© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/12 10. August 2012

Gesinnungsjustiz mit EU-Segen
Mit „Erinnerungsgesetzen“ Meinungsfreiheit lähmen
Christian Dorn

Gemäß Nietzsches Abhandlung „Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben“ gilt es, die drei Arten von Geschichtsrezeption – die monumentalische, die antiquarische und die kritische – in ein zweckdienliches, lebensbejahendes Verhältnis zueinander zu setzen. Doch wie ließe sich dies mit den in Europa skuzessive um sich greifenden „Erinnerungsgesetzen“ in Einklang bringen?

Vielleicht gar nicht, weil es heute wiederum eine „unzeitgemäße Betrachtung“ wäre? Jedenfalls fehlt der Nietzsche-Bezug auch in der vergleichenden Studie des österreichischen Historikers und Publizisten Hannes Hofbauer. Unter dem Titel „Verordnete Wahrheit, bestrafte Gesinnung – Rechtsprechung als politisches Instrument“ dokumentiert dieser die zunehmende „Verrechtlichung historischer Wahrheit“. Während in Deutschland Leugnung oder Verharmlosung des Holocaust und der nationalsozialistischen Verbrechen schon lange einen Straftatbestand erfüllen – durch Paragraph 130 (Volksverhetzung) und Paragraph 189 (Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener) – hat inzwischen auch die EU „die Büchse der Pandora geöffnet“.

Ausgangspunkt hierfür war der von der EU verabschiedete Rahmenbeschluß zur Kriminalisierung von Rassismus, Antisemitismus und Leugnung des Völkermords, der im November 2008 Rechtsakt wurde. Seither, so die Diagnose, greife die „Gesinnungsjustiz“ auf erschreckende Weise um sich. Während in der Tükei seit je bestraft werde, wer das Schicksal der Armenier als „Völkermord“ benennt, gelte für Frankreich nun genau das Gegenteil. Überhaupt gebe es jetzt verschiedenste „falsche“ Meinungen, die – je nach Ort der Äußerung – ins Gefängnis führen können. Beispiele seien die Leugnung des „Völkermords in Sebrenica“, der zum bosnischen Gründungsmythos geworden sei, die Rechtfertigung der Niederschlagung des Ungarnaufstands 1956 oder die Verharmlosung des „Holodomor“ in der Ukraine 1932/33.

Kurioserweise unterminiere der EU-Rahmenbeschluß aber gerade die für Deutschlands Gesinnungsjustiz fundamentale „Einzigartigkeit des Holocaust“, da durch den EU-Beschluß nun jedes als „Völkermord“ klassifizierte Verbrechen mit dem Holocaust „auf eine Stufe“ gestellt werde.

Hannes Hofbauer: Verordnete Wahrheit, bestrafte Gesinnung. Rechtsprechung als politisches Instrument. Promedia Verlag, Wien 2011, broschiert, 264 Seiten, 17,90 Euro

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