© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/12 13. Juli 2012

Frisch gepresst

Zukunftsgesellschaft. Wie sieht Deutschland 2030 wohl aus? Eine Studie befaßt sich mit Trends und damit, wie wir in Zukunft leben werden. Dazu wird ein buntes Kaleidoskop verschiedener Sozio-Cluster aufgefächert, die sich in Lebensstil und -ansichten allerdings viel ähnlicher sind als heutigen Gesellschaftsgruppen. Schenken wir den Autoren Glauben, so sind die Deutschen wohl bald allesamt zu mehr oder weiniger grünen Ökos mutiert. Alle? Ach nein, halt: Einwanderer zum Beispiel kommen in der Untersuchung gar nicht vor. Zwar geben die Zukunftsforscher vor, die „radikalen Veränderungen“ der kommenden Jahre zu untersuchen – aber der Aspekt der allein demographisch dominanter werdenden „Mihigrus“ schwingt noch nicht einmal in einem Nebensatz mit. Auch andere, konservative Milieus etwa werden konsequent ausgeblendet, und Großfamilien – die „sind ausgestorben“. In Wahrheit sind sie nur nicht interessant für die Werbewirtschaft, für die die Studie verfaßt wurde, und für die Autoren. Statt dessen dozieren sie über die Screen Generation, Emerging Adults oder Foodies, die für die kommenden Lebensstile der Deutschen stehen (sollen). Die Prognose liest sich wie ein Best-of der deutschen Soziologiefakultäten. Den Praxistest machen wir dann 2030. (rg)

Eike Wenzel, Oliver Dziemba, Corinna Langwieser: Wie wir morgen leben werden. Mi-Wirtschaftsbuch, München 2012, gebunden, 176 Seiten, 34,99 Euro

 

Macht und Moral. Keiner hat so schön die „Moralhypertrophie“ als Herrschaftsideologie der „Mundwerksburschen“ in Publizistik und Politiksimulation demaskiert wie Arnold Gehlen vor fast vierzig Jahren. Wie sehr diese Praxis seitdem pervertiert ist, führt der emeritierte Kommunikationswissenschaftler Peter Gerdsen in seiner Streitschrift mit dem signifikanten Untertitel „Wie unter dem Deckmantel der Moral Macht ausgeübt wird“ vor. Anhand der moralisch einseitig umgedeuteten Begriffe „Toleranz, Diskriminierung, Demokratie, Freiheit und Menschenrechte“, die überdies den Machtausübenden eine treffliche Selbstimmunisierung garantieren, seziert Gerdsen die diskursiven Unterdrückungsmechanismen und die Aggressivität der gutmenschlichen Gesinnungsgemeinschaft, mit der Andersdenkende ebenso anstandslos wie probat als „Feinde der Menschheit“ stigmatisiert werden. (bä)

Peter Gerdsen: Das moralische Kostüm geistiger Herrschaft. Traugott Bautz Verlag, Nordhausen 2012, broschiert, 121 Seiten, 15 Euro

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