© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  32/12 03. August 2012

Oft kopiert, nie erreicht
Auch nach vierzig Jahren ist „Watergate“ das Musterbeispiel für erfolgreichen Enthüllungsjournalismus
Ronald Berthold

Jeder Journalist träumt von einer Geschichte wie Watergate. Auch 40 Jahre nach der spektakulärsten medialen Enthüllung aller Zeiten hat die Recherche über die Machenschaften des damaligen US-Präsidenten Richard Nixon für den Berufsstand nichts von ihrer Faszination verloren.

Die Verfilmung des Skandals und dessen Aufklärung durch die Washington-Post-Reporter Bob Woodward und Carl Bernstein hat bis heute in vielen Menschen überhaupt erst den Wunsch geweckt, Journalist zu werden. Es gibt kaum einen Medienschaffenden, der den 1976 gedrehten Streifen „Die Unbestechlichen“ mit Robert Redford und Dustin Hoffman nicht gesehen und der ihn nicht zu Träumereien inspiriert hätte.

Die Recherchen der damals gerade erst 28 und 29 Jahre alten Reporter brachten den seinerzeit mächtigsten Mann der Welt zu Fall. Nixon mußte gehen, weil Woodward und Bernstein durch akribische investigative Arbeit nachweisen konnten, daß der Präsident in das Hauptquartier des politischen Gegners, der Demokraten, im Washingtoner Watergate-Komplex hatte einbrechen lassen. Der wichtigste Informant der beiden nannte sich nach dem Titel eines Pornofilms „Deep Throat“ (tiefe Kehle).

Noch heute treffen auch deutsche Reporter auf Menschen, die ihnen Informationen zuspielen, anonym bleiben wollen und einfach sagen: „Nennen Sie mich ‘Deep Throat’.“ Auch wenn die durchgestochenen Geheimnisse nicht die Brisanz von Watergate haben, so macht das doch deutlich, daß der Mythos lebendig ist. Und das seit vier Jahrzehnten.

Die nur kurzzeitig Mitte der neunziger Jahre existierende Info-Illustrierte des Gruner+Jahr-Verlages, Tango, nannte ihr Investigativ-Ressort „Watergate“. Selbstverständlich recherchierte das Blatt nicht eine auch nur annähernd so bedeutende Geschichte. Da man sich im Kollegenkreis mit dieser Anmaßung lächerlich machte, wurde der Ressort-Name dann kleinlaut aus dem Impressum gestrichen. Aber auch hier war die Sehnsucht der von Hans-Hermann Tiedje (zuvor Bild-Chef) geleiteten Zeitschrift nach dem ganz großen Wurf unübersehbar. Das Synonym dafür bleibt bis heute „Watergate“. Auch der Ex-Spiegel-Chefredakteur Erich Böhme wollte aus dem SED-Blatt Berliner Zeitung nach der Wiedervereinigung nichts Geringeres machen als „die deutsche Washington Post“.

1987 hatten Böhme und seine Spiegel-Mannschaft bereits geglaubt, das deutsche Watergate aufgedeckt zu haben. Die Machenschaften des – wie sich später herausstellte – von der SPD bezahlten schleswig-holsteinischen Medienreferenten Reiner Pfeiffer nannten sie „Waterkantgate“. Sie unterstellten unter Berufung auf Pfeiffer dem damaligen Ministerpräsidenten Uwe Barschel genau wie bei Watergate, den politischen Gegner, hier Björn Engholm, ausspioniert zu haben. Viel ist 25 Jahre später von diesen Vorwürfen nicht geblieben. Verstetigt hat sich dagegen bis heute die unangenehme Angewohnheit der Journalisten, an fast jede Affäre die Silbe „gate“ anzuhängen: „Guttenberg-Gate“ „Climate-Gate“, „Monica-Gate“, und sogar Dirk Niebels fragwürdiger Transport seiner afghanischen Auslegware heißt nun „Teppich-Gate“.

All die vermeintlichen und tatsächlichen Enthüllungen konnten es jedoch bis heute kaum mit der Mutter aller „Gates“ aufnehmen. Die kriminelle Energie, die Richard Nixon einst ins Weiße Haus trug, blieb in der freien Welt entweder unerreicht, oder Journalisten konnten so etwas nicht erneut aufdecken.

Dem Ziel, der deutsche Woodward oder Bernstein zu werden, kommen – wenn auch mit großen Abstrichen – wohl jene Bild-Reporter am nächsten, die Ende vergangenen Jahres die Affäre um Bundespräsident Christian Wulff ins Rollen brachten. Der Druck aus dem Präsidialamt auf die Reporter war ähnlich groß wie seinerzeit aus dem Oval Office auf die Washington Post. Und immerhin fiel am Ende auch der höchste Mann im Staate.

Allerdings: Die Aufgeregtheit, mit der Journalisten heute versuchen, Politiker „aus dem Amt zu schießen“, unterscheidet sich jedoch auf sehr unangenehme Weise von der Gelassenheit, mit der die Washington Post vor 40 Jahren über die Watergate-Affäre berichtete. Die Rolle des Präsidenten bei dem Skandal veröffentlichten die Reporter nicht gleich zu Anfang und dann auch erst mit aller Vorsicht – trotz erdrückender Beweislast.

Heute ist es umgekehrt: Ein Gerücht oder eine Bagatelle genügt vielen Zeitungs- und Fernsehmachern, um lauthals „Skandal“ und „Rücktritt“ zu schreien. Bemerkenswert ist, daß oft nicht immer aufrichtige Menschen, die in den Medien arbeiten, ein Ethos festlegen. Es hat gar etwas Groteskes, wie gerade sie sich als moralische Instanz aufschwingen und festlegen, was gesagt werden darf. Zur Mode ist es geworden, politisch unliebsame Meinungen als „Skandal-Rede“ oder „Hetzerei“ zu diskreditieren. Flugs wird dann noch ein „Gate“ herangehängt, und schon fühlt man sich wie der Wiedergänger Woodwards oder Bernsteins.

Mit investigativem Journalismus hat dieses Gebrüll jedoch nichts zu tun.

Foto: Bob Woodward, Carl Bernstein: Am 1. August 1972 erschien ihr erster Artikel zum Einbruch ins „Watergate“

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