© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  32/12 03. August 2012

Über die Linie
Innere Sicherheit: Im Zuge der Ermittlungen zur Zwickauer Terrorzelle gerät das Trennungsgebot zwischen Verfassungsschutz und Polizei in die Diskussion
Eike Erdel

Im Zuge der Aufarbeitung des Falls der Zwickauer Terrorzelle wird die gesamte Struktur der deutschen Sicherheitsbehörden auf den Prüfstand gestellt. Dadurch ist auch das Trennungsgebot zwischen Polizei und Nachrichtendienst in den Blickpunkt der Öffentlichkeit geraten. Dieses Rechtsprinzip besagt, daß polizeiliche und nachrichtendienstliche Tätigkeiten von unterschiedlichen Behörden wahrgenommen werden müssen.

Ein Tätigwerden der Polizei setzt eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung voraus. Maßnahmen zur Strafverfolgung dürfen von der Polizei nur ergriffen werden, wenn ein Anfangsverdacht für eine Straftat vorliegt. Dagegen werden Geheimdienste schon weit im Vorfeld tätig. Informationen werden ohne konkreten Anlaß auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln gesammelt. Den Geheimdiensten wie etwa den Verfassungsschutzämtern soll es nach dem Trennungsgebot verwehrt sein, selbst die Konsequenzen aus den gewonnenen Informationen zu ziehen und unmittelbar polizeiliche Maßnahmen zur Gefahrenabwehr oder Strafverfolgung einzuleiten. Daher dürfen Verfassungsschutzbehörden keine polizeilichen Zwangsbefugnisse, wie zum Beispiel zur Durchsuchung und Beschlagnahme, übertragen werden. Das Trennungsgebot verbietet es den Verfassungsschutzämtern auch, Polizeibehörden im Wege der Amtshilfe um derartige Maßnahmen zu ersuchen.

Das Trennungsgebot geht auf den sogenannten Polizeibrief der alliierten Militärgouverneure der westdeutschen Besatzungszonen an den Parlamentarischen Rat vom 14. April 1949 zurück. Darin wurde der Bundesregierung die Einrichtung einer Bundespolizei erlaubt. Außerdem wurde ihr gestattet, „eine Stelle zur Sammlung und Verbreitung von Auskünften über umstürzlerische, gegen die Bundesregierung gerichtete Tätigkeiten einzurichten“. Diese Stelle durfte aber ausdrücklich keine Polizeibefugnisse haben. Ein wichtiges Anliegen der Alliierten war es, die Errichtung einer mit der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) vergleichbaren nationalen Sicherheitsbehörde mit nachrichtendienstlichen und polizeilichen Befugnissen zu verhindern.

Aufgrund der mit dem Polizeibrief verliehenen Vollmacht wurde 1950 das Bundesamt für Verfassungsschutz eingerichtet. Durch die alliierten Vorbehaltsrechte hatte das Trennungsgebot sogar bis zum Inkrafttreten des Deutschlandvertrags am 5. Mai 1955, mit dem die westlichen Siegermächte weitgehend auf ihre Besatzungsrechte verzichteten, Verfassungsrang. Das Trennungsgebot wurde aber nicht ausdrücklich in das Grundgesetz aufgenommen, sondern erhielt Verfassungsrang durch ein Genehmigungsschreiben der alliierten Militärgouverneure vom 12. Mai 1949, wonach die im Grundgesetz geregelte Ausübung polizeilicher Funktionen des Bundes nur in Übereinstimmung mit den Weisungen des Polizeibriefs gestattet ist.

Ob das Grundgesetz auch nach dem Inkrafttreten des Deutschlandvertrages ein Trennungsgebot zwischen Polizei und Nachrichtendiensten enthält, ist umstritten. Das Bundesverfassungsgericht mußte sich zu dieser Frage noch nicht äußern. In einigen Entscheidungen wurde die Frage zwar berührt, jedoch nicht beantwortet. In seiner Entscheidung vom 28. Januar 1998 zur Aufgabenerweiterung des Bundesgrenzschutzes hat das Gericht ausgeführt, daß das Rechtsstaatsprinzip, das Bundesstaatsprinzip und der Schutz der Grundrechte es verbieten können, bestimmte Behörden miteinander zu verschmelzen oder sie mit Aufgaben zu befassen, die mit ihrer verfassungsrechtlichen Aufgabenstellung nicht vereinbar seien. So dürften nach Auffassung der Karlsruher Verfassungsrichter die Zentralstellen für Zwecke des Verfassungsschutzes oder des Nachrichtendienstes – angesichts ihrer andersartigen Aufgaben und Befugnisse – nicht mit der Vollzugspolizei zusammengelegt werden.

Nur aus dem nicht näher definierten Rechtsstaatsprinzip das Trennungsgebot abzuleiten, ist allerdings fragwürdig. Anerkannte Rechtsstaaten wie Frankreich, Österreich oder Dänemark kennen keine verfassungsrechtlich gebotene Trennung von Polizei und Geheimdiensten. Auch verfügt in den Vereinigten Staaten das FBI über umfassende polizeiliche und nachrichtendienstliche Befugnisse.

Es könnte gut sein, daß das Bundesverfassungsgericht die Frage, ob das Grundgesetz eine Trennung von Geheimdiensten und Polizeibehörden gebietet, demnächst entscheiden muß. Denn in der Diskussion über die Reformen des Verfassungsschutzes wurde auch der mangelhafte Informationsaustausch zwischen Verfassungsschutzämtern und Polizeibehörden gerügt. Wenn hier Informationspflichten festgelegt werden, betrifft dies die Frage, welche Auswirkung das Trennungsgebot auf die Zusammenarbeit zwischen Polizeibehörden und Verfassungsschutzämtern hat. Man geht davon aus, daß das Trennungsgebot auch den uneingeschränkten Informationsaustausch verbietet, denn sonst bestünde die Trennung nur formal. Andererseits darf eine Verfassungsschutzbehörde selbstverständlich Informationen über bevorstehende Straftaten weitergeben. Auch umgekehrt dürfen polizeiliche Erkenntnisse an Geheimdienste weitergeleitet werden. Nicht zulässig ist aber eindeutig die Beschaffung einer Information auf Anforderung der anderen Behörde.

Foto: Embleme von Verfassungsschutz und Bundespolizei: Regelung von vorgestern?

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