© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  32/12 03. August 2012

„Die sächsische FDP ist anders“
Bundesvize und Landeschef Holger Zastrow über seine Liberalen in Sachsen, die für sich einen eigenen Weg reklamieren: Sie nennen es „Übersetzung des Liberalismus ins Sächsische“ – freiheitlicher und zugleich heimatverbundener als die Bundespartei
Moritz Schwarz

Herr Zastrow, sind Sie ein Populist?

Zastrow: Ich glaube nicht.

Die „Leipziger Volkszeitung“ hat Sie den „Elbtal-Populisten“ getauft.

Zastrow: Ich bin einer der wenigen Spitzenpolitiker in Sachsen, der neben seinem Mandat auch noch einen normalen Beruf ausübt und selbständig ist. Ich glaube, diese Unabhängigkeit erlaubt es mir, manches klarer anzusprechen als jene, die vom Politiker-Sein abhängig sind.

Immerhin sind Sie laut Umfrage nach Ministerpräsident Stanislaw Tillich und NPD-Chef Holger Apfel der bekannteste Politiker in Sachsen.

Zastrow: Wenn man nicht nur auf Moden oder Mehrheiten schielt, sondern sagt und tut, wovon man überzeugt ist, dann wird das vom Bürger letztlich honoriert. Außerdem unterliegen Politiker oft einem Irrtum, denn sie halten die, die laut demonstrieren und die Zeitungsspalten dominieren, für die Mehrheit. Nehmen Sie etwa den Streit um den Bau der Waldschlößchenbrücke in Dresden oder in Stuttgart um den neuen Bahnhof. Schaute man Fernsehen oder schlug die Zeitungen auf, glaubte man doch, da stehe das ganze Volk gegen ein paar Kulturbarbaren. Als dann aber abgestimmt wurde, zeigte sich in beiden Fällen, daß eine klare Mehrheit der Bürger diese Projekte wollte. Da ist es doch besser, ein Politiker zeigt Haltung und bleibt sich von vornherein treu.

Die „Leipziger Volkszeitung“ zeichnet Sie als eine Art sächsischen Jörg Haider, der „zunehmend auf den rechten Rand schielt“.

Zastrow: Wir leisten uns eine eigene Meinung, sind keine Berufspolitiker, spenden Monat für Monat die jeweils letzte Diätenerhöhung für soziale Projekte, und ich habe mich nach unserem Wahlsieg ganz bewußt nicht für ein Ministeramt entschieden, obwohl alle das erwartet haben. Die sächsischen Wahlmänner haben nicht erst jetzt, sondern schon bei der Bundespräsidentenwahl vor zwei Jahren Joachim Gauck gewählt. Das und anderes paßt vielleicht nicht in das Weltbild manches vom Geist der Achtundsechziger geprägten Politikredakteurs und erklärt manchen Unsinn, der hin und wieder geschrieben wird. Wir sind nicht dafür da, die Erwartungen und Klischees von Journalisten zu erfüllen, sondern müssen morgens in den Spiegel schauen können und zu Land und Leuten passen.

Für das Jahr 2010 erhielten Sie von der sächsischen Landespressekonferenz den Negativpreis „Tonstörung“ verliehen für, so die LPK, unkommunikatives Verhalten, das „in dieser Form bisher nur von extremistischen Parteien bekannt“ gewesen sei.

Zastrow: Genaugenommen war der Negativpreis eigentlich eine logische Konsequenz aus dem eben Beschriebenen. Dazu kommt: Wir haben nach der Regierungsübernahme sicher Fehler gemacht. Das kann und darf man kritisieren. Am kritischsten sind wir da übrigens mit uns selbst. Wer auf unseren Parteitagen zuhört, wird das merken. Aber gegen ungerechtfertigte Angriffe setzen wir uns eben auch zur Wehr. Das erscheint dem einen oder anderen Politikredakteur wohl als Majestätsbeleidigung.

Was meinen Sie mit Majestätsbeleidigung?

Zastrow: Journalisten sind per se zunächst Beobachter und Berichterstatter. Inzwischen aber habe ich das Gefühl, daß so mancher von ihnen sich für den besseren Politiker hält und aus der Redaktionsstube heraus selbst politisch mitmischen möchte. Das halte ich für problematisch.

Dieses Interview wird Ihnen bei solchen Journalisten wohl erneut den Vorwurf des „Populismus“ einbringen.

Zastrow: Dann ist das eben so.

Warum geben Sie dieses Interview?

Zastrow: Weil ich glaube, daß Ihre Zeitung eine wichtige Rolle spielt.

Inwiefern?

Zastrow: Ich bin 1989 auch für die Presse- und Meinungsfreiheit auf die Straße gegangen. Es gibt zahlreiche linke Zeitungen, warum soll es also nicht auch eine bisweilen unbequeme konservative Zeitung geben? Ich finde es richtig, wenn auch durch die JUNGE FREIHEIT zum Ausdruck kommt, daß unser Land ein breites mediales Spektrum hat.

