© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/12 10. August 2012

Vorsicht, Falle!
Meinungsfreiheit: Deutschland ist keine Diktatur, sondern ein Rechtsstaat. Wir können uns auf verbriefte Freiheitsrechte berufen, und Toleranz gilt als ein hohes Gut. Dennoch wird auch hier – von der „Zivilgesellschaft“ – streng sanktioniert, was gesagt werden darf und was besser nicht. Wir nennen beispielhaft sechs Themen, an denen sich den Mund verbrennen kann, wer von der Norm abweicht

 

Geschichte

Geschichte (oder genauer: Geschichtspolitik) ist das klassische „verminte Gelände“ in der deutschen Diskussionskultur. Hier werden die Grenzen dessen, was sich gehört, besonders eng gezogen und streng überwacht, hier herrscht der größte Konformitätsdruck. Das gilt bereits unterhalb der strafrechtlich relevanten Schwelle (siehe Seite 12).

Im November 1988 mußte Bundestagspräsident Philipp Jenninger (CDU) aus seinem Amt scheiden, nachdem er in einer Rede zum Gedenken an die „Reichskristallnacht“ von 1938 zu erklären versucht hatte, warum die Deutschen damals so vom Nationalsozialismus fasziniert waren. 1993 scheiterte die Kandidatur des konservativen sächsischen CDU-Politikers Steffen Heitmann zum Amt des Bundespräsidenten. Ihm wurde zum Verhängnis, daß er in einem Interview ein Ende der mit der NS-Vergangenheit begründeten „Sonderrolle Deutschlands“ gefordert hatte.

Als sich 1998 der Schriftsteller Martin Walser in einer Rede gegen die „Dauerpräsentation unserer Schande“ wandte, wurde ihm vorgeworfen, er nutze „antisemitische Klischees“. Und 2003 warf die CDU den Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann (JF 46/03) aus Fraktion und Partei wegen des – unzutreffenden – Vorwurfs, er habe die Juden als „Tätervolk“ bezeichnet. (vo)

 

„Antifeminismus“

Das Verdikt, man habe sich antifeministisch oder gar frauenfeindlich geäußert, kann einen Karriereknick bewirken. So geschehen im Oktober vergangenen Jahres, als die Universität Trier dem renommierten israelischen Militärhistoriker Martin van Creveld kündigte, nachdem sich linke studentische Gruppen über seine These, viele Frauen würden es genießen, Männern dabei zuzusehen, „wie sie sich gegenseitig abschlachten“, empört hatten (JF 45/11).

Ebenfalls im vergangenen Jahr verlor die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Goslar, Monika Ebeling, ihre Stelle, weil sie sich nach Auffassung ihrer Kritiker zu einseitig Männerbelangen widmete und beispielsweise für die Rechte geschiedener Väter eintrat (JF 19/11).
Doch es geht schon bei Bagatellen los: Erst kürzlich erhielt die Bahn eine schlechte Presse, weil sie den Teilnehmern einer Protestdemonstration gegen Abtreibung verbilligte Zugfahrkarten gewährte, und die Lufthansa sah sich nach einem auf Twitter inszenierten Sturm der Entrüstung genötigt, einen Werbetext zurückzuziehen. Begründung: Das „Miles & More Credit Card Partnerkarte Woman’s Special“ transportiere ein „überkommenes Rollenverständnis“. (vo)

 

„Homophobie“

Kritik an der „Gleichstellung“ homosexueller Lebenspartnerschaften? Davon sollte man lieber die Finger lassen. Im Juni 2010 hatte sich der Geschäftsführer der Karlsruher CDU, Andreas Reifsteck, eine Anzeige wegen Volksverhetzung eingehandelt, weil er auf seiner Facebook-Seite in saloppem Tonfall die Forderung nach einem Adoptionsrecht für homosexuelle Paare kritisiert hatte. Außerdem äußerte Reifsteck sein Mißfallen an den CSD-Paraden („Blödsinn“). Für einen Homosexuellenverband waren solche „konservativ-reaktionären Statements“ Grund genug, die CDU zur Distanzierung von ihrem „umstrittenen“ Mitarbeiter aufzufordern.

Einen Aufschrei provozierte auch der Magdeburger Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD), der sich im vergangenen Jahr geweigert hatte, die Schirmherrschaft für den CSD zu übernehmen (JF 26/11). Das schwul-lesbische Onlinemagazin „queer.de“ nannte den Politiker daraufhin ein „hartnäckig-peinliches Fossil“ und fuhr schweres Geschütz auf: Mit seiner Weigerung setze Trümper „ein fatales Signal an diejenigen, die uns weiterhin Rechte verweigern oder uns sogar zusammenschlagen wollen“.

