© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30-31/12 20. Juli / 27. Juli 2012
Eifriges Stühlerücken Ganz gleich, was am Ende bei den Ermittlungen zur Zwickauer Terrorzelle herauskommt, für den Verfassungsschutz wird der Fall weitreichende Konsequenzen haben. Daß sich die Geheimen diverse Vorwürfe gefallen lassen müssen – angefangen vom bloßen Versagen und der mangelnden Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden untereinander bis hin zum Verdacht des Vertuschens –, dürfte dabei noch das geringste Übel sein. Viel gravierender ist die Tatsache, daß sich die Verfassungsschützer von den Mitgliedern der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse tief in die Karten schauen lassen mußten. Ein Weiterso wird es für den Inlandsgeheimdienst
nicht mehr geben. Das hat auch Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU)
erkannt, und die von ihm angeordneten personellen Konsequenzen dürften nur ein
erster Schritt sein. An der Spitze des Bundesamtes für Verfassungsschutz steht
künftig der Auch auf Landesebene gibt es Veränderungen: In Sachsen mußte vergangene Woche Verfassungsschutzpräsident Reinhard Boos seinen Hut nehmen. In seinem Amt waren Protokolle von Telefonüberwachungen der rechtsextremen Szene aus den neunziger Jahren aufgetaucht – genau aus der Zeit, als nach den untergetauchten mutmaßlichen Mitgliedern des Nationalsozialistischen Untergrunds, Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe, gefahndet wurde. Boos hatte stets versichert, daß solche Daten nicht mehr existierten. In der Woche zuvor hatte bereits Thüringens Innenminister Jörg Geibert (CDU) den Chef des Verfassungsschutzes, Thomas Sippel, wegen der Pannen bei der Verfolgung der Zwickauer Terrorzelle entlassen. Sippel hatte das Amt im November 2000 von seinem abgesetzten Vorgänger Helmut Roewer übernommen. Dessen Befragung im Untersuchungsausschuß des Landtags sorgte in der vergangenen Woche ebenfalls für Schlagzeilen. In den Medien wurde anschließend das Bild eines arroganten Exzentrikers gezeichnet, der auch mal barfuß über die Flure seiner Behörde lief oder mit dem Fahrrad durch das Gebäude fuhr. Für Roewers Ernennung zum Verfassungsschutzpräsidenten 1994 wollte plötzlich keiner mehr verantwortlich gewesen sein. Der Geheimdienstchef selbst konnte sich vor dem Ausschuß auch nicht mehr daran erinnern, wer ihm die Urkunde mit der Unterschrift des damaligen Ministerpräsidenten Bernhard Vogel (CDU) überreicht hatte. Es ist auffällig, daß viele der Emittlungs- und Fahndungsfehler, die zum erfolgreichen Untertauchen des rechtsextremen Trios aus Jena führten, nun dem Thüringer Verfassungsschutz und nicht zuletzt Roewer zugeschrieben werden. Das Gutachten des früheren Vorsitzenden Richters am Bundesgerichtshof, Gerhard Schäfer, zu möglichen Pannen der Thüringer Behörden bei der Verfolgung der Zwickauer Zelle stellt beispielsweise fest, Roewers Behörde habe damals „wesentliche Erkenntnisse nicht an das thüringische Landeskriminalamt übermittelt“ und „durch sein Verhalten die Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden bei der Suche nach dem Trio massiv beeinträchtigt“. Dabei wird aber oft übersehen, daß es der Verfassungsschutz war, der 1998 in einer damals schwer zu überschauenden rechtsextremen Szene genau die drei Personen ausmachte, die begannen, sich konspirativ zu verhalten und Rohrbomben zu bauen. Auf Roewers Anweisung wurden diese Informationen der für die Strafverfolgung zuständigen Polizei mitgeteilt. Diese aber durchsuchten zunächst die Wohnungen und Garagen von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe, anstatt die drei wegen dringenden Tatverdachts umgehend festzunehmen. Dies erst ermöglichte dem Trio die Flucht. Aufgrund dieser Panne soll dann nach Informationen der JUNGEN FREIHEIT im Landesamt für Verfassungsschutz extra eine fünfköpfige Arbeitsgruppe der Polizei installiert worden sein, die Zugang zu allen Erkenntnissen der Behörde hatte und diese an die Zielfahndung des LKA weiterleiten sollte. Dies unterblieb aber offenbar. Im Schäfer-Gutachten findet sich hierauf kein Hinweis. Hinzu kommt, daß Schäfer darauf verzichtet haben soll, bei der Erstellung seines Berichts mit Roewer direkt zusammenzuarbeiten. Ein Blick in die alten Akten soll dem früheren Verfassungsschutzpräsidenten aus Geheimhaltungsgründen verwehrt worden sein. Foto: Thüringens Ex-Verfassungsschutzchef Helmut Roewer: Auf eine Zusammenarbeit wurde verzichtet |