© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  32/12 03. August 2012

Bürgerliche Welten
Peter Helmes führt vor, wie die Auseinandersetzung mit den Grünen nicht geführt werden kann
Dieter Stein

Die Grünen sind „rot unterwandert“. Sie versuchen, „die Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland zu schwächen und wehrlos zu machen“. Teile der Partei sehen Gewalt „von Fall zu Fall als ein legitimes Mittel der Politik“ an und „befürworten Verstöße gegen Gesetze“. „Hinter der grünen Fassade verbergen sich auch ehemalige Straftäter aus dem Umfeld des Terrorismus und Kommunisten, die anderes im Sinn haben als den Umweltschutz“. In dieser Tonlage führten die Unionsparteien vor knapp 25 Jahren die Auseinandersetzung mit der damals noch neuen parlamentarischen Konkurrenz. Zusammengetragen und ausgeführt wurden die schwerwiegenden Anklagen in zwei Broschüren, „Die Kader der Grünen“ und „Grüne und Gewalt“, herausgegeben nicht etwa von abgehalfterten Konservativen in der Provinz, sondern von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in ihrer Schriftenreihe „Argumente“, für die Rudolf Seiters und Wolfgang Bötsch verantwortlich zeichneten.

Die Empörung war nicht gespielt. Ein Jahrzehnt lang überboten sich aus der APO hervorgegangene Gruppierungen der „Neuen Linken“ gegenseitig in extremistischer Rhetorik und untermauerten am Rande der Legalität ihren Anspruch, im Falle einer Revolution des Proletariats die Avantgarde zu stellen. War es den sogenannten „K-Gruppen“ auch zu keinem Zeitpunkt gelungen, mehr als nur marginale Resonanz in der Bevölkerung zu erzielen, zogen sie doch immerhin Zehntausende junger, insbesondere akademisch gebildeter Menschen in ihren Bann. Vielen galten sie, was allerdings nicht zutreffend war, als die Grauzone hin zum Terrorismus der Roten Armee Fraktion. Sollte nun, da der Spuk endlich auszuklingen schien, einfach hingenommen werden, daß sich die Wortführer dieser linksradikalen Szene auf dem Ticket der so harmlos daherkommenden Grünen in den Parlamenten breitmachten? Dies kam für die Union nicht in Frage, doch mußten alle Stigmatisierungsversuche bereits seit der Vereidigung von Joschka Fischer als Minister einer rot-grünen Koalition in Hessen im Jahr 1985 als aussichtslos gelten.

Nun, ein Vierteljahrhundert später, bietet eine neue Broschüre ein unverhofftes Déjà-vu-Erlebnis: „Die blutigen Ikonen der Grünen“, herausgegeben als „Sonderausgabe des Deutschland-Magazins“ von dem Verein „Die Deutschen Konservativen“. Kennzeichen dieser Broschüre ist jedoch alles andere als analytische Schärfe, die vergangene Positionen argumentativ aufbereitet, sie besticht dagegen teilweise durch wutschäumende Einfalt. Ihr Autor, Peter Helmes, war im Bundestagswahlkampf 1980 als Geschäftsführer der „Bürgeraktion Demokraten für Strauß“ tätig. Im Unionskonservatismus dieser Zeit scheint er mental stehengeblieben zu sein.

Die „Ikonen der Grünen“ sind für ihn nämlich nicht irgendwelche Vertreter der „Zivilgesellschaft“, die überall auf der Welt gewaltlos für Demokratie, Menschenrechte und den Erhalt der Umwelt streiten, sondern jene Figuren, deren Konterfei die APO und ihre Epigonen auf Pappschildern einst vor sich her trugen: Lenin, Mao, Che Guevara, Rosa Luxemburg und vergleichbare. Wie kommt Helmes auf diese skurrile Idee? Die „Beweiskette“ ist eine einfache: Der oder die Grüne Soundso gehörte vor 35 Jahren dieser oder jener K-Gruppe an. Diese K-Gruppe nun orientierte sich im Pluriversum des zeitgenössischen Weltkommunismus an einem bestimmten Regime, etwa jenem in China oder Kambodscha. Dieses Regime wiederum war für alle möglichen Verbrechen verantwortlich, die Helmes knapp rekapituliert, so als hätten die angeprangerten Grünen von heute persönlich an ihnen mitgewirkt.

Der Mühe, die einschlägige Literatur zum Thema wenigstens oberflächlich zu sichten, scheint er sich nicht unterzogen zu haben. Dann hätte er nämlich nicht nur die weltanschauliche Vielfalt des grünen Milieus der Anfangszeit präziser und fairer würdigen können, sondern auch feststellen müssen, daß wohl die meisten Grünen mit K-Gruppen-Vergangenheit bereits vor ihrem Parteieintritt in sogenannten „neuen sozialen Bewegungen“ – wie etwa Bürgerinitiativen gegen Atomkraft, feministischen Zirkeln, Dritte-Welt-Solidarität oder der „Friedensbewegung“ – aktiv gewesen waren und sich über dieses Engagement von ihren alten Auffassungen zum erheblichen Teil überzeugend verabschiedet hatten. Nicht mehr die marxistische Gewißheit, alles ließe sich auf den „Hauptwiderspruch“ zwischen „Arbeit“ und „Kapital“ zurückführen, sondern ganz andere Themen und Probleme standen für sie plötzlich im Zentrum. Jene, die auf diesem Weg von den K-Gruppen zu den Grünen fanden, nahmen daher vielleicht manches Ressentiment, nicht aber pauschal Habitus, Ideologie oder Programmatik mit.

