© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30-31/12 20. Juli / 27. Juli 2012

Keine Macht für niemand
Bündnis90/Die Grünen: Gut ein Jahr vor der Bundestagswahl leistet sich die Partei einen Führungsstreit
Michael Martin

Die Stimmung bei den Grünen ist ungemütlich. Zwar liegt die Partei in Meinungsumfragen stabil zwischen 13 und 15 Prozent, was einen deutlichen Zuwachs im Vergleich zur Bundestagswahl 2009 (10,7 Prozent) bedeuten würde, doch der Traum einer erneuten Regierungsbeteiligung droht sich in Luft aufzulösen.

Gut ein Jahr vor dem nächsten Urnengang scheint eines bereits klar – für Rot-Grün wird es nicht reichen. Und das macht die Führungsspitze der Grünen ziemlich ungehalten und zänkisch. In der vergangenen Woche eskalierte die Lage im Bundesvorstand. Wie die Bild am Sonntag berichtet, kam es bei einer Sitzung am vergangenen Dienstag zu einem heftigen Streit, auf dessen Höhepunkt die Politische Bundesgeschäftsführerin und Wahlkampfleiterin Steffi Lemke mit Rücktritt drohte. Der Streit entzündete sich an der Besetzung des Postens des Organisatorischen Geschäftsführers. Eine Mehrheit des Vorstandes sprach sich für einen Kandidaten aus, der nicht dem Gusto Lemkes entsprach. „Es gab eine heftige Brüllerei“, zitiert die Bild einen Teilnehmer der Sitzung. Um einen Bruch innerhalb der Parteispitze ein Jahr vor der Bundestagswahl zu verhindern, habe die Vorsitzende Claudia Roth schließlich erklärt, daß die wichtige Personalie nicht gegen Lemke entschieden werden dürfe. Der Punkt wurde vertagt, die Sitzung sei ergebnislos abgebrochen worden.

Auch daß Roth bei der Bundestagswahl als Spitzenkandidatin ins Rennen gehen wird, scheint längst noch keine ausgemachte Sache. In dieser Debatte hat sich der erste Landesvorsitzende der Partei für Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt ausgesprochen. „Mit Katrin Göring-Eckardt in einer grünen Spitzenformation könnten wir auch wertkonservativere Wählerschichten stärker ansprechen“, sagte der bayerische Grünen-Chef Dieter Janecek der Welt. Hier zeigt sich das strategische Dilemma der Grünen. Ursprünglich zählte sich die Partei selbst zum linken Lager. Doch die Alt-Demonstranten haben die Achtundsechziger-Zeit überwunden und sich in den Wohlstandsetagen der Gesellschaft eingerichtet. Die Partei selbst hat sich verbürgerlicht. Dies hat zu Wahlsiegen wie in Baden-Württemberg geführt oder aber zum Jamaika-Bündnis im Saarland. Frei nach dem Motto „Links war gestern“ wünscht sich ein stattliches Wählerpotential ein flexibleres Verhalten der Parteiführung.

Und wie es bei den Grünen so üblich ist, braucht es zum Kandidieren natürlich auch eine Doppelspitze. An Fraktionschef Jürgen Trittin dürfte kein Weg vorbeiführen. Er gilt als gesetzt, auch weil er einen guten Draht zur Kanzlerin Angela Merkel haben soll. Der linke Parteiflügel argwöhnt daher neuerdings gerne, Trittin könne eine schwarz-grüne Koalition in Betracht ziehen. Dennoch wird Trittin nach wie vor eher dem Lager der Fundis zugerechnet. Heißt: Die zweite Kandidatin wird aus dem Lager der Realos kommen müssen.

Hier wäre eigentlich Renate Künast am Zuge. Doch seit ihrer gescheiterten Spitzenkandidatur in Berlin steht sie in der Kritik. Auch aus diesem Grund treibt die Diskussion neuerdings seltsame Blüten. Die Leipziger Volkszeitung berichtete in der vergangenen Woche, innerhalb der Partei werde nun sogar debattiert, ganz auf Spitzenkandidaten zu verzichten. Vor allem Vertreter der Realos setzten sich für die Idee ein, mit den beiden Parteichefs Cem Özdemir und Claudia Roth sowie den zwei Fraktionsvorsitzenden Jürgen Trittin und Renate Künast anzutreten, ohne jemanden aus diesem Quartett herauszuheben.

Bayern-Landeschef Janecek will davon nichts wissen. Er wirft sich für die Bundestagsvizepräsidentin in die Bresche. Janecek rückte Göring-Eckardt dabei in die Nähe des baden-württembergischen Ministerpräsidenten: „Ihr ruhiger erklärender Politikstil ähnelt dem von Winfried Kretschmann.“ Zugleich plädierte Janecek dafür, daß Göring-Eckardt eine öffentliche Entscheidung über ihre Kandidatur trifft: „Letztlich muß sie sich selbst erklären und ihren Anspruch deutlich machen“, sagte er der Welt. Schon vor einigen Tagen hatte der Tübinger Oberbürgermeister und Vertreter des Realo-Flügels, Boris Palmer, Göring-Eckardt ausdrücklich gelobt. In einem Interview mit der taz sagte er: „Mit ihr würden die Grünen auch bürgerliche Wähler der Mitte oder kirchlich orientierte Kreise gewinnen.“

Und so reift immer mehr die Erkenntnis, daß hinter den Personaldebatten ein handfester Richtungsstreit steht. Größtes Problem ist für die Grünen, daß ihnen zweifelsohne Einbrüche in bürgerliche Wählerschichten gelungen sind, es dafür aber nach links Reibungsverluste gibt. So fordern Fundis, man solle sich stärker an den Piraten reiben und versuchen, den politischen Senkrechtstarter doch noch unter die Fünfprozenthürde zu drücken. Ursprünglich wollten die Grünen ihre Spitzenkandidaten basisdemokratisch per Urwahl küren. Eine Absage könnte nun den Piraten weiteren Zulauf bescheren. Denn die gerieren sich derzeit als die wahren Grünen.

Foto: Grünen-Spitzenpolitiker Renate Künast, Jürgen Trittin und Claudia Roth (v.l.n.r.): Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt wird gegen die Platzhirsche in Stellung gebracht

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