© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/12 10. August 2012

Nationalhymne in Not
Schweiz: Nachdem sich Österreich im letzten Jahr eine „geschlechtergerechte“ Nationalhymne zugelegt hat, sollen nun auch die Eidgenossen eine neue bekommen
Curd-Torsten Weick

Trittst im Morgenrot daher, / Seh’ ich dich im Strahlenmeer, / Dich, du Hocherhabener, Herrlicher! / Wenn der Alpenfirn sich rötet, / Betet, freie Schweizer, betet! / Eure fromme Seele ahnt Gott im hehren Vaterland ...“ – während SVP-Nationalrat Christoph Blocher nach seiner Rede vor Getreuen auf einer Waldlichtung nahe Zürich die Bundeshymne schmetterte, sorgte die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft (SGG) am Nationalfeiertag (1. August) für Schlagzeilen.

Der sogenannte Schweizerpsalm sei „sprachlich sperrig und inhaltlich nicht mehr zeitgemäß“, erklärte sie und kündigte die Ausschreibung eines Wettbewerbs zur Neuvertextung der Hymne an. Bis zum 1. August 2015 soll demnach ein neuer, der heutigen Schweiz „angemessener“ Text offiziell eingeführt werden.

Doch anders als in Österreich, das im vergangenen Jahr seine Hymne „geschlechtergerecht“ verändert hatte – aus „Heimat bist du großer Söhne, Volk, begnadet für das Schöne“ wurde „Heimat großer Töchter und Söhne, Volk, begnadet für das Schöne“ (JF 30/11), steht in der Schweiz der religiöse Charakter im Mittelpunkt der Kritik.

Verfaßt vom Zürcher Dichter Leonhard Widmer und vom Urner Priester und Komponisten Alberik Zwyssig vertont, wurde der Schweizerpsalm 1841 zum ersten Mal öffentlich vorgetragen. Doch erst am 1. April 1981 wurde er offiziell zur Nationalhymne der Schweiz erhoben, nachdem er für 20 Jahre als provisorische Hymne galt. Vor 1961 existierte für politische und militärische Anlässe das Lied „Rufst du mein Vaterland“, das zur englischen Melodie „God save the King“ gesungen wurde. Begründet wurde die Entscheidung 1981 damit, das der Schweizerpsalm „ein rein schweizerisches Lied, würdig und feierlich“ sei, eben so, wie sich eine „Großzahl unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger“ seine Landeshymne wünsche.

Dies scheint sich nun geändert zu haben. Zwar gab es auch schon Versuche, die Hymne zu ändern, doch der Bundesrat zeigte sich unbeirrbar. Die Landeshymne, so eine Erklärung aus dem Jahr 2004, sei ein „emotional besetztes und polarisierendes Thema“. Aufgrund dieser Tatsache sowie in Anbetracht der „Erfahrungen in der Vergangenheit“ sei man „zurückhaltend gegenüber neuen Versuchen, einen Text zu finden, der diesen heterogenen Empfindungen Ausdruck verleiht“. „Trotz gewisser Mängel“, so der Bundesrat weiter, sei der Schweizerpsalm vor allem „dank seiner Bekanntheit eine würdige Landeshymne“.

Aller Brisanz zum Trotz findet das Ansinnen der SGG nur in den Diskussionsforen der Schweizer Medien ein breites Echo. Die einen kritisieren den „schwülstigen, religiösen“ Text sowie die „Beerdigungs“-Melodie, die anderen warnen vor den Auswüchsen einer „politisch korrekten, geschlechtergerechten“ Landeshymne. Die Politik hält sich im Gegensatz dazu – noch – bedeckt.

Trotzdem zeigt sich die SGG zuversichtlich. Sie will in den kommenden Wochen eine landesweite Jury einberufen sowie den „notwendigen Einbezug der politischen Kräfte“ schaffen. Die SGG ist nicht irgendwer. Als Verwalterin der Rütli-Wiese hat sie sich, ihrem Selbstverständnis zufolge, im Verlauf ihrer 200jährigen Geschichte der „Pflege und Stärkung der Tradition des demokratisch-republikanischen Staates angenommen“.

Entsprechend wertet sie den Schweizerpsalm als unzeitgemäßen Ausdruck des Zeitgeistes der vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts, der zudem in Text und Melodie „kaum“ oder nur „bruchstückhaft“ bekannt ist.

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