© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30-31/12 20. Juli / 27. Juli 2012

Wo Schriftsteller sich besonders wohlfühlen
Vom Winde verweht: Die norditalienische Hafenstadt Triest ist von der Nostalgie einer glanzvollen Vergangenheit geprägt
Paola Bernardi

Draußen peitscht die Bora das graue Meer. Weißer Schaum bedeckt das Wasser. Der Sturm jagt die Wellen. Wenn in Triest, der nordöstlichsten Großstadt Italiens, der legendäre eisige Wind aus Nordost, die Bora, mit Geschwindigkeiten bis zu 150 Kilometer tobt, dann bieten nur die Kaffeehäuser Zuflucht. Und die Stadt ist reich an Cafés. Wer sie betritt, fühlt sich wie in einer Zeitmaschine: die Gegenwart entzieht sich und die Vergangenheit erwacht.

Es sind altmodische Cafés mit Marmorprunk, mit Ledersofas und Thonet-Stühlen, mit roten Plüschsesseln und mit Spiegeln hinter der Theke davor die bunten Likörflaschen. Stuckgerahmt sind die Decken und Wände nach bester
k-u.k Manier, wie zum Beispiel das Café Tommaseo, das Café degli Specchi, Stella Polare, Tergesteo oder das Café San Marco in der Via Cesare Battisti hinter der großen Synagoge. Hier kann man täglich den Germanistik-Professor und Essayisten Claudio Magris, treffen, dessen literarisches Schaffen sich vor allem um Mitteleuropa dreht. Hier, in diesem traditionsreichen Café, das in den Werken von James Joyce und Italo Svevo für immer verewigt wurde, sieht man neben vielen Studenten gepflegte weißhaarige ältere Damen mit Perlenketten, die bei einem Kaffee still ein Buch lesen. Der diskrete Charme der Triester Belle Epoque scheint wiedererstanden. In Rom oder Mailand herrscht lautes Geschrei, und aufdringliche Kellner würden einen nach kurzer Weile vergraulen. Doch hier scheint die Zeit innezuhalten.

Triest ist eine Grenzstadt, ein Schmelztiegel. Malerisch eingeschlossen zwischen Meer und Hügel an der nördlichen Adria. Der Hauptplatz der Stadt, die Piazza dell’Unità öffnet sich in einer einmaligen Kulisse dem Meer zu, nur noch mit Lissabon vergleichbar. Die Paläste am Hauptplatz zeugen vom Reichtum dieser Hafenstadt der einstigen Donaumonarchie. Triest ist eine zutiefst widersprüchliche Stadt, die bis heute ihren eigenen Rhythmus wahrt.

Es waren die Habsburger, die die Handelsmentalität der Stadt erfanden. Bis zum Ersten Weltkrieg liefen hier die wichtigen Fäden der mitteleuropäischen Wirtschaft zusammen. Die Schiffe des Österreichischen Lloyds trugen die Waren in alle Welt. Die Metropole war reich, war weltoffen für alle; für Deutsche, Slowenen, Dalmatiner, Istrier aus dem aus dem nahen Grenzgebiet; aber vor allem Griechen – die großen Reederfamilien – und Juden lebten hier; sie alle prägten diese Stadt, schufen ein wohlhabendes und gebildetes Bürgertum, das bis heute andauert.

Auch alle Religionen lebten hier friedlich in dieser kosmopolitischen Stadt zusammen, dank dem Erlaß von Kaiserin Maria Theresia. Sie gewährte den orthodoxen Gemeinschaften gleichermaßen wie den Katholiken Grundstücke zum Bau eigener Kirchen.

Und so leuchtet die goldene Kuppel von San Spiridione, der serbisch-orthodoxen Kirche, wie der Kreml über Triest. Und nicht weit entfernt erhebt sich die griechisch-orthodoxe Kirche San Nicolò mit ihren schweren düsteren Samtvorhängen und den gewaltigen silbernen Kerzenständern vor der prunkvollen Ikonostase, während hoch oben auf dem Burghügel der Stadt sich die romanische Kathedrale von San Giusto erhebt.

Dieses vielfältige Völkergemisch prägte und hinterließ bis heute seine tiefen Spuren in dieser Stadt. Triest ist eine Stadt mit einem langen Gedächtnis, über der immer eine leichte Melancholie schwebt. Die geistige Atmosphäre der Stadt wird geprägt von der Nostalgie einer glanzvollen Vergangenheit, von der belastenden Erinnerung an die oft tragischen politischen Wechselgänge des 20. Jahrhunderts und vom nicht zu entkommenden Bewußtsein einer unwiederbringlich empfundenen Dekadenz. Manche Beobachter sehen hierin den Grund, daß die neu entstehenden Chancen der sich öffnenden Grenze eines nach Osten erweiterten Europas nicht richtig wahrgenommen werden.

