entziehen.

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