Das sieht Ihre Bundespartei nicht so. Sie betonen allerdings gerne, die sächsische FDP sei anders. Inwiefern?

Zastrow: Dafür gibt es verschiedene Gründe. Der politische Liberalismus in Sachsen ist 150 Jahre alt. Wir haben also eine mindestens genauso lange Tradition wie die Sozialdemokratie – mit guten wie schlechten Zeiten. Was uns hier aber besonders prägt, ist natürlich 1989. Schließlich ist Sachsen das Land der Friedlichen Revolution. Für mich war die Friedliche Revolution dabei auch immer eine liberale Revolution. Denn ich bin im Oktober ’89 in Dresden auf die Straße gegangen, weil ich Freiheit wollte: Meinungsfreiheit, Reisefreiheit, Schluß mit Gleichmacherei und Kollektivismus und Chancen für Leute, die anpacken und ihr Leben in die Hand nehmen wollten. Dazu paßte für mich nur die FDP.

Allerdings hat die FDP in den neuen Bundesländern lange nicht Tritt gefaßt.

Zastrow: Als wir zur Jahrtausendwende im Osten bei einem Prozent standen, mußten viele von uns feststellen, daß der Freiheitsbegriff auch von einigen Verantwortlichen in der FDP zu etwas Exklusivem umgedeutet wurde. Damals hatte man das Gefühl, daß Freiheit nur etwas für eine bestimmte Klientel ist. Aber genau das war nicht unsere FDP. Wir sind hier in Sachsen eine Volkspartei, leider nicht mit Blick auf die Anzahl der Mitglieder und unsere Wähler, aber in der Struktur. Bei uns sind Mitglieder, denen es wirtschaftlich gut geht, aber eben auch diejenigen, die etwas mehr zu kämpfen haben. Wir werden in Stadt und Land, in Villa und Platte gleichermaßen gewählt. Anders übrigens als die Grünen, die nur in bestimmten Besserverdienenden-Milieus in den Großstädten erfolgreich sind. Und: Eine Besonderheit ist unsere kommunale Verankerung. Wir haben rund 500 kommunale Mandate und 29 Bürgermeister. Mehr übrigens als SPD, Grüne und Linke zusammen.

Wie erklären Sie sich dieses Anderssein der sächsischen FDP?

Zastrow: Liberale tun sich immer schwer mit Zentralismus. Deswegen haben wir den Liberalismus für uns ins „Sächsische“ übersetzt. Da spielen eben Dinge wie die DDR-Erfahrung eine Rolle; genauso wie die vergangenen zwanzig Jahre, in denen sich für jeden Ostdeutschen ja nahezu alles verändert hat. Deshalb ist die sächsische FDP vielleicht freiheitlicher und marktwirtschaftlicher als anderswo und besonders skeptisch, wenn jemand mit eher planwirtschaftlichen Lösungen und allwissend um die Ecke guckt. Wir in Sachsen wissen ja, wo so was endet. Gepaart ist das mit Technik- und Fortschrittsbegeisterung sowie Gründergeist einerseits und einem großen Heimatstolz, der uns Sachsen eigen ist. Da ist es logisch, daß die sächsische FDP eben auch so ist.

Fühlen Sie sich denn in einer Bundespartei wohl, die als kosmopolitische Klientelpartei eigentlich recht wenig für das heimatverbundene Freiheitsgefühl der Sachsen-FDP übrighat?

Zastrow: Das sehe ich nicht so. Die FDP zieht ihre Stärke aus ihrer Vielfalt. Wir sind dabei ein besonderer Akzent.

So ganz harmonisch ist die Beziehung zur Mutterpartei nicht. Die „FAZ“ etwa zitiert Sie zum Thema Energiewende: „Ich bin erschrocken, daß wir in Berlin diese Hysterie mitgemacht haben.“

Zastrow: Ich verstehe, daß auch viele FDP-Mitglieder skeptisch gegenüber der Kernkraft sind. Andererseits aber gibt es einen linksgrünen Zeitgeist, von dem sich alle Parteien haben anstecken lassen und der in der Atomfrage in eine Hysterie umgeschlagen ist, der sich leider auch die FDP ergeben hat. Wir in Sachsen dagegen haben diese Energiewende immer abgelehnt. Jetzt kommt es darauf an, daß die FDP die Stimme der Vernunft in der Energiepolitik ist und darauf achtet, daß die Preise nicht zu sehr steigen und der Industriestandort Deutschland gefährdet wird.

Ende Juni haben Sie in Dresden eine „Alternative Klimakonferenz“ veranstaltet. Erstmals widmete sich eine etablierte Partei den Argumenten der Klimakritiker. Warum?

