© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  32/12 03. August 2012

Von Menschen und Mäusen im Alter
Perspektiven der US-Gerontologie: Lange gesund bleiben statt „forever young“ / Forschungen mit Eiweißstoff TOR
Marc Huber

Nach dem Ersten Weltkrieg, der Millionen von Menschen vorzeitig den Lebensfaden abschnitt, begann in Europa und den USA das Geschäft mit „Verjüngungsmitteln“ zu blühen. Ihre Anbieter versprachen, bei regelmäßiger Anwendung sogar die hundertjährigen kaukasischen Greise leicht übertreffen zu können. Ein Paradies für Scharlatane tat sich auf, das bis heute expandiert und mit Milliardenumsätzen glänzt.

Der alte Menschheitstraum, wenn nicht ewig, so doch möglichst lange zu leben, ist inzwischen in die seriösen medizinischen Forschungsprogramme vor allem zahlreicher US-Institute eingezogen. Das ist nur konsequent, da die „For­ever young“-Ideologie Kern der westlichen Diesseitskultur ist, für die allein das Hier und Jetzt der materiellen Existenz zählt und die sich auf keine jenseitigen Verheißungen einlassen will. Allerdings mündeten bislang alle Versuche, auf biochemischem Weg jenen geheimnisvollen Stoff zu finden, der das Altern verlangsamt, in herbe Enttäuschungen. Dazu rechnen auch die beharrlich von Winzern lancierten Hoffnungen auf die lebensverlängernde Wirkung von Resveratrol, einem Inhaltsstoff des Rotweins. Experimente mit Mäusen haben dieses vermeintliche Wundermittel vor einigen Jahren endgültig entzaubert.

Neuer Optimismus flammte jedoch 2009 auf, als eine US-Studie über Rapamycin bekannt wurde. Die erstmals 1964 bei einem Bakterium auf den Osterinseln entdeckte Substanz verlängerte die Lebensspanne von Mäusen um zwölf Prozent. Doch wegen erheblicher Nebenwirkungen wie Blutarmut und erhöhtem Cholesterinspiegel eignet sich Rapamycin zur vorsorglichen Einnahme bei gesunden Menschen nicht. Als zukunftsweisend für die Forschung, so resümiert der Bostoner Wissenschaftsjournalist David Stipp (Spektrum der Wissenschaft, 7/12) die vom National Institute on Aging in Bethesda (Maryland) finanzierten Experimente, bleibe jedoch die Erkenntnis, daß der Alterungsprozeß „im Prinzip“ hinausgezögert werden kann. Dauerhaftes Fasten etwa hat einen lebensverlängernden Effekt, denn wie Rapamycin hemmt Hungern die Teilungsaktivität von Zellen.

Die Bethesda-Studien bestätigen insoweit ein seit 1935 bekanntes Phänomen, dem zufolge extreme Hungerdiät die Lebenszeit von Spinnen, Ratten und Hunden dehnt. Inzwischen würden sich die Hinweise mehren, wonach Fasten auch dem Menschen gesundes Altern verspreche. Als bedeutsam ordnet Stipp die Mäuse-Experimente in Maryland aber deswegen ein, weil sie das Forscherinteresse auf einen uralten Mechanismus der Altersregulation bei Säugetieren lenke. Haupttriebfeder ist ein Eiweißstoff namens TOR (Target of Rapamycin). Dieses Protein und das zugehörige Gen stünden darum heute im Zentrum gerontologischer Untersuchungen. Stipps Überblick über die Anti-Aging-Forschung in den USA lenkt an dieser Stelle die Aufmerksamkeit fort von lebensverlängernden Effekten hin zu bescheideneren Zielen.

Verstehe man einst den molekularen Mechanismus besser, der die Zellenaktivität im Säugetierorganismus bremse, lasse sich vielleicht das Altern nur unwesentlich hinauszögern, dafür aber das Risiko altersbedingter Leiden wie Alzheimer, Parkinson, Krebs, Diabetes und Osteoporose mindern. Der Mensch werde mithin nicht älter, aber gesünder alt. Dies sei eine realistische Einschätzung der Möglichkeiten, denn in den USA habe sich die Lebensspanne im 20. Jahrhundert zwar um die Hälfte erhöht, aber seit 2000 lediglich nur um zwei Prozent. Eine Grenze könnte damit erreicht sein, so daß von der gerontologischen Forschung allein die Prophylaxe altersbedingter Defekte zu erwarten ist.

Doch wäre die bisher so teure wie vergebliche Suche nach probaten Anti-Aging-Mitteln solchen Aufwand schon wert, wenn „nur“ gesundes Altern herauskäme „und kein längeres Leben“.

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