© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  32/12 03. August 2012

Über Kimme und Korn
Schützenvereine: Ihr Engagement ist zeit- und kostenintensiv, ihre Umzüge sind ein Publikumsmagnet. Schützen müssen sich vorhalten lassen, sie seien paramilitärische Waffennarren, dabei bewahren sie eine demokratische Tradition.
Hinrich Rohbohm

Der plötzliche Galopp war so nicht gewollt. Im Schnelldurchgang saust der Kommandeur mit seinem Pferd an den Schützen vorbei, die bei Präsentiermarschmusik im Stillgestanden und mit Holzgewehr auf der Schulter Roß und Reiter amüsiert hinterhersehen. Gejohle auf dem Marktplatz aufgrund dieser ungewollten Einlage. Im westfälischen Steinheim ist Schützenfest. Für die gerade einmal 13.000 Einwohner zählende Kleinstadt ein Großereignis. Schützen in schwarzen, grauen und grünen Uniformen prägen das Straßenbild. Spielmannszüge und Blaskapellen erklingen mit Volks- und Marschmusik.

Hunderte von Zuschauern haben sich auf dem Marktplatz versammelt. Sie sind gekommen, um sich die Parade der Schützen anzusehen. Den Vorbeimarsch der Joppenträger an ihrem Königspaar. Im Stechschritt, auch preußischer Paradeschritt genannt. Die Marschierenden schwingen dabei ihre Beine im Gleichtakt steif ausgestreckt fast bis zur Waagerechten aus der Hüfte heraus hoch. Ein nicht ganz einfaches Unterfangen, das nicht jedem Schützen in Perfektion gelingt. Und weil das so ist, sind die Parademärsche bei den Zuschauern um so beliebter. Man kennt sich schließlich im Ort. Wer will da nicht den Nachbarn oder Verwandten sehen, wie er sich vor aller Augen bemüht, im wahrsten Sinne des Wortes Haltung zu bewahren. Zumal es ein offenes Geheimnis ist, daß zuvor schon so manches Kornglas geleert wurde.

Der Kommandeur reitet vor, die Zügel in der einen, ein Mikrofon in der anderen Hand. „Bataillon stillgestanden!“ schallt sein strenger Befehl über den Platz. Ein skeptischer Blick gen Himmel. „Der Regen hat ja rechtzeitig aufgehört. Wollen mal hoffen, daß wir die Parade nachher trocken über die Bühne bekommen“, macht er den Schützen Mut. Zuvor muß die Majestät abgeholt werden. „Im Gleichschritt marsch!“ ertönt das Aufbruchskommando. Mit musikalischer Begleitung setzt sich der Umzug in Bewegung. „Das kann noch dauern, bis der Umzug wiederkommt, beim König wird erst mal einer getrunken“, erzählt ein Einheimischer.

Eine Stunde später sollen sich die Hoffnungen des Kommandeurs nicht erfüllen. Strömender Regen prasselt auf den Marktplatz, als der Umzug mit seiner Majestät im Schlepptau und bei Marschmusik zurückkehrt. Eine ältere Frau ist skeptisch. „Ob die Parade bei dem Mistwetter überhaupt stattfindet?“ fragt sie sich. Sie findet statt. Auch wenn der Regen die Uniformen der Schützen bereits aufgeweicht hat, das Königspaar unter einem grünweißen Regenschirm kauert, anstatt in einer blumengeschmückten Kutsche zu sitzen, und den Hauptleuten auf ihren Pferden ein starker Wind ins Gesicht bläst: Ihre gute Laune lassen sich die Schützen nicht nehmen. Schließlich findet das heimische Schützenfest nur einmal im Jahr statt. Und da steht vor allem eines im Vordergrund: der Spaß am Feiern.

„Viele Außenstehende sehen natürlich nur den Ablauf zu Festzeiten und meinen dann, bewerten zu können, was das Schützenwesen ausmacht. Aber der Alltagsbetrieb im Verein sieht anders aus, da steht vor allem wertvolle Jugendarbeit und der Schießsport im Vordergrund“, sagt Claus Dalinghaus, Präsident des Bürgerschützenvereins Vechta in Niedersachsen.

