© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/12 10. August 2012

Der kommunistische Traum
Richtungsstreit: Die Piratenpartei sucht ihren Weg zwischen Marxismus und Liberalismus
Ronald Gläser

Die Piraten sind eine liberale Partei.“ Der Parteichef der Piraten, Bernd Schlömer, sagt es an diesem Abend zweimal, so als müßte er besonders begriffsstutzige Zuhörer davon überzeugen, daß er kein Linker ist. „Ich bin nicht links“, sagt er auch, um seine Selbsteinschätzung als „Liberaler“ noch einmal zu unterstreichen.

Schlömer sitzt gemeinsam mit der Vorsitzenden der Linkspartei Katja Kipping auf der Bühne eines Veranstaltungslokals in Berlin. Die Sommersonne hat den zu klein geratenen Raum aufgeheizt, in den sich über 150 Teilnehmer quetschen. Anhänger der Linkspartei sind etwas zahlreicher erschienen als die der Piraten.

Es geht um die Frage, ob Deutschland „nur“ ein Update braucht oder gleich ein neues Betriebssystem, wobei nicht ganz klar ist, wer wofür steht. Fundamentalopposition oder nur Kurskorrektur? Natürlich sehen sich die Piraten als Revolutionäre, weil sie als einzige den Politikprozeß zu erneuern in der Lage seien. Andererseits charakterisieren sie sich auch als „heterogene Bürgerbewegung“, der es nicht um eine Ideologie ginge, so Schlömer. Staatsskepsis gehöre zum Selbstverständnis der Partei. Also eher ein Update.

Auf der anderen Seite die Linkspartei. Ihre Radikalität bei der Überwindung der marktwirtschaftlichen Ordnung ist unübertroffen. So macht Kipping auch gleich klar, was sie an den Piraten auszusetzen hat: „Am Beispiel der Euro-Krise sieht man, daß die Politik am Gängelband der Finanzindustrie hängt. Den Piraten fehlt in dieser Frage der Biß“, sagt Kipping zornig. Früher hätten die Piraten ihre Beute ja auch bei den Reichen geholt.

„Wie hältst du es heute mit den Superreichen?“ fragt Kipping, die seit diesem Kennenlernabend mit Schlömer per du ist. Die Piraten seien nicht konsequent genug gegen die Großkonzerne, empört sich die 34jährige Parteichefin. Zudem habe sich Schlömer für eine Flattax ausgesprochen und das Steuermodell von Paul Kirchhof gelobt.

Das geht natürlich gar nicht. Ein einheitlicher Steuersatz ist aus ihrer Sicht jedoch ungerecht. Warum, das erklärt sie nicht. Ungerecht sei es auch, daß Mitglieder der Piraten keine Erstattung ihrer Reisekosten zu Parteitagen erhielten. So würden Besserverdienende das Sagen haben.

Es ist das weltfremde Gerede der Funktionärin einer Kaderpartei, die in ihrem Leben noch nie einen echten Job gehabt hat und vermutlich auch niemanden kennt, der ehrlicher Arbeit nachgeht. Denn sonst wüßte sie, daß „normale Menschen“ und vor allem solche, die überdurchschnittlich gut verdienen, gar keine Zeit für ein parteipolitisches Engagement haben. (Ausnahme: Sie arbeiten im öffentlichen Dienst.) Kipping ist seit ihrem 22. Lebensjahr Berufspolitikerin mit Spitzenbezügen. Schlömer – er arbeitet im öffentlichen Dienst – verzichtete auf jegliche Attacken, betonte aber, er wünsche sich eine Vereinfachung des bestehenden Steuersystems. „Wir brauchen nicht immer neue Steuern, lieber sollten wir das System vereinfachen.“ Da klingt er tatsächlich wie ein Liberaler. Wenn es um Steuerfragen geht, werden Linke und Piraten wohl nie gemeinsam auf eine gemeinsame Position kommen.

Das liegt auch an Schlömers mangelndem Machtinstinkt. Und er wirkt unbeholfen. Schlömer erscheint in roter Jeanshose und mit einer Schiebermütze. Er krempelt sich die Ärmel hoch. Das sind Gesten, die das unterstreichen sollen, was er immer wieder betont: Die Basis entscheidet, bei uns hat der Vorsitzende keine Entscheidungsmacht und muß Rücksicht auf die Partei nehmen.

Schlömer wirkt dabei authentisch, aber dahinter steckt Kalkül. Die Führungsköpfe der Piraten wissen, daß ihr Erfolg dann am größten ist, wenn sie bis 2013 niemanden verprellen, indem sie unpopuläre oder unrealistische Forderungen aufstellen. Sie wollen, solange es geht, auf der Erfolgswelle weitersurfen, ohne sich klar zu positionieren. Also wird alles so vage wie möglich formuliert. Stets erfolgt der Verweis auf Parteitage, die all das Inhaltliche später entscheiden. Einig waren sich Schlömer und Kipping nur in wenigen Fragen. Die Ablehnung von ESM und Fiskalpakt gehörte dazu, wobei die Piraten nur zum Teil gegen die Rettungspolitik aufbegehren. Der andere Teil schwankt zwischen den Positionen des Berliner Abgeordneten Alexander Spies („Müssen wir nicht dahinkommen, daß wir alle Banken und die gesamte Geldversorgung verstaatlichen?“) und seinem Fraktionskollegen Christopher Lauer, der als Befürworter des ESM gilt.

Einigkeit dagegen herrschte beim „Kampf gegen Rechts“ – auch so ein Thema, mit dem die Piraten in der Öffentlichkeit bei kaum jemandem anecken. „Nutzen die Piraten nächstes Jahr alle ihre Kapazitäten, um den Nazis entgegenzutreten?“ fragte Kipping mit Blick auf den alljährlichen „Gedenkmarsch“ in Dresden. Schlömer antwortete mit einer Einladung: „Da können wir gerne auch gemeinsam auftreten.“

Am Ende der Veranstaltung verteilt einer der Anwesenden die Postkarten der „Chinesischen Piraten“. Diese bislang unbekannte Gruppierung wirbt mit Hammer und Sichel für sich und wirft der Kommunistischen Partei Chinas Verrat am „kommunistischen Traum“ vor. Die Chinesischen Piraten kündigen an, diesen „kommunistischen Traum“ mit „Piraten auf der ganzen Welt“ verwirklichen zu wollen. Die Piraten sind eben, wie ihr Vorsitzender Schlömer sagt, eine sehr heterogene Truppe.

Foto: Podiumsdiskussion mit Bernd Schlömer, Jakob Augstein und Katja Kipping (v. l.); Logo der chinesischen Piratenpartei: Bei Fragen nach Inhalten folgt stets der Verweis auf den nächsten Parteitag

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