© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30-31/12 20. Juli / 27. Juli 2012

Staatliches Schneeballsystem
Finanzpolitik: Der frühere Thyssen-Chef Dieter Spethmann warnt vor der Zeitbombe Staatsverschuldung / Euro-Rettung bringt den Todesstoß
Christian Schwiesselmann

Die Staatsverschuldung ist die tickende Zeitbombe unter dem mürben westlichen Wohlfahrtssozialismus. Das glaubt Dieter Spethmann, der in einer kleinen Schrift vor der drückenden Schuldenlast auf dem deutschen Gemeinwesen warnt. Allein seit dem Amtsantritt von Angela Merkel habe sich die Staatsverschuldung um ein Drittel – sprich um 500 Milliarden Euro – erhöht.

Die Staatsschuldenquote Deutschlands lag Ende 2010 bei einem Schuldenstand von 2.036 Milliarden Euro mit 83,2 Prozent höher als die offizielle Quote Spaniens. „Die einheitlich ermittelbare explizite Verschuldung ist jedoch nur die Spitze des Eisberges“, warnt der 1926 geborene ehemalige Thyssen-Chef und langjährige Vorsitzende der Wirtschaftsvereinigung Eisen und Stahlindustrie. Hinzu käme die implizite Staatsverschuldung, gemeint sind damit etwa Leistungsversprechen an Rentner und Pensionäre in der Zukunft, so daß die tatsächlichen Staatsschulden bei rund zehn Billionen Euro lägen.

Der öffentliche Schuldenberg wachse mit jedem Windrad und jeder Solarzelle weiter, ist sich Spethmann sicher. Der promovierte Jurist aus Essen gehört zum Urgestein des Rheinischen Kapitalismus und sorgt sich über die absehbare Deindustrialisierung Deutschlands: Schon heute würden die Deutschen den zweithöchsten Strompreis in den Industrieländern zahlen, dreimal mehr als die Amerikaner.

„Während die Sozialindustrie mit Subventionen gehätschelt wurde, verunsichert die Bundesregierung mit ihrer Energiepolitik zunehmend die Industriebetriebe.“ Das Weltklima dürften die 100 Milliarden Euro Subventionen für Klimaschutzpolitik nicht beeinflussen. Dagegen stellen Spannungsschwankungen, Stromunterbrechungen und die steigenden Energiekosten aus Sicht des Wirtschaftsexperten das größte Risiko für Europas größten Wirtschaftsstandort dar. Wo Unternehmen wie die Aluminium- und Zinkhütten des Ruhrpotts abwanderten, brechen die Steuereinnahmen des Staates ein – die Schuldenspirale dreht sich weiter.

Die Euro-Krise hat die brennende Lunte an der Schuldenbombe nochmals deutlich verkürzt. Allein durch den provisorischen (EFSF) und den dauerhaften Euro-Rettungsschirm (ESM) könnte sich die Haftungssumme auf rund 280 Milliarden Euro erhöhen – „ein Betrag, der über eine höhere Neuverschuldung aufgebracht werden müßte“, so Spethmann. Der erfahrene Unternehmenslenker, der 1952 am Londoner Schuldenabkommen zwischen den Westalliierten und der jungen Bundesrepublik teilnahm, glaubt nicht an die Qualität griechischer Zahlungsversprechen und geht von einem deutschen Schuldenwachstum auf 2,5 Billionen Euro bis 2020 aus.

Um die Gemeinschaftswährung zu retten, müßten verschuldete Länder aus der Euro-Zone austreten können. Sie könnten dann ihre alten Währungen wieder einführen, abwerten und so einen Großteil ihrer Staatsschulden tilgen. Alternativ möglich sei auch die Rückkehr zum Status quo ante: „Mit diesem Euro muß Schluß sein, bevor auch die deutsche Realwirtschaft, die zur Zeit noch leistungsfähigste Europas, im Orkus der Europa-Phantastereien verschwindet.“

Spethmann sehnt sich zurück nach der Bonner Republik mit ihren industriellen Kernen Rhein-Ruhr, Rhein-Main, Rhein-Neckar. Doch die kommodige Zeit der Deutschland AG (Verflechtung von Industrie- und Finanzsektor) ist abgelaufen. Eine Volksabstimmung über die schier unaufhaltsame Transformation der Bundesrepublik zu einem Verwaltungsdistrikt der EU, wie sie Spethmann wünscht, wird daran wenig ändern.

Dieter Spethmann: Zeitbombe Staatsverschuldung. August Dreesbach Verlag, München 2012, broschiert, 55 Seiten, 7,80 Euro

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