„Gerade die Sportschützen nehmen ihre Sache sehr ernst. Einige sind da ganz schön ehrgeizig, auch schon beim Nachwuchs“, weiß auch ein Jugendbetreuer aus dem thüringischen Suhl zu berichten. Bei den Erwachsenen sei ein Bier nach dem Training drin. „Aber bei den Jugendlichen passen wir Betreuer sehr genau auf, daß da niemand auf die falsche Spur gerät.“ Die große Mehrheit des Schieß-Nachwuchses handle ohnehin äußerst verantwortungsbewußt, auch wenn es immer mal schwarze Schafe geben kann.

Genau die seien es aber, die den Schießsport in Verruf bringen würden. Darauf dann mit immer neuen Auflagen im Waffenrecht zu reagieren, schade jedoch dem Schießsport. „Aber vielleicht ist das von einigen Politikern ja auch so gewollt“, unkt der Betreuer. Mancher Volksvertreter würde nur darauf warten, daß „irgendein Verrückter“ Amok laufe und sich hinterher herausstellt, daß er Mitglied eines Schützenvereins sei.

Besonders auf die Grünen sind zahlreiche Schützen nicht gut zu sprechen. Deren Jugendorganisation hatte den Schützenvereinen in Deutschland jüngst vorgeworfen, „Sexismus, Rassismus und Militarismusverherrlichung“ zu fördern. Finanzielle Unterstützung sollten sie nach dem Willen der Öko-Youngster nur noch erhalten, wenn sie „antirassistische Strategien“ umsetzen und „Sexismus“ sowie „Paramilitarismus“ bekämpfen.

Und im Mai dieses Jahres mußte sich der Vizepräsident des Deutschen Schützenbundes, Jürgen Kohlheim, vor dem Innenausschuß des Bundestages gegen einen Antrag der Grünen zur Wehr setzen, der die gleichzeitige Aufbewahrung von funktionsfähigen Schußwaffen und Munition in Privatwohnungen grundsätzlich untersagt. Ein weiterer Grünen-Antrag sieht gar das Verbot jeglicher großkalibriger Waffen vor, was die Einstellung zahlreicher schießsportlicher Disziplinen zur Folge hätte.

Dagegen ist in nicht wenigen Vereinen schon seit längerem zu beobachten, daß noch eine andere Schießdisziplin eingestellt wird: das Königsschießen. Ein Umstand, der nicht der Politik geschuldet ist. Immer mehr Vereine finden schlicht niemanden mehr, der die Königswürde übernehmen möchte. „Das hat viel mit Unkenntnis über die Pflichten eines Königs zu tun. Angst vor hohem Zeitaufwand und hohen Kosten spielen dabei eine maßgebliche Rolle“, schildert Claus Dalinghaus das Dilemma der vakanten Throne.

Bei den Bürgerschützen von Vechta wird der König per Schuß auf einen Holzvogel ermittelt. Zuerst sind die Gliedmaßen dran, dann der Kopf. „Dafür gibt es dann Orden. Da schießen dann noch viele mit“, erklärt Dalinghaus die Prozedur. Zuletzt wird auf den Rumpf gezielt. Wer ihn abschießt, ist König. „Da waren dann leider nur noch zwei bereit mitzuschießen, obwohl wir 1.000 Mitglieder im Verein haben“, verrät Dalinghaus.

In der Vergangenheit habe man Fehler gemacht, ist sich der Präsident sicher. Es habe einen Trend zu immer pompöseren und kostspieligeren Festen gegeben. Jeder König habe seinen Vorgänger übertreffen wollen. Manche Vereine sprechen von bis zu 50.000 Euro, die eine Majestät in ihrem Königsjahr ausgegeben habe. Erringt dann jemand die Würde, der nicht die finanziellen Möglichkeiten seines Vorgängers besitzt, ist die Enttäuschung groß. Die Majestät steht plötzlich als Geizkragen da, die Würde wird zur Bürde.

