© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/12 10. August 2012

Auch Haßtiraden gelten als Terrorismus
Wie sich die Politik immer neue Internet-Gesetze ausdenkt – und damit Zensur und Überwachung vorbereitet
Toni Roidl

Nach einer monatelangen Protestwelle und einer Petition mit zweieinhalb Millionen Unterschriften wurde das umstrittene Acta-Abkommen kassiert. Die zuständige EU-Kommission hat die Ratifizierung vorerst auf Eis gelegt. Doch während die „Aktivisten“ mit den Guy-Fawkes-Masken noch feiern, kommen schon die nächsten Gesetzentwürfe um die Ecke. Ipred heißt das nächste Schreckgespenst. Die EU will die Richtlinie „Intellectual Property Rights Enforcement Directive“ (Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte an immateriellen Gütern) novellieren.

In Ipred sollen die stumpfen Formulierungen des Acta-Abkommens scharf geschliffen werden. Provider müßten demnach den Internetverkehr ihrer Kunden von vornherein überwachen. So soll ein schärferes Vorgehen gegen die widerrechtliche Verwendung urheberrechtlich geschützter Inhalte möglich sein. Dadurch würde die vom Bundesverfassungsgericht verbotene Vorratsdatenspeicherung durch die Hintertür wieder eingeführt.

Die Anbieter sollen Kunden sperren, wenn diese „umstrittenes Material“ miteinander tauschen: Die Richtlinie sieht eine Sanktionierung nach dem Grundsatz „Three strikes and you’re out“ vor. Nach zwei Verwarnungen würde beim dritten Verstoß der Internetzugang gesperrt.

Obwohl Ipred schon vor Jahren konzipiert und bereits im Februar auf den EU-parlamentarischen Weg gebracht wurde, hat bisher kaum ein EU-Bürger davon gehört. War der Acta-Rückzieher nur ein Scheinmanöver, um mit Ipred still und leise ein „Acta hoch zwei“ einzuführen?

Und das ist längst nicht alles! Es kommt noch mehr auf uns zu – zum Beispiel das EU-Projekt Clean IT. Das will Internetnutzer dazu bringen, „illegale oder unerwünschte“ Inhalte zu markieren und zu melden. Natürlich gehört auch „Diskriminierung“ zu den unerwünschten Inhalten. Auch Strafverfolgungsbehörden sollen den Hinweis-Mechanismus nutzen. Provider wüßten dann sofort, daß bei ihnen potentiell illegale Inhalte lagern und wären gezwungen, zu reagieren.

An dem Projekt sind die Niederlande, Deutschland und Großbritannien, Belgien, Spanien und Europol beteiligt. Unter Terrorismus faßt das Gremium übrigens auch „Hate Speech“ (Haßtiraden). Um diese zu bekämpfen, sollen Browserfirmen, Provider, Domain-Registrierer, E-Mail-Dienstleister, Telefoncenter, private Ermittler und Anwaltskanzleien, Suchmaschinen, Onlinehändler und Foren zur Zusammenarbeit angehalten werden.

Dabei wurden zwei Probleme identifiziert: 1. Manche Internetanbieter reagieren nicht auf informelle Mitteilungen von Strafverfolgungsbehörden, sondern nur auf gerichtliche Anforderungen. 2. Unerwünscht ist nicht immer illegal. Zur Lösung der Probleme wurde eine Liste mit 23 Schritten erarbeitet. Dazu zählen Änderungen der Geschäftsbedingungen von Internetanbietern, technische Lösungen, ein Klarnamenszwang sowie „spezialisierte Gerichte und Staatsanwaltschaften“.

Programm-Direktor But Klaasen von der sozialliberalen Partei Hollands vergleicht sein Wunsch-Internet mit einer Nichtraucherzone! („Das Internet soll ein öffentlicher Raum sein, den jeder betreten kann, ohne seine Gesundheit zu gefährden.“) Der ehemalige Justizminister will eine Europäische Behörde für Computersicherheit mit Kompetenzen zur Strafverfolgung schaffen und redet unumwunden von einer „Weltgesundheitsorganisation fürs Internet“.

Ein geradezu orwellianisches EU-Projekt verknüpft den virtuellen mit dem realen öffentlichen Raum: Indect (Intelligentes Informationssystem zur Unterstützung von Überwachung, Suche und Erfassung für die Sicherheit von Bürgern in städtischer Umgebung).

Durch Einsatz und Bündelung verschiedener Videoüberwachungssysteme sollen Bedrohungslagen vorhergesehen werden. Dazu setzen die Erfinder auf die Kombination von Suchmaschinen und Überwachungskameras. Dabei kommen Kamera-Drohnen zum Einsatz, die miteinander kommunizieren und Daten vernetzen, beispielsweise Gesichtserkennung, Handyortung und Surfverhalten. Wer also ein „Haßvideo“ im Internet hochlädt, kann dann automatisch per Handy geortet und von Kameras überwacht werden. Anderseits kann ins Visier der Kameras geraten, wer sich „abweichend verhält“, zum Beispiel sich entgegen der Laufrichtung einer Menschenmenge bewegt. Einige Medien hatten berichtet, daß Indect-Komponenten bei der Fußball-EM in Polen getestet werden sollten; die EU beeilte sich, dies zu dementieren. An der Verwirklichung dieser irren Vision arbeiten Universitäten in Polen, Spanien, Bulgarien, Deutschland (Uni Wuppertal, Fachbereich E), England, Tschechien, Slowakei und Österreich.

Allen Projekten gemein ist die konspirative Vorgehensweise: Von Regierungen ernannte Terrorbekämpfer gründen eine Initiative; Öffentlichkeit und Parlamente erfahren nichts. Es werden erst Fakten geschaffen und dann diskutiert, wenn die Entscheidungen schon auf dem Weg sind. Außerdem wird der Zweck möglichst unklar formuliert. Erst heißt es, al-Qaida solle bekämpft werden, doch plötzlich geht es um „illegale Benutzung des Internets“, was immer das heißt. Und natürlich wird stets versichert, die Maßnahmen hätten keinerlei negative Auswirkungen auf die Freiheit!

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