© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30-31/12 20. Juli / 27. Juli 2012

Siegen macht sexy
Der Militärhistoriker Martin van Creveld sieht Verfeinerungen des Rollenverständnisses als eine anthropologische Konstante der Kriegskultur
Thorsten Hinz

Krieg ist nach der Theorie des preußischen Generals Carl von Clausewitz die Politik mit anderen Mitteln. Aber reicht das zu seiner Erklärung aus?

Der Bremer Bevölkerungswissenschaftler Gunnar Heinsohn hat eine anthropologische bzw. darwinistische Interpretation hinzugefügt: Kriege entstehen, wo ein Überschuß an Söhnen vorliegt, die sich materielle und soziale Ressourcen erschließen wollen und dafür tödliche Risiken eingehen. Die Staaten kanalisieren den demographischen Überschuß, denn der Verlust an Menschen gefährdet nicht die biologische Substanz, sondern verbessert die Chancen für die überlebenden Söhne.

Der israelische Militärhistoriker Martin van Creveld sieht im Krieg ebenfalls eine anthropologische Konstante, die er allerdings kulturell, ästhetisch und sexuell konnotiert. Im Krieg betätigt, bestätigt und verfeinert sich das natürliche Rollenverständnis des Menschen einschließlich das Verständnis von den Geschlechterrollen. In der Auseinandersetzung mit ihm bildet sich eine umfassende Kriegskultur heraus, zu der herausragende Werke in Schrift, Ton und Bild gehören. Ihr direktester Ausdruck sind Rituale, Uniformen, Kriegsschmuck und -bemalungen. Es handelt sich um Verrichtungen und Gegenstände von erstaunlicher Komplexität: Die Bemalungen der Indianern hatten praktische, aber auch symbolische und magische Funktionen. Heute finden sie noch Verwendung bei Eliteeinheiten, die sich gegebenenfalls in Mann-zu-Mann-Kämpfen bewähren müssen. Neben der Tarnung sorgen sie für Korpsgeist und symbolisieren die herausgehobene Position in der Hierarchie der Armee.

Gegen den Armeedienst von Frauen bringt Creveld geschliffene Argumente vor: Männer, die sich als Krieger bewähren, steigern ihre Männlichkeit und werden dadurch für die Frauen attraktiver. Frauen hingegen vermännlichen und verlieren ihre Attraktivität für den Mann. Zudem sind Frauen aufgrund ihrer körperlichen Beschaffenheit von geringerer Leistungsfähigkeit und senken mit dem Niveau auch die Attraktivität des Soldatenberufs, denn der Stolz des Soldaten liegt gerade in der besonderen Leistung, die er vollbringt.

Siegreiche Soldaten steigen im Ansehen der Frauen. Die Angehörigen der Wehrmacht wurden 1940 in Paris mit sexuellen Offerten bedacht. Das gleiche erlebten die israelischen Kämpfer, die 1967 als Sieger aus dem Sechstagekrieg heimkehrten. Bezeichnenderweise lehnten selbst die englischen Suffragetten jene Männer ab, die sich einem Einsatz im Ersten Weltkrieg verweigerten. Es verwundert nicht, daß Creveld den forcierten Verlust an Kriegskultur für ein Merkmal gesellschaftlicher Dekadenz hält.

Nicht jeder dezidierten Behauptung oder historischen Darstellung mag man umstandslos zustimmen. Wer kein Heim hat, der verteidigt sich auch nicht, meint Creveld. Woher dann die Schlagkraft der französischen Fremdenlegion? Sehr junge, ungebundene Soldaten haben zudem oft entschlossener gekämpft als Männer, die bereits Verantwortung für eine Familie trugen und daher stärker an ihr Überleben dachten.

Das Buch ist flüssig geschrieben und eröffnet manch ungewohnte Perspektive, die über den militärischen Bereich hinausreicht. Der Blick fällt auf den problematischen Zustand der westlichen Welt und nicht zuletzt Deutschlands.

Martin van Creveld: Kriegs-Kultur. Warum wir kämpfen: Die tiefen Wurzeln bewaffneter Konflikte. Ares Verlag, Graz 2011, gebunden, 476 Seiten, 34,90 Euro

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