Dalinghaus erinnert sich an ein Fest, auf dem der König seine Adjutanten extra mit einem Hubschrauber einfliegen ließ hatte. „So etwas sprengt dann einfach den Rahmen“, kritisiert er. Sein Verein habe daher erst vor kurzem eine Königsordnung eingeführt, aus der für jeden ersichtlich ist, was einen als Majestät erwartet. „Oft ist das gar nicht mehr so umfangreich, der Trend geht hin zu weniger Verpflichtungen, damit die Leute auch wieder bereit sind, beim Königsschießen draufzuhalten.“

Ein anderer hat ganz genau draufgehalten. Für den Geschmack einiger seiner Kameraden zu genau. Denn Dirk Winter ist nicht nur Schützenbruder, sondern auch bekennender Homosexueller. Im vergangenen Jahr hatte er die Königswürde seines Vereins errungen. Und anschließend seinen Lebenspartner zur „Königin“ erkoren. Pikant: Winter ist als Schütze ausgerechnet in der katholischen Bruderschaft St. Wilhelmi-Kinderhaus in Münster aktiv, die sich christlichen Werten besonders verbunden fühlt. Dem Vorstand dürfte klar gewesen sein: Bei diesem unkonventionellen Königspaar steckt viel verbandspolitischer Sprengstoff unter den Joppen, der dafür sorgen könnte, daß zahlreichen Schützenbrüdern der Federhut hochgeht.

Die meisten Medien schlugen sich bei ihrer Berichterstattung sofort auf die Seite Winters. Der Bund der Historischen Deutschen Schützenbruderschaften hielt dem öffentlichen Druck dennoch stand, votierte im März dieses Jahres auf einer Mitgliederversammlung mit großer Mehrheit gegen eine männliche Königin. Zwar hätten auch Homosexuelle in den Bruderschaften ihre Heimat. Jedoch sei das öffentliche Auftreten als gleichgeschlechtliches Königspaar mit der christlichen Tradition der Bruderschaften nicht vereinbar.

Doch nicht jeder Schützenverein ist eine christliche Bruderschaft. Wie also würden andere Vereine damit umgehen, wenn Detlev König wird und Erwin als seine Königin vorstellt? „Wir sehen das ganz entspannt“, meint Claus Dalinghaus. Er wolle da keine Richtlinien vorgeben. Erst wenn es tatsächlich einen ähnlichen Vorfall in seinem Verein gäbe, würde man sich im Vorstand darüber unterhalten. Der Präsident ist sich sicher: „Wir werden dann einen vernünftigen Modus finden.“ Etwas mulmig wäre ihm dabei aber doch. „Ich kann mir nicht vorstellen, daß so etwas in unserer ländlich geprägten Gegend gut ankommen wird.“

 

Kleines Schützen-Glossar

Genau 15.101 Schützenvereine gibt es hierzulande (Stand 2010) nach Angaben des Deutschen Olympischen Sportbundes. Damit rangiert diese Vereinsanzahl im Sport an dritter Stelle – nach Fußball- und Turnvereinen. Insgesamt 1.439.111 Mitglieder zählen die Schützenvereine in ihren Reihen. Der Schießsport erfreut sich also großer Beliebtheit, nur für Fußball, Turnen und Tennis können sich noch mehr Deutsche begeistern. Wer die reichhaltige Tradition der Schützenvereine verstehen und mitreden will, muß auch ihre besondere „Sprache“ kennen:

Adjutanten

Adjutanten fungieren als Assistenten des Königs. Sie begleiten und unterstützen ihn bei offiziellen Anlässen. In den meisten Vereinen sucht sich der König zwei, manchmal auch drei Schützen als Adjutanten aus. Laut mancher Regularien werden sie nach der Schießleistung ermittelt, so daß der Zweit- und Drittplazierte das Amt erringen.

Hänseln

Auf Schützenfesten setzen sich im Rahmen der sogenannten Hänseltour die Schützen gegenseitig dem Hohn und Spott aus.

König

Gilt als „Staatsoberhaupt“ des Schützenvolkes und ist somit der oberste Repräsentant seines Vereins. Beim Schießen auf den Vogel wird üblicherweise derjenige Majestät, der den Rumpf abschießt. Beim Scheibenschießen erringt in der Regel der Schütze mit dem besten Schuß die Königswürde.

Schützenfest

Ein in der Regel einmal im Jahr von den Schützenbruderschaften oder -vereinen organisiertes Volksfest, bei dem im Schießwettbewerb der beste Schütze und der Schützenkönig ermittelt wird.

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