© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30-31/12 20. Juli / 27. Juli 2012

Schöne Augen, hinterhältiges Pokergesicht
Neue Studie: Lügen lassen sich nicht am bloßen Blick erkennen, behaupten britische Forscher
Richard Stoltz

Gute oder schlechte Nachricht? Lügen, so ein Team britischer Forscher in der Londoner Online-Fachzeitschrift PLoS One der Public Library of Science (PLoS), lassen sich nicht an den Augen im Gesicht eines Menschen ablesen, weder an Kinderaugen noch an Greisenaugen, weder an nordischen Blauaugen noch an chinesischen Schlitzaugen. Lügen haben (vielleicht) kurze Beine, doch auch (mit Sicherheit) ein hinterhältiges Pokergesicht.

Soeben hat die Bild-Zeitung mitgeteilt, daß dem Mund eines jeden Menschen mindestens alle zehn Minuten eine Lüge entfährt (wirklich nur alle zehn Minuten?) – und nun dieses! Wir sind nicht nur allesamt Dauerlügner, sondern verstehen es auch blendend, unsere Lügen perfekt zu verbergen. Kein Augenzwinkern und kein schiefer Blick nach rechts oder links ist sicherer Beleg für Lügenrede, am allerwenigsten der fromme Unschuldsblick nach oben oder der beschämte Schuldblick nach unten.

Glücklicherweise ist der Blick in die Augen nicht die einzige Methode, eventuellen Lügen auf die Spur zu kommen. Man kann auf Gesten achten, auf ganze Taten, szenische Arrangements. Außerdem wird im tagtäglichen Umgang miteinander, also im Augenverkehr des Alltags, wohl am wenigsten gelogen; man kennt sich da zu gut, Lügen lohnt kaum noch. Die größten, saftigsten, gemeinsten Lügen sind zu Papier gebrachte oder ins Internet gestellte Texte oder Bilder, Politikerverlautbarungen, Kanzelverkündigungen, irgendwelche „Events“ mit Tausenden von beteiligten Augenpaaren.

Übrigens, was ist Wahrheit? „Die Wahrheit ist der Irrtum“, dekredierte Friedrich Nietzsche. Und die zehn Gebote des Dekalogs vermeiden es ausdrücklich, ein Gebot „Du sollst nicht lügen!“ aufzurichten, sie sagen statt dessen: „Du sollst nicht falsch Zeugnis geben!“ Sie wissen, warum. Und jeder Nachdenkliche weiß auch, daß viele sogenannte nützliche Forschungsergebnisse nur Unheil anrichten, zum Exempel das intime Spiel schöner Augen zum wüsten Tatort des Mißtrauens und des leeren Verdachts machen.

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