© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  32/12 03. August 2012

„Tränengas riecht immer besser als Korruption“
Sudan: Vor allem die Studenten trotzen den Repressalien der islamistischen Regierung al-Baschir
Marc Zöllner

Der Präsident hatte gerufen und alle waren gekommen. „Wer von euch meine Regierung stürzen möchte“, verkündete Umar al-Baschir jüngst noch auf einer Versammlung des sudanesischen Nationalkongresses, „der könne auch gleich versuchen, seinen Ellenbogen zu lecken.“ Eine spöttische Provokation den Dissidenten des islamistischen Regimes am Nil gegenüber, dessen autoritärer Alleinherrscher al-Baschir seit seinem Militärputsch von 1989 ist. Doch al-Bashirs bemühter Affront könnte sich als Bärendienst für sein Amt erweisen.

Was als harmloser Spaß im Internet begann, entwickelte bald eine verheerende Eigendynamik. Hunderte Studenten verbreiteten auf Twitter Bilder ihrer Ellenbögen, unter ihnen auch manch einer, der in geschickten Fotomontagen das Unmögliche scheinbar vermochte. „Girifna“, so nannten sich die Netzwerker später, der arabische Ausdruck für: „Wir haben die Nase voll.“ Doch mit der Verhaftung mehrerer Initiatoren des Girifna-Netzwerkes, darunter auch der Blogger „simsimt“, eskalierte der Zorn der Jugendlichen in offener Gewalt auf den Straßen der großen Städte des Sudan: Khartum, Port Sudan und Wad Madani verwandelten sich fortan Nacht für Nacht in bürgerkriegsähnliche Schlachtfelder zwischen unzufriedenen Bürgern und der Polizei.

Die Proteste gehen nun bereits in ihre vierte Woche. Universitäten wurden geschlossen, Zufahrtsstraßen in die Innenstädte von Polizei und Militär hermetisch abgeriegelt. Mehrere Tote gab es bereits, ebenso unzählige Verletzte. Über 2.000 Studenten wurden bislang verhaftet, auf den Plätzen, in den Moscheen sowie in den Gefängnissen, berichten couragierte Twitterer, käme es immer wieder zu gewaltsamen Übergriffen seitens der Sicherheitsbehörden. Mit Tränengas und Gummigeschossen reagiere die Polizei derzeit rasch auf suspekte Massenversammlungen. Mißhandlungen und Vergewaltigungen insbesondere weiblicher Teilnehmer, so bestätigen auch Menschenrechtsorganisationen, stünden mittlerweile auf der Tagesordnung.

Dabei protestierten die Khartumer Studenten ursprünglich lediglich gegen die steigende Inflation von derzeit 30 Prozent sowie gegen Preiserhöhungen im Nahrungs- und Wohnsektor. Seit der Abspaltung des Südsudans vor gut einem Jahr versinken beide Staaten zusehends in eine desaströse finanzielle Lage (JF 20/2012). Der Sudan besitzt eine der höchsten Korruptionsraten der Welt, beinahe 50 Prozent seiner Einwohner müssen unterhalb der Armutsgrenze leben. Das Bruttoinlandsprodukt, schätzt der Internationale Währungsfonds, wird dieses Jahr um sieben Prozent sinken, im Folgejahr sogar um 13 Prozent.

Trotz eines Friedensvertrages tragen die Regierungen Nord- und Südsudans noch immer Gefechte um die ölreiche Grenzprovinz Kordofan aus, und in der Region Kreinik im Westen von Darfur terrorisieren bewaffnete Milizen erneut heimkehrende Flüchtlinge.

„Gewiß: Der Sudan ist ein failed state“, konstatiert auch Yousif Elmahdi. „Und mit den anhaltenden Konflikten in jeder Ecke des Landes wird der Süden wohl nicht die letzte Gegend sein, die sich abspaltet.“ Der Ökonom und passionierte Blogger weiß, wovon er spricht. Auch er ist einer der Initiatoren des Girifna-Netzwerkes. Neben „simsimt“, der eigentlich Usamah Mohammad heißt und als Webdesigner tätig ist, wird Elmahdi unter den sudanesischen Twitterern bereits als künftige Alternative zu Umar al-Baschir gehandelt.

Dieser wiederum weiß, was für ihn in den nächsten Wochen auf dem Spiel steht. Er kennt die Schicksale seiner ehemaligen Amtskollegen Muammar Gaddafi, Hosni Mubarak und dem im Exil weilenden tunesischen Präsidenten Ben Ali, dem in der Heimat die Todesstrafe droht. Auch al-Baschir wird vom Internationalen Strafgerichtshof gesucht. Ihm werden unter anderem Mord und Völkermord während des Darfurkonfliktes angelastet. Zwar verkündete die Afrikanische Union noch 2009 während eines Treffens in Tripolis, den sudanesischen Präsidenten unter keinen Umständen ausliefern zu wollen. Doch auch die afrikanische Front der Unterstützer Khartums bröckelt. Ein für den Juni diesen Jahres in Malawi arrangiertes Treffen der afrikanischen Staatsoberhäupter mußte kurzfristig verlegt werden, als Malawis Vizepräsident Khumbo Kachali entgegen der Weisung der AU darauf beharrte, er werde al-Baschir um jeden Preis verhaften und nach Den Haag übergeben.

Die Schlacht um das Internet hat Sudans Präsident bereits verloren. Immer wieder werden Regierungsseiten von Anonymous-Aktivisten gehackt. Über 40.000 Sympathisanten schlossen sich Girifna auf dessen arabischer Facebook-Seite an, und auf SudanRevolts.org erklärten sich mittlerweile fast 300.000 Menschen aus aller Welt bereit, ihren Twitter-Account mit den Khartumer Studenten zu teilen, um deren Botschaft noch rascher über den Erdball verbreiten zu können. Mit „President“ steuerte nun auch der in Arabien bekannte sudanesische Popsänger Moawia Ahmed Khalid den Revolutionären eine eigene Hymne bei, um den Kampf auf Sudans Straßen musikalisch zu unterstützen. Ein Song, der Wirkung zeigt. „Ich glaube, ich habe neu entdeckt, wie es sich anfühlt, einem starken Volk anzugehören“, twitterte kürzlich „Mighty Mo“. „Außerdem riecht Tränengas doch immer noch besser als Korruption, oder?“

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