Und der homosexuelle Grünen-Abgeordnete Volker Beck forderte im April dieses Jahres die sächsische FDP auf, die parteilose Gemeinderätin Cordula Drechsler aus der liberalen Fraktion zu werfen. In einer an ihn gerichteten kritischen, aber harmlosen E-Mail von Drechsler witterte Beck „unverbesserlichen Menschenhaß“. (vo)

 

Diskriminierung

Beim Thema ethnische oder religiöse Minderheiten sind Samthandschuhe angebracht. Das spürte nicht zuletzt der ehemalige Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD), als im August 2010 sein Buch „Deutschland schafft sich ab“ erschien. Zwar wurde es ein Verkaufsschlager, und die Lesungen des Autors gerieten zum Publikumsmagneten; doch im Grunde hatten nahezu alle relevanten gesellschaftlichen Kräfte aus Politik und Medien das Werk noch vor Erscheinen in Bausch und Bogen verdammt (JF 35/11).

In einer rechtlich zwielichtigen Aktion wurde Sarrazin von seinem Posten als Bundesbankvorstand gedrängt, von seiner Partei vor das Schiedsgericht gezerrt und von Migrantenverbänden wegen Volksverhetzung angezeigt. Juristisch verliefen die Vorwürfe im Sande, das SPD- Ausschlußverfahren scheiterte, nachdem Sarrazin eine Erklärung abgab, er habe nie die Absicht gehabt, mit seinem Buch „Gruppen, insbesondere Migranten, zu diskriminieren“ oder sozialdemokratische Grundsätze zu verletzen.

Die Warnungen vor der vermeintlich in Deutschland grassierenden Fremdenfeindlichkeit oder „Islamophobie“ tauchen immer wieder dann auf, wenn auf Mißstände bei der Integrationsbereitschaft islamischer Einwanderer verwiesen wird.

Gänzlich bizarr ist es, wenn – wie vor einigen Wochen – die Autorin Sarah Kuttner nach einer Lesung wegen rassistischer Volksverhetzung angezeigt wurde: weil die Protagonistin ihres Romans von einer „Negerpuppe“ berichtete, die sie wegen ihrer „Schlauchbootlippen“ häßlich fand. (vo)

 

Kritik an Israel

Du kannst in Deutschland alles sagen, was du willst – du mußt nur bereit sein, die Konsequenzen zu tragen“, stellte der Publizist und frühere Vorstand des Zentralrats der Juden in Deutschland Michel Friedman einst fest. Genau auf die Konsequenzen kommt es jedoch an, wenn sich ein freies von einem unfreien System unterscheiden soll.

Im April dieses Jahres warf der Schriftsteller Günter Grass in einem Gedicht mit dem Titel „Was gesagt werden muß“ der israelischen Regierung vor, sie gefährde mit ihrer Drohung eines Militärschlags gegen Iran den „ohnehin brüchigen Weltfrieden“. In der daraufhin entbrannten öffentlichen Debatte ging es dann weniger um die Frage, ob Grass’ Vorwürfe begründet seien oder nicht. Stattdessen wurde dem Nobelpreisträger von deutschen Politikern sowie Vertretern jüdischer Institutionen in Deutschland vorgeworfen, er habe sich israelfeindlich und antisemitisch geäußert. Immerhin lehnte das deutsche P.E.N.-Zentrum unter Verweis auf die Freiheit des Wortes einen Antrag auf Aberkennung der Ehrenpräsidentschaft von Grass ab.

Solcher Fürsprache entbehrte der seinerzeitige nordrhein-westfälische FDP-Vorsitzende Jürgen Möllemann, als er sich 2002 nach seinen kritischen Äußerungen zur israelischen Besatzungspolitik vom Zentralrat vorwerfen lassen mußte, er bediene „jahrhundertealte antisemitische Klischees“. Möllemann verlor den Rückhalt in der FDP und kam seinem Parteiausschluß durch Austritt zuvor (JF 50/02). Er starb unter nie vollständig geklärten Umständen bei einem Fallschirmsprung im Juni 2003. (vo)

 

Klima-wandel

Wer die regierungsamtlich festgestellte, vom Menschen gemachte Erderwärmung in Zweifel zieht, ist ein Klimaleugner. Der Begriff erinnert nicht von ungefähr an den Straftatbestand Holocaustleugnung. Klimaleugner, die der britische Vorzeige-Öko Prinz Charles 2011 zur Verantwortung zu ziehen angeregt hat, ignorierten die Fakten und gefährdeten die Menschheit, so der Vorwurf. Sie zögen die Richtigkeit der staatlichen Planeten-Rettungspolitik (Erneuerbare-Energien-Gesetz, Emissionshandel, Glühlampen-Verbot) in Zweifel.

So trifft die Klimaleugner der Ausschluß vom Diskurs. Und das, obwohl sie überzeugende Argumente vorbringen: 500 Kältetote in Europa im letzten Winter oder den Dauerregen der letzten Wochen, der die seit Jahren vorausgesagte Extremdürre längst als Falschprognose entlarvt hat. Zu den prominentesten Opfern gehört beispielsweise der amerikanische Physiker Fred Singer, dessen klimakritisches Forschungsinstitut als „Lobbyverein“ der Mineralölindustrie verunglimpft wird. Oder das Europäische Institut für Klima und Energie, das als „Altherrenverein“ abgetan und damit mundtot gemacht werden soll.

Der deutsche Meteorologe Wolfgang Thüne – ein früherer ZDF-Wetterexperte – ist, seitdem er als Klimaleugner gilt, für die führenden deutschen Fernsehsender kein Gesprächspartner mehr. (rg)

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