Triest war nie nur eine reiche Handels- und Wirtschaftsmetropole, sondern stets auch eine Stadt des Geistes und der Wissenschaften. Wie ein Magnet zog sie alle gleichermaßen an: Kaufleute, Wissenschaftler, Künstler, Glücksspieler und vor allem Schriftsteller; alle fühlten sich vom Flair Triests angezogen, von der Schönheit dieser Stadt, die auch sogleich eine Schönheit des Geistes widerspiegelt: Schriftsteller wie James Joyce (1882–1941), Italo Svevo (1861–1928) und Umberto Saba (1883–1957), sie alle lebten und dichteten hier und machten Triest zur Stadt der Literatur, in der es nichts Wichtigeres gab als Bücher.

Mitten im Zentrum der Stadt, nicht weit vom Kaufhaus Upim entfernt, stößt der Besucher auf die lebensgroße Bronzestatue von Umberto Saba. Die Gestalt eines leicht gebeugten Mannes, mit einer Schirmmütze und einem Gehstock, an der Kreuzung zwischen Via Dante und Via San Nicoló, nur wenige Schritte von seiner damaligen Buchhandlung entfernt. Hier im Hinterzimmer vergrub er sich, um seine Gedichte zu schreiben. „Saba war ein Pessimist, ein schwieriger Charakter, der sehr an sich selber litt“, so erläutert Carlo Cerne, der Antiquar. Er muß es wissen, denn sein Vater arbeitete hier unter Saba. Hoch bis zur Decke stapeln sich die Bücher. Noch immer ist der Laden Anlaufstelle für Studenten, Bibliophile und ältere Triestiner.

Die Triestiner lieben ihre Dichter, aber machen wenig Aufhebens um sie. Nur winzige Schilder an den Häusern erzählen verschwiegen die Geschichten von der Anwesenheit dieser Dichter. So lebte James Joyce in den Jahren zwischen 1904 und 1920 mit seiner Familie nicht weit vom Hafen entfernt, in der schäbigen Via di Cavana. In diesem Kneipenviertel, wo sich die Matrosen mit den Huren vergnügten, fand Joyce reichlich Stoff zum Schreiben und konnte das Milieu für „Ulysses“ hautnah studieren. Literaturwissenschaftler meinen, daß in Joyce’ Werk vor allem Triest und nicht Dublin beschrieben wurde.

In diesem Viertel durchlebte der Dichter wahre Hungerjahre. Als Englischlehrer brachte Joyce seine kleine Familie nur mühsam durch. Seine Frau verfiel immer wieder in tiefe Depressionen, während ihr Mann in den Kaffeehäusern schrieb und soff. Oft wechselten sie die Wohnung, immer auf der Flucht vor den Vermietern. Jetzt ist das Viertel restauriert, und aus der einstigen Absteige ist ein Hotel namens „Joyce“ entstanden. In Bronze gegossen, flaniert der Dichter Joyce im heutigen Triest auf der Brücke des Canale Grande der Piazza Ponterosso zu, in Richtung „Berlitz School“.

In Triest wurde 1861 Ettore Schmitz, der in die Literaturgeschichte als Italo Svevo einging, als Sohn einer deutsch-jüdisch-italienischen Familie geboren. Er, ein Bankangestellter, heiratete die Tochter eines vermögenden Lackfarbenfabrikanten aus dem nahen Venedig. Sein neuer Reichtum ermöglichte es Svevo fortan, sich seinen schriftstellerischen Neigungen intensiver hinzugeben. In Opicina, dem Vorort von Triest auf dem Karst, in seiner großbürgerlichen Villa mit Park und Boccia-Bahn, schuf Svevo die unnachahmliche Figur des Zeno Cosini in seinem Roman „Zenos Gewissen“. Ein Hypochonder, ein Melancholiker, der sich gegen die moderne Zeit stemmt, und dann doch resignierend einknickt. Wie viele Triestiner litt auch Svevo unter Depressionen, hatte einen Hang zur Schwermut. Immer wieder zweifelte er an sich und seinem Können. Er faßte mehrmals den Entschluß, seine Schriftstellerei aufzugeben, nachdem der Erfolg lange ausblieb. Es war vor allem die Freundschaft mit James Joyce, der er es zu verdanken hat, daß er letztlich doch durchhielt. Svevos Erfolg kam erst spät. Während im Ausland seine Romane bereits Furore machten, ignorierte Italien lange diesen Dichter. Er wurde wegen seiner nicht lupenreinen italienischen Schriftsprache – mit vielen Germanismen durchsetzt – von seinen Zeitgenossen sogar verspottet.

Die literarische Tradition Triests wird heute durch den deutschen Schriftsteller Veit Heinichen (Jahrgang 1957) fortgeführt. Er lebt und schreibt hier seit über fünfzehn Jahren vor allem Kriminalromane, die in zahlreiche Sprachen übersetzt und für das Fernsehen verfilmt wurden. Die Hauptfigur seiner Werke ist der Kommissar Proteo Laurenti. „Der hohe Lebensstandard in Triest verhindert schnelle Änderungen, und Grenzgebiete haben andere Rhythmen als der Rest der Welt, hier habe ich meine Welt gefunden“, so Heinichen.

Wenn der Wind sich gelegt hat und das Meer sich spiegelglatt ausbreitet, sieht man von der Piazza L’Unità das Schloß Miramare, und dahinter liegt das Kastell Duino. Dort schrieb Rainer Maria Rilke seine „Duineser Elegien“.

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