Zastrow: Weil der Zweifel und die Neugier zwei starke Triebfedern des Menschen sind. Viele Antworten auf Probleme unserer Zeit überzeugen uns nicht. Deswegen haben wir auf unserer Konferenz alternative Sicht- und Denkweisen zu Wort kommen lassen.

Eingezogen ist Ihre FDP 2009 in den Landtag mit zehn Prozent. Aber auch Sie bleiben vom Umfragetief nicht verschont und liegen jetzt bei nur noch zwei Prozent.

Zastrow: Schleswig-Holstein sechs Wochen vor der Wahl: zwei Prozent. Ergebnis: über acht. NRW sechs Wochen vor der Wahl: zwei Prozent. Ergebnis: über acht. Für mich ist klar, sowohl die sächsische Landtagswahl 2014 wie auch die Bundestagswahl 2013 werden in den letzten Wochen entschieden. Umfragen geben Stimmungen wieder, aber wenn der Wähler an der Urne steht, dann sieht die Sache anders aus. Bis zur Bundestagswahl wird die FDP eine Renaissance erleben.

Selbst mit Philipp Rösler an der Spitze, von dem viele in der FDP meinen, er sollte besser gehen?

Zastrow: Mit Philipp Rösler, ja, Sie werden sehen.

Warum unterstützen Sie beim Thema Euro-Rettung eigentlich nicht Ihren Parteifreund Frank Schäffler?

Zastrow: Zu einem gemeinsamen Europa gehört auch Solidarität in einem Moment, in dem es anderen schlechter geht als uns. Das wissen wir gerade im Osten Deutschlands sehr gut. Denn wir erfahren seit über zwei Jahrzehnten Solidarität aus dem Westen Deutschlands. Dazu gehörte aber auch ein für jeden einzelnen im Osten schmerzhafter Transformationsprozeß. Und genau diese Reformbereitschaft erwarten wir nun auch von denen, die in eine Staatsschuldenkrise geschlittert sind, weil sie weit über ihre Verhältnisse gelebt haben. Aber wir müssen unsere Hilfe auch an Bedingungen knüpfen und Reformen einfordern. Die Eigenverantwortung der Staaten muß wieder gestärkt werden.

Müßten Sie die Euro-Rettung nicht aus prinzipiellen Gründen ablehnen? Immerhin ist sie im Grunde ein dauerhaft legalisierter Rechts- und Stabilitätsbruch – Stichwort Maastricht –, und sie mündet in einen gewaltigen und wohl auch entdemokratisierten EU-Sozial- und Einheitsstaat?

Zastrow: Nein, das darf der Euro-Raum natürlich nicht werden! Langfristig darf es ganz sicher keine Transfer- oder gar Schuldenunion geben. Ganz zu schweigen von Eurobonds. Man kann ja viel über die FDP schimpfen, aber aktuell sind vor allem wir es, die die Eurobonds und damit die Vergemeinschaftung von Schulden verhindern. Im Moment müssen wir aber aus nationalem Interesse an einer Eingrenzung der Krise interessiert sein und daher helfen.

Herr Zastrow, wechseln Sie eines Tages nach Berlin?

Zastrow: Was eines Tages ist, weiß ich nicht. Aber zur Zeit ist Sachsen der beste Ort, den ich mir vorstellen kann. Schließlich will Schwarz-Gelb erreichen, daß Sachsen einmal wieder da steht, wo es vor dem Krieg stand: an der Spitze Deutschlands. Das wird dauern, aber es wird gelingen, und das schneller als die meisten denken.

 

Holger Zastrow, ist Vize-Bundesvorsitzender der FDP, Landesvorsitzender in Sachsen und Fraktionschef im Dresdner Landtag. Eigentlich sollte er nach der Landtagswahl 2009 Minister im Kabinett von Stanislaw Tillich sowie stellvertretender Ministerpräsident werden, lehnte dies jedoch ab, um weiterhin die Fraktion zu führen. 1999 hatte Zastrow den Vorsitz der damals zur Ein-Prozent-Partei geschrumpften sächsischen FDP übernommen und führte diese 2004 mit fast sechs Prozent zurück in den Landtag. 2009 holten die Liberalen unter ihm sogar zehn Prozent. Zastrow hatte bereits 1989 in der sächsischen Hauptstadt die „Jungliberale Aktion“ als Alternative zur SED-Jugendorganisation FDJ mitbegründet. 1969 in Dresden geboren, gründete der Industriekaufmann 1995 eine eigene Werbeagentur, deren geschäftsführender Gesellschafter er heute noch ist. Zudem kümmert er sich seit 2004 als Stadtrat um die Belange seiner Vaterstadt.

Foto: Holger Zastrow auf FDP-Werbetour: „Freiheitlicher und marktwirtschaftlicher als anderswo, fortschrittsbegeistert, mit Gründergeist und großem Heimatstolz, der uns Sachsen eigen ist.“

 

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