© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/12 17. August 2012

Graue Wolken über der Grande Nation
Frankreich: Die Aufbruchsstimmung nach dem Triumph der Sozialisten ist angesichts des wirtschaftlichen Niedergangs schnell verflogen
Friedrich-Thorsten Müller

Es ist gerade einmal drei Monate her, daß in Frankreich das linke politische Lager einen epochalen Wahlsieg erreichte. Erstmals sind Präsidentenamt und beide Parlamentskammern in den Händen der Sozialisten. Trotzdem will die Aufbruchsstimmung nicht lange anhalten, verkünden die Meinungsforscher vom Ifop-Institut doch bereits nach 100 Tagen, daß François Hollande auf 46 Prozent Zustimmung abgesackt sei. Die Stichwahl würde er damit aktuell nicht mehr gewinnen. Sein Vorgänger Sarkozy konnte dagegen 2007 im selben Zeitraum in der Wählergunst noch um zwölf Prozent auf 65 Prozent Zustimmung zulegen.

Dieses Stimmungsbild kurz nach der Regierungsbildung und mitten in den praktisch allgemeinverbindlichen französischen August-Sommerferien verdeutlicht, wie sehr in Frankreich  die Nerven blank liegen. Daran ändert auch nichts, daß Präsident Hollande mit seinem vorgeblichen Ausstieg aus der „Merkelschen Austeritätspolitik“, durch die geplante Reichensteuer oder Gehaltssenkungen für sich und die neuen Minister beim Volk durchaus gepunktet hat.

Ohne größere politische Fehler gemacht zu haben, wird er damit Opfer einer nicht abreißenden Kette schlechter Wirtschaftsnachrichten. Dabei ist seine Klage, daß die Industrie zum Wohle seines Vorgängers Sarkozy viele schlechte Nachrichten bis nach den Wahlen zurückgehalten hat, nicht unbegründet.

Während der schleichende Anstieg der Arbeitslosigkeit über die psychologisch wichtige Zehn-Prozent- und Drei-Millionen-Schwelle noch eher eine abstrakt schlechte Nachricht war, häufen sich nun konkret greifbare Horrormeldungen.

Dreh- und Angelpunkt sind dabei die für die französische Wirtschaft extrem wichtigen Großunternehmen zum Beispiel in der Automobilindustrie. So kündigte im Juli PSA Peugeot Citroën an, 2014 trotz neuer staatlicher Förderprogramme 8.000 Stellen streichen und das traditionsreiche Werk Aulnay-sous-Bois sogar schließen zu wollen. Auch Renault vermeldete, Produktionskapazitäten in Westeuropa reduzieren zu müssen. Zwar wehrt sich die Regierung mit ihrem in Deutschland noch unvorstellbaren Re-Industrialiserungsminister Arnaud Montebourg und traditioneller Industriepolitik nach Kräften gegen angekündigte Werksschließungen und Stellenabbau. Aktuelle Verluste von über 200 Millionen Euro pro Monat machen es PSA aber unmöglich, dem staatlichen Druck nachzugeben, da die Existenz des in Privatbesitz befindlichen Autoherstellers massiv in Frage gestellt ist.

Tatsächlich kann man an der Automobilindustrie sehr gut zwei wichtige strukturelle Probleme der französischen Industrie ablesen: Staatlicher Interventionismus hat einheimische Anbieter durch Bevorzugungen lange gegen unerwünschte Folgen der Globalisierung geschützt.

Im Gegenzug mußten die Konzerne aber darauf verzichten, durch Werksverlagerungen in die neuen Märkte ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Dabei fokussierte der Staat – begünstigt durch den vorherrschenden Zentralismus – vor allem auf die französischen Großkonzerne, wie PSA Peugeot Citroën, Alstom (Energie, Transport), Suez (Energie), Bouygues (Bau, Telekommunikation, Medien, Energie) oder Thales (Luft- und Raumfahrt, Militärische Sicherheit).

All dies geht aber nur so lange gut, wie der Staat genügend Geld für Industriepolitik hat oder zumindest über die Möglichkeit verfügt, seine Währung abzuwerten, um seine Unternehmen international wettbewerbsfähiger zu machen. Innovationsfeindlich ist es aber allemal, wofür Frankreich mit einer schleichenden De-Industrialisierung seit Jahren die Quittung erhält. Auch genügt es nicht, um Arbeit in die Fläche zu bekommen. Für diese Aufgabe fehlt in Frankreich weitgehend der Mittelstand, der in Deutschland nicht selten in der Provinz Erfolgsgeschichten von der Garagenfirma zum Weltmarktführer schreibt.

Wie sehr Frankreich unter seinem Verlust an Wettbewerbsfähigkeit durch die Währungsunion ächzt, kann man sehr gut an der Entwicklung der Außenhandelsbilanz ablesen: Während das Land 2002 noch einen kleinen Handelsbilanzüberschuß erwirtschaftete, wurden 2011 für 89 Milliarden Euro mehr Waren im Ausland gekauft, als dorthin exportiert. Dies entspricht fast 1.400 Euro pro Einwohner. Gleichzeitig stiegen die Lohnstückkosten in dem Zeitraum um 28 Prozent, während sie in Deutschland nur um sieben Prozent gestiegen sind.

Hinzu kommt ein viel zu starkes Engagement französischer Banken und Exporteure im rezessionsgeplagten Südeuropa, wohingegen Deutschland längst in den aufstrebenden Märkten Asiens und Lateinamerikas präsent ist. Auch das inzwischen auf nur 0,3 Prozent herunterkorrigierte erwartete reale Wirtschaftswachstum für dieses Jahr ist wesentlich diesen Umständen geschuldet. Im aktuellen Quartal wird von der französischen Notenbank sogar mit einem Schrumpfen des Bruttoinlandsprodukts um 0,1 Prozent gerechnet.

Der einzige Weg, der Frankreich innerhalb der Euro-Währungsunion alternativ zur Staatsverschuldung daher bliebe, ist ein knallharter Reformkurs zur Senkung der Lohnstückkosten und zur Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit.

François Hollande ist aber gerade dafür gewählt worden, daß er ankündigte, die zaghaften Versuche Sarkozys, sich Deutschlands Hartz-Reformen zum Vorbild zu nehmen, im Keim zu ersticken. Die unter seinem Amtsvorgänger erfolgte Anhebung des Rentenalters auf 62 Jahre hat er konsequenterweise bereits teilweise rückgängig gemacht. An sonstige Maßnahmen zur Senkung der mit 50 Prozent sehr hohen Sozialabgaben oder der viel zu hohen Staatsquote ist nicht zu denken.

Auch den nach Einschätzung der OECD viertstärksten Kündigungsschutz der Europäischen Union, der viel wirtschaftliche Dynamik schluckt, wird Hollande mit seiner linken Mehrheit kaum antasten.

Reformbestrebungen auf der Einnahmenseite, wie die lautstark beschworene Reichensteuer mit einem neuen Spitzensteuersatz von 75 Prozent oder die Finanztransaktionssteuer sind dagegen eher symbolischer Natur und werden den französischen Haushalt nicht sanieren können.

Auch dieses Jahr wird mit einem Haushaltsdefizit von mindestens 4,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gerechnet, womit Frankreichs Staatsschulden insgesamt die 90 Prozent-Marke des BIP überschreiten dürften. Die Ratingagenturen haben darum bereits begonnen, das Land herabzustufen.

In dieser Babylonischen Gefangenschaft aus Fakten und Wahlversprechen ist es jetzt darum nur folgerichtig, wenn sich die sozialistische Regierungen von der von Deutschland angestrebten Null-Verschuldungs-Politik mehr oder weniger leise verabschiedet.

Einer noch von Sarkozy angestrebten Verankerung der „Schuldenbremse“ in der französischen Verfassung haben die Sozialisten gerade eine Absage erteilt, weil sie wissen, daß man ihr ohne Verfassungsrang leichter aus dem Weg gehen kann. Seine Freunde sucht man im Elysée-Palast inzwischen auch nicht mehr in Berlin, sondern in Madrid oder Rom, wo die Interessen ähnlich sind, die noch bestehende Kreditwürdigkeit Deutschlands und Nordeuropas zum Wohle der eigenen Wähler einzusetzen.

 Es ist so gesehen vor allem ein Eingeständnis der eigenen Aussichtslosigkeit, wenn die – egal ob rechts oder links immer nationalistische – französische Politik sich inzwischen offenbar mehr davon verspricht, zusammen mit den Südländern die eigenen Schulden zu vergemeinschaften, als die eigene Kreditwürdigkeit an den Finanzmärkten gegen deren Begehrlichkeiten zu verteidigen.

In diesem Sinne wird Frankreich mit seinem Wechsel von rechts nach links und von Nord nach Süd von einem möglichen Teil der Lösung immer mehr zu einem Teil des europäischen Problems. Unübersehbar beginnt die Euro-Staatsschulden-Krise sich von der europäischen Peripherie ins Herz der Währungsunion hineinzufressen. Frankreich wird aber mit einer an Realitätsverweigerung grenzenden Politik seinen wirtschaftlichen Niedergang nicht verhindern, sondern nur um so unausweichlicher machen.

Foto: Protest gegen den geplanten Personalabbau beim französischen Automobilkonzern PSA Peugeot Citroën (12. Juli 2012):  „Die Aktionäre plündern unseren Reichtum“

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