© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/12 17. August 2012

„Ihre Reise endet hier“
Per Anhalter auf dem Weg nach Syrien: Trotz gültigen Visums bleiben die Schranken verschlossen
Billy Six

Wir wollen nur eines: diesen Mann loswerden!“ In Athen weht sie bereits: die Flagge des „neuen Syrien“. Rund zwei Dutzend Anhänger der syrischen Opposition demonstrieren vor dem griechischen Parlament gegen den syrischen Machthaber Baschar al-Assad. Auch Frauen und Kinder sind dabei. Die Passanten werden zu einer Diaschau auf offener Straße eingeladen – Fotos aus dem Kriegsgebiet. Ohne Frage: Mit herzensguten Menschen lassen sich freundliche Gespräche führen. Doch Klarheit bringt der Abend nicht. Gibt es Alternativen zur herrschenden „Baath“-Regierung in Damaskus? Worum geht es in diesem blutigen Konflikt?

In Griechenland interessiert sich derzeit kaum jemand für diese Fragen. Nur eines läßt aufhorchen: Über die Ägäis-Inseln dringen nach Auskunft der Griechen türkische Kampfflugzeuge regelmäßig in den syrischen Luftraum ein – eine Demonstration der Stärke. Im Juni endete eine entsprechende Operation über dem syrischen Luftraum mit einem Abschuß. Für die Regierung in Ankara diente das Ereignis als Anlaß zur Verstärkung der Armeepräsenz entlang der über 800 Kilometer langen Grenze.

 Endlich im Südosten der Türkei angekommen, geht es in die Provinz Hatay. Ein Sammelbecken der unterschiedlichen Religionsgruppen. Alawiten und Christen bilden hier die Mehrheit gegenüber sunnitischen Türken und Arabern. Eine spannungsgeladene Mischung, ähnlich wie in Syrien und dem Libanon. Doch im südlichsten Zipfel der Türkei herrscht echter Friede. Auch wenn sich Damaskus und Ankara seit Jahrzehnten über den Grenzverlauf uneinig sind.

Wer sind die Alawiten, zu denen auch die Assad-Familie gehört? An den idyllischen Sandstränden von Hatay wird Hochzeit gefeiert. Laute Musik schallt durch die Nacht. Wie in den Städten und Dörfern treten die Mädchen westlich bekleidet auf. Zum Alkohol bestehen nur bedingte Berührungsängste. Ja, die Alawiten betrachten sich als Moslems – und doch lehnen sie die Scharia als Gesetzgebung ab. Für Anhänger der „Sunna“ ist all dies ein Graus. Vielleicht erklärt es ein wenig, warum gerade sie sich im Aufstand gegen den „Löwen von Damaskus“ befinden. Und andersherum, warum meine alawitischen Gesprächspartner in der Türkei allesamt hinter Baschar al-Assad stehen.

Grenzübergang Yayladağı. Auf der syrischen Seite hängen die überlebensgroßen Porträts der Assads. Damit ist klar, daß keineswegs alle Passagen geschlossen sind oder sich unter Kontrolle von Rebellen befinden. Und doch: Nur rund zwei Dutzend Fahrzeuge bahnen sich täglich den Weg über die Gebirgsserpentinen.

Daß plötzlich ein deutscher Staatsbürger Einlaß begehrt, bringt Unruhe in die Gruppe bewaffneter Grenzbeamter. Angespannte Gesichter. Herzlichkeit gibt es nicht. Das trifft auch auf die Passanten zu, auch wenn jeder bestätigt, daß es eine „sichere“ Durchfahrt über Umwege gäbe. Fünf Stunden Warten. Kontrollverhöre: „Wie finden Sie Israel?“ Ein Grenzer verkündet schließlich: „Ihre Reise endet hier!“

Trotz gültiger Papiere und Visum soll die Weiterfahrt nicht möglich sein? „Es tut uns leid – Damaskus verbietet Europäern hier die Einreise. Wir stehen in der Verantwortung. Wenn ein Syrer unterwegs von Terroristen erschossen wird, ist das egal. Aber in ihrem Falle bringt uns das Ärger!“

Lamentieren und Bestechungsversuche. Nichts bringt Fortschritte. Übernachtung im Transitbereich. Wenn es dunkel wird, geht der Krieg los. Aus geschätzt zwanzig Kilometern Entfernung dringt das dumpfe Dröhnen von Explosionen. Panzer und Artillerie – die syrische Armee ist im Einsatz. Türkische Grenzbeamte bringen Tee. Ihre Gesichter sind ernst. „Du Verrückter, warum willst du dein Leben wegschmeißen. Gehe zurück nach Deutschland. Die da drüben sind irre!“

Im Gespräch bestätigen die türkischen Beamten alle Vorwürfe von der anderen Seite: Ja, es würden Waffen an Aufständische über die Berge transportiert und verletzte Kämpfer in die hiesigen Krankenhäuser gebracht. „Wir sind im Krieg mit Syrien.“

Sonntag, 12. August. Der dritte Versuch eines legalen Grenzübertritts. Diesmal steht der syrische Oberkommandierende  an der Schranke. Er droht: „Wenn du in zehn Minuten nicht verschwunden bist, wirst du unser Gefängnis kennenlernen.“ Ein „Terrorist“ wird mit einem Sack über dem Kopf abgeführt. „Und außerdem“, so der Kommandant mit seinen goldenen Schulterabzeichen, „wird dich das Feuer fressen.“

Feuer? Alle Soldaten, Polizisten und Geheimdienstler haben sich an der Hauswand postiert. Ihr Blick richtet sich einige Meter weiter. Am Toilettenhaus kokeln drei Männer herum. Dichter Rauch steigt auf. Innerhalb von Minuten steht der gesamte Wald lichterloh in Flammen. Noch gerade rechtzeitig gelingt es, zurück zur türkischen Seite zu gelangen. Das Atmen fällt schwer. Türkische Soldaten und Feuerwehrleute rücken an. Der Grenzposten wird zeitweise geräumt. Die Grenzer rufen: „Wir haben dir gesagt, daß dieser Hurensohn (gemeint ist Baschar al-Assad) verrückt ist.“

Foto: Am türkisch-syrischen Grenzübergang Yayladağı: Rigide Grenzposten sowie selbstgelegte Brände verhindern den Grenzübertritt

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