Helmes stand aber offenbar nicht der Sinn danach, diese Zusammenhänge sachlich auszuleuchten, und so taumelt er lieber im Irrgarten der Neuen Linken herum. Dabei kann es nicht ausbleiben, daß ihm neben Flüchtigkeitsfehlern (etwa der falschen Zuordnung von Antje Vollmer in den Kontext KB sowie einer Verwechslung von Engels und Lenin) gravierende Fehleinschätzungen und Auslassungen unterlaufen. Der KABD (er fristet heute unter dem Namen MLPD weiter sein traditionelles Sektendasein) und die KPD/ML (sie ging später mit einer trotzkistischen Gruppierung zusammen) spielten, anders als Helmes suggeriert, in der Entstehung der Grünen keine Rolle. Stattdessen wären andere linksextremistische Gruppierungen und Milieus, das Sozialistische Büro und die Sponti-Bewegung, zu würdigen gewesen, auch wenn es sich bei ihnen nicht um K-Gruppen handelte.

Da Helmes vielleicht selber nicht davon überzeugt war, daß die „dunklen Punkte“ in der Biographie mancher Grüner empörend genug sind, holt er immer wieder auch zum Rundumschlag aus. Grundsätzlich erscheint ihm die Verklärung der Ökologie sowieso nur wie ein auf Irrtümern beruhender Religionsersatz, der in den Öko-Faschismus zu führen droht. Hier blendet er aus, daß die Bewahrung der Natur immer ein originäres Anliegen der Konservativen gewesen ist. Zudem hätten es die Grünen, so Helmes, auf die Bekämpfung von Ehe, Familie, Marktwirtschaft und Christentum abgesehen. Dafür gibt es aus der Geschichte dieser Partei in der Tat reichlich Belege, doch ist dieser Pauschalvorwurf heute nicht mehr umfassend haltbar. Anders ist es eben auch nicht zu erklären, daß mit Winfried Kretschmann ein Grüner zum Ministerpräsidenten des wirtschaftsstarken Baden-Württemberg gewählt worden ist. Ein Mann wohlgemerkt, der im kontrastreichen Gegensatz zu einer wachsenden Zahl von Spitzenpolitikern der Union seit 35 Jahren immer noch mit seiner ersten Frau verheiratet ist und drei Kinder hat. Überdies werden viele gesellschaftspolitische Positionen der Grünen, die Helmes brandmarkt, unterdessen auch von anderen Parteien geteilt – dies gilt gerade auf dem Feld der Familienpolitik für die Union, die alle konservativen Positionen – vom Lebensschutz über das Umerziehungsprogramm „Gender Mainstreaming“, Frauenquote bis zur Homo-Ehe – widerstandslos geräumt hat.

Die Broschüre von Helmes ist fatal, aber auch aufschlußreich, weil sie exemplarisch zeigt, wie die Auseinandersetzung mit den Grünen eben nicht geführt werden kann. Man kann manchen von ihnen sicher die Bigotterie vorwerfen, einerseits die Gründergeneration der Bundesrepublik ob ihrer NS-Verstrickungen anzuprangern, andererseits aber ihre eigene linksextremistische Vergangenheit schmunzelnd schönzureden. Viele von ihnen wie Winfried Kretschmann, Antje Vollmer, Ralf Fücks oder Winfried Nachtwei haben sich aber längst glaubwürdig von ihren einstigen Positionen abgewandt, auch wenn mitunter weniger Selbstironie und mehr Selbstkritik wünschenswert gewesen wäre.

Anders als vor 25 Jahren ist es heute absurd, den Grünen eine geheime Agenda nachzusagen, nach der sie ein totalitäres Regime errichten wollten. Bekanntermaßen haben sie sogar im Bund bereits Regierungsverantwortung getragen, ohne unser Land in eine Volksrepublik verwandelt zu haben. Die Grünen sind vielmehr, auch wenn Helmes es beharrlich nicht wahrhaben will, eine Partei, die zu einem Großteil bürgerliche Wähler hat und an eine über 150 Jahre alte bürgerliche radikaldemokratische und emanzipatorische Tradition anknüpft, die allerdings unter dem Eindruck der Verbrechen des NS-Staates ihren positiven Bezug zur deutschen Nation aufgegeben hat.

Die Grünen verkörpern einen gesinnungsethischen Universalismus, gegen den, wenn man sich auf ihn einläßt, kaum ein Widerspruch zu formulieren ist – daher ist er eben in den vergangenen zwei Jahrzehnten auch zu einer Art Paradigma der Bundesrepublik geworden, dem sich gerade die Union willfährig gefügt hat. Mit diesem demokratischen und emanzipatorischen Universalismus, der offene Grenzen propagiert und dazu aufstachelt, sich weltweit einzumischen, läßt sich aber kein Staat machen. Daher bedarf er der Kritik, um Schaden von unserem Land abzuwenden. Genau für diese Aufgabe wären Konservative als Skeptiker und Pragmatiker eigentlich prädestiniert. Helmes und seine „Deutschen Konservativen“ sind damit jedoch offenkundig überfordert.

Peter Helmes: Die blutigen Ikonen der Grünen. Terroristen, Kommunisten, Atheisten. Verlag Die Deutschen Konservativen, Hamburg 2012, broschiert, 80 Seiten, kostenlos

Foto: Auf Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen wird mit roter Wolle gestrickt, Rostock 2009: Eine Art Paradigma der Bundesrepublik

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