© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  32/12 03. August 2012

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Angesichts jeder Schlange an einer Sehenswürdigkeit oder der Nötigung, Monate vor dem Besuch ein „Zeitfenster“ zu definieren, um eine Eintrittskarte zu bekommen, die immer gleiche Vision: Centerparks für die anderen, mit Disneywelten oder Computeranimationen, die alles bieten, was es an wichtigen Landschaften, Bauten, Gemälden oder Skulpturen gibt.

„Ehe wir gingen, nahmen wir Abschied von allen, mit denen wir uns angefreundet hatten. Es war das kein modernes, informelles Lebewohlsagen, sondern eine sehr feierliche Angelegenheit mit Besuchsreisen von Haus zu Haus und kleinen Päckchen von Visitenkarten, die in der Ecke oben den Vermerk p. p. c. (pour prendre congé) trugen. Ich hatte hin und wieder in Gesellschaft abfällige Bemerkungen über Leute vernommen, die diese Regeln der Höflichkeit außer acht gelassen.“ (Evelyn Waugh)

Beim „Urlaub“ handelt es sich wie beim „Wochenende“ um das Durchsacken, das ein Eliten- zum Massenphänomen macht. Das bedeutet auch, daß viele lästige Erscheinungen des modernen Tourismus damit zu tun haben, daß weiland aristokratische oder großbürgerliche Unarten heute in Menge auftreten.

„Liebe Damen und Herren, stellen Sie sich doch bitte vor, daß Sie den Atlantischen Ozean überquert haben, den langen Weg hierher in der Hitze kamen, ein Übermaß an Unbequemlichkeiten und Anstrengungen erduldeten und all das viele Geld ausgaben, nur um eine Höhle im Sand zu sehen, wo dreitausend Jahre vorher eine fremde Rasse, deren Beweggründe für uns ewig unerklärbar bleiben müssen, die Leichname von vierundzwanzig Stieren begrub. Liebe Damen und Herren, soviel ist gewiß, wir sind dem Gelächter überantwortet.“ (Evelyn Waugh)

Es gibt offenbar nicht nur reiselustige und -unlustige Individuen, sondern auch entsprechende Kollektive. Das hängt sicher mit finanziellen Möglichkeiten zusammen, mit dem Vorhandensein reizvoller Fahrtenziele und zuletzt spielen auch Mentalitätsfragen mit. Um nur den Bereich der germanischen Völker zu nehmen: Es fällt doch auf, wie sehr die Globetrotterei der Deutschen, die Landnahmeneigung der Engländer oder das Verweilen der Schweden an ihren eigenen sommerlichen Küsten historischen Prägungen seit dem frühen Mittelalter entsprechen.

Zu den Paradoxien des Urlaub-Machens gehört, daß er zur Erholung angetreten wird, aber zwingend mit allerlei Anstrengungen und Unbequemlichkeiten verbunden ist. Natürlich gab es in der Vergangenheit jene Sommerfrische, bei der zahllose Dienstboten mit zahllosem Gepäck vorreisten, um Sorge dafür zu tragen, daß es Herr und Herrin vorfanden wie zu Hause gewohnt. Ganz vermeiden ließ sich ein Mangel an Komfort trotzdem nicht. Aber welcher Abstand zur aktuellen Bereitschaft, in den „schönsten Wochen des Jahres“ schlechter zu wohnen, schlechter zu schlafen und schlechter zu essen als sonst.

Der Wunsch nach einem Haus in der schönen Fremde ist wahrscheinlich ein tief bürgerlicher. Man nehme etwa Thomas Manns Liebeserklärung an sein Domizil in Nidden an der Kurischen Nehrung. Der Beschluß, „dort Hütten zu bauen“, fiel spontan, aber das Bedürfnis war längst vorhanden: „Dies ist zwar bei uns nichts Neues, denn wir beschließen es phantasieweise fast überall. Sei es bei St. Moritz oder Assuan. Aber diesmal war es ernster. Der Eindruck war tief. Man findet einen erstaunlich südlichen Einschlag. Das Wasser des Haffs ist im Sommer bei blauem Himmel tiefblau. Es wirkt wie das Mittelmeer. Es gibt dort eine Kiefernart, Pinien ähnlich. Die weiße Küste ist schön geschwungen, man könnte glauben in Nordafrika zu sein.“

Zustimmung, ausnahmsweise: „Der Tourist zerstört, was er sucht, indem er es findet.“ (Hans Magnus Enzensberger)

Reiseliteratur ist sicher ein besonders konservatives Genre. Man wird meistens amüsiert und bleibt selten unbelehrt. Nehmen wir die Menschheitsfrage, wer im Allerheiligsten des Tempels (das im alten Israel nur der Hohepriester betreten durfte) saubergemacht hat. Nicht daß uns Berichte aus der Antike vorliegen, aber solche aus dem Äthiopien des 20. Jahrhunderts, in denen es um Kirchen geht, die nach dem Muster des Gotteshauses in Jerusalem errichtet wurden. Um es knapp zu machen: Es ist sehr staubig dort.

„… die Soldaten aber gaben sich ein Air von interessantem Snobismus. Tagsüber bevorzugten sie, wenn sie auch sauber rasiert waren und ihr Haar ordentlich gebürstet hatten, eine äußerst lässige Kleidung; sie trugen Khaki und Shorts, offene Polohemden und verblaßte Kricket-Sportjacken. Zum Abendessen jedoch erschienen alle im Smoking, mit gestärkten Hemden.“ (Evelyn Waugh)

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 17. August in der JF-Ausgabe